Geschrieben am 5. November 2014 von für Film/Fernsehen, Litmag

Im Kino: Mr. Turner – Meister des Lichts

MrTurner_PlakatKunst, Künstler & Leben

– Mike Leighs sowohl schwelgerischer als auch kritischer Film „Mr. Turner – Meister des Lichts“ . Von Wolfram Schütte.

Mike Leigh, der 1943 geborene bedeutendste britische Filmregisseur, hat bis etwa zum Alter, in dem William Turner (1775-1851)gestorben ist – warten müssen, um sein angebliches Lieblingsprojekt, den nun vorliegenden Film „Mr. Turner“ realisieren zu können. „Mr Turner“ heißt der Film, weil der Regisseur die bürgerliche Unabhängigkeit des autodidaktischen Malers – Sohn eines früh verwitweten Friseurs & Perückenmachers –hervorheben wollte. Sein „Turner“ wird zwar von einem Landadligen gefördert, mit dem der Künstler jedoch gesellschaftlich „auf Augenhöhe“ verkehrt. William Turner, der lange mit seinem Vater, der ihm als ein hilfreiches, geschätztes & geliebtes Faktotum war, das ihm Farben &Leinwände besorgte, in London zusammenlebte, war in dem rund zweieinhalbstündigen Porträt, das Mike Leigh von ihm zeichnet, ein ebenso eigensinniger wie exzentrischer Maler & Mensch.

Der englische Regisseur, der für seinen zweiten Historischen Film das letzte Vierteljahrhundert im Leben des größten englischen romantischen Malers gewählt hat, der so sehr von den Erscheinungsformen des Lichts fasziniert war, dass er in seiner Landschafts-Malerei bis in die vorausdeutende Nähe der französischen Impressionisten entgrenzte, hat sowohl dabei bekannte Fakten aus Turners Biographie verwandt – wie z.B. dessen gutes Verhältnis zu seinem Vater & seine Angewohnheit, unter falschen Namen zu verreisen –, als auch einige entschiedene Akzente hinzu erfunden. Das sind vor allem Turners erotisch-sexuellen Kontakte mit den Frauen.

Schon gleich zu Beginn, wenn er nach einem Belgien-Aufenthalt von seinem fürsorglichen Vater in seinem Londoner Haus erwartet wird, irritiert einen die Selbstverständlichkeit, mit der Timothy Spall einen dicklichen Pykniker verkörpert, der lieber wie ein Walross schnaubt, denn als Mensch zu sprechen. Wenn dieser Turner Jr. mit der Hausgehilfin Hannah allein ist, fasst er ihr Besitz ergreifend durchs Kleid an Busen & Scham & wenn ihn das sexuelle Bedürfnis überkommt, „benutzt“ er sie umstandslos brutal A tergo (wie ein Hahn die Henne).

Ebenso rücksichtslos platziert er bei einer Ausstellung der Royal Academy, deren Mitglied er ist, auf einer Welle in der Mitte des Seebilds eines Kollegen einen roten Punkt, der ihm seiner Empfindung nach dorthin gehört & der dann von den empört-staunenden Malerkollegen als eine vermeintliche Boje akzeptiert wird. Es macht ihm auch nichts aus, beim öffentlichen Malen eines Gemäldes mit seiner Spucke nachzuhelfen.

Kurz: der seltsame Künstler ist ungehobelt – auch gegenüber seiner Frau, von der er getrennt lebt & die er finanziell an der kurzen Leine hält. Um seine beiden Töchter kümmert er sich gar nicht, wohingegen er der zweifachen Witwe Booth, in deren Haus am Hafen des südenglischen Margate der verschlossene Maler unter einem anderen Namen mehrfach logierte, ein folgenreiches Liebesgeständnis macht. Sie wird zu seiner zärtlich Geliebten, mit der er ein eheähnliches bürgerliches Leben führt. Als er im Alter gesundheitlich gefährdeter wird, verkauft sie ihr Haus & zieht nach Richmond in die Nähe von London, damit sie näher bei ihm ist & er sie häufiger besuchen kann.

Der sowohl anerkannte als auch umstrittene Romantiker, dessen Loblied das frühreife Muttersöhnchen John Ruskin, dieser einflussreiche Kunsthistoriker & Lebensreformer in Großbritannien, bei jeder Gelegenheit öffentlich singt – was Mike Leigh zu einigen ironischen Szenen nutzt –, war trotz seiner Naturliebe dem technischen Fortschritt gegenüber aufgeschlossen, ja sogar neugierig. Er benutzte die ersten Eisenbahnen (& verewigte sie als einer der ersten auf seinen Gemälden, was sie weniger ihrer Stahlkraft als ihrer Rauchfahne zu verdanken hatten). Auch war er derart von der neuen amerikanischen Porträtfotographie begeistert, dass er nicht nur sich allein, sondern auch sich in Begleitung seiner Geliebten ablichten ließ – ein Umstand, der durch Zufall seine Londoner Haushälterin auf die Spur seines bürgerlichen Doppellebens mit der verwitweten Mrs. Booth führt, in deren Haus er zuletzt stirbt, betreut von jenem Doktor aus Margate, der ihm schon dort sein inkognito nicht geglaubt & als Mr Turner erkannt hatte.

Mr turner_still

Zwei humoristische Sequenzen, die untergründig mit einander zu tun haben, hat Mike Leigh in seinem Porträt des selbstbewußten britischen Künstlers – dessen ruppiges Verhalten gegenüber seinen Zeitgenossen einen an Beethoven im adligen Wien der Restauration erinnert – mit ironischem Witz wohl besonders gerne inszeniert: Einmal hört der in einem Nebenzimmer versteckte Maler, wie sich die junge Queen Victoria gegenüber ihrem Prinzgemahl Albert während eines Besuchs der Royal Academy besonders abfällig über Turners Bilder auslässt & einige Jahre später plustert sich ein usamerkanischer Multimillionär vor dem Maler auf & will für einen wahnwitzigen Betrag dessen gesamtes Oeuvre auf einen Schlag kaufen. Stolz lehnt Mr. Turner ab & bescheidet den Selfmademan von jenseits des Atlantiks mit der Begründung, er wolle sein Gesamtwerk zusammenhalten & der britischen Nation schenken, damit es nicht im Privaten verschlossen, sondern kostenlos von jedermann gesehen werden könne. Mike Leigh inszeniert diese Düpierung des reichen Amerikaners derart pointiert, dass man schmunzelnd auch vermuten könnte, der britische Filmregisseur habe hier durch die Blume seines „Mr. Turner“ einen Kommentar sowohl zum aktuellen Kunstmarkt als auch zum Verhältnis Hollywood – Europäisches Kino eingeschmuggelt.

Aber die überwältigende Schönheit dieses mit Dickensianischem Humor beschworenen viktorianischen Englands rührt vor allem von der meisterlichen Kameraarbeit Dick Popes her, mit dem Mike Leigh (wie mit Timothy Spall) früher schon öfter zusammen gearbeitet hat. Hier aber hat das Trio der Freunde den Höhepunkt ihrer Kooperation erreicht.

Seit Polanskis Thomas-Hardy-Adaption „Tess“ (1979) hat man keine grandioseren Landschaftsaufnahmen mehr im britischen Film gesehen – als jetzt die William Turners expressivem Impressionismus verpflichteten Landschaftspanoramen, in denen „Mr. Hardy“ buchstäblich schwelgt! Aber daß Mike Leigh mit seinem Porträt des exzentrischen Malers mehr im Sinne hatte als eine kniefällige Huldigung vor dem Genie des Künstlers, beweist die Coda des Films. Er endet nämlich nicht mit dem Turners Tod, wie es für solche „Biopics“ sich angeboten hätte. Sondern mit zwei Sequenzen, die uns jene beiden Frauen noch einmal vor Augen stellen, die ihn wahrlich geliebt haben: die putzmuntere späte Geliebte Booth, wie in der Erinnerung an ihn glücklich lächelnd & die von der Krätze gezeichnete Bedienstete Hannah, die durch das mit Bildern vollgestellte, menschenleere Stadthaus Turners einsam streift: die trostlose menschliche Hinterlassenschaft des Mannes, der sie nur zeitweilig gebraucht hatte.

Wolfram Schütte

Mr. Turner – Meister des Lichts. Regie und Drehbuch: Mike Leigh. Kamera: Dick Pope. Darsteller: Timothy Spall,Paul Jesson, Dorothy Atkinson. 150 Minuten. Ab 6 Jahre. Verleih: Prokino (Fox)

Tags : , ,