Geschrieben am 14. März 2012 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Gerlachs (Un-)Mögliche Lektüren

Gunter Gerlach über Bücher, die er einfach nicht zu Ende lesen kann – und über die seltenen Ausnahmen, bei denen es dann doch gelingt…

Wann hat diese Krankheit angefangen?

Wir stehen in unserer Lieblingsbuchhandlung. Maja hält zwei Bücher hoch. Es ist „Monster″ von Benjamin Maack und „Lazyboy″ von Michael Weins. „Du könntest doch auch mal was empfehlen. Die hast du doch beide bis zu Ende gelesen.“

„Ja, fand ich auch gut, bis auf die grafischen Spielereien bei Benjamin Maack – Geschichten, die nur aus X oder O bestehen. Und bei ‚Lazyboy‘ gefällt mir der Schluss nicht, da versucht Michael Weins Erklärungen für fast all die mysteriösen Ereignisse zu liefern. Tut nicht not.“

„Was nun? Empfehlung oder nicht?“
„Empfehlung, unbedingt!“

Ich frage den Buchhändler nach „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster sprang und verschwand″. Das steht jetzt überall auf den Bestsellerlisten. Auch Dennis Scheck legte es mit einem leichten Zögern zurück, als er fast alle anderen von der Bestsellerliste in die Mülltonne warf.

Maja geht zur Seite, als gehöre sie nicht zu mir.

Beim Buchhändler registriere ich ein kaum merkliches Naserümpfen.
„Ach, du willst es für deine Kolumne“, sagt er.
Ich hebe die Hände. „Nee, dann nicht.“

Maja zieht die Brauen zur Nasenwurzel zusammen. „Sei doch froh, wenn dir jemand schlechte Bücher empfiehlt.“
„Das ist einer der Gründe, warum mir meine Kolumne Schwierigkeiten macht: Ich muss Geld für Scheiße ausgeben.“
„Warum lässt du dir die Bücher nicht von den Verlagen schicken?“

„Die großen Verlage wissen, dass der größte Teil ihrer Produktion Schrott ist, und viele von den kleinen haben engagierte Verleger, denen verzeihe ich, wenn sie mal ein schlechtes Buch machen. Zum Beispiel der Bilgerverlag in Zürich und sein Autor Christoph Simon.“

Maja protestiert: „’Planet Obrist‘ war großartig. Was haben wir uns amüsiert!“
„Ja, schon, aber seine letzten beiden Bücher waren überflüssig, hab ich nicht zu Ende gelesen.“
Maja hat das neueste  Buch von Christoph Simon schon auf dem Tisch gefunden: „Viel Gutes zum kleinen Preis″  „Ich fand das aber gut.“
„Ich weiß nicht was das soll.“
„Ein Sammelsurium – so steht’s auch im Untertitel.“
„Der Dichter räumt seinen Schreibtisch auf. Warum belästigt er uns damit?“
„Und lauter Perlen der Erkenntnis darin, die hast du wohl nicht entdeckt?“ Maja klopft mir mit dem Buch gegen die Stirn. „Und jetzt machst du einen Autor und einen Kleinverlag fertig, die du eigentlich liebst.“
„Nein, nein. Ich werde mir jedes weiter Buch von ihm kaufen.“
„Und auch durchlesen.“
„Mal sehen.“

Maja will einen Kaffee trinken gehen und weil ich mich unbehaglich fühle, eine Buchhandlung zu verlassen, ohne eine Buch zu kaufen, nehme ich „Goldfischgedächtnis″, die neuen Kurzgeschichten von Monique Schwitter mit. Im Café überfällt mich der erste Absatz mit Adjektiven, die mich stöhnen lassen. Ich schiebe das Buch Maja über den Tisch zu. Maja sieht mich mitleidig an, um eines dieser Adjektive zu benutzen, mit denen die Autorin kein eigenes Bild erzeugt, sondern es dem Leser überlässt, sich ein Bild aus eigener Erfahrung zu machen.

„Wann hat diese Krankheit eigentlich angefangen?“

„Auslöser war die Kritik  an einem meiner eigenen Bücher. Der Rezensent hatte es offensichtlich nicht zu Ende gelesen. Und ich dachte: Warum, verdammt, gibt er das nicht zu.“
„Wer war das? Und um welches Buch ging es?“
„Warum soll ich eines meiner eigenen Bücher in die Pfanne hauen?“
Sie grinst breit. „’Friedhof der Beziehungen‘, nicht wahr?“ Sie taucht die Nase in ihr Kaffeeglas und von dort kommt es dumpf: „Wehe du schreibst das nicht in deiner Kolumne! Dann ist es aus zwischen uns.“

Gunter Gerlach

Benjamin Maack: Monster. Mairisch-Verlag 2012. 190 Seiten. 16,90 Euro.
Michael Weins: Lazyboy. Mairisch Verlag 2011. 336 Seiten. 18,90 Euro.
Christoph Simon: Viel Gutes zum kleinen Preis. Bilger Verlag 2011. 239 Seiten. 24,00 Euro.
Monique Schwitter: Goldfischgedächtnis. Droschl Verlag 2011. 189 Seiten. 19,00 Euro.

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