Geschrieben am 19. Dezember 2012 von für Litmag, Porträts / Interviews

Im Porträt: Kyrene.Literaturverlag und Martin Kolozs

KyreneSachertorte im Benedikt oder alles unter einen Hut gebracht

Ein Doppelporträt des Verlegers und Schriftstellers Martin Kolozs. Von Senta Wagner

Einmal Sachertorte, bitte! Das Treffen mit Martin Kolozs im Caféhaus Benedikt in Wien Ende 2012 ist quasi ein Treffen mit zweimal dem gleichen Herrn. Verleger verlegen Bücher, schreiben sie aber eher selten selbst. Der 34-Jährige macht genau das seit vielen Jahren: Er ist Verleger und Schriftsteller (und Journalist und mehr) und beides bringt er, so macht er den Eindruck, mühelos unter einen Hut. Das eine ist ihm so lieb und teuer wie das andere. Als typischerweise erweitertes Büro dient ihm das enge Benedikt. Warum, versteht man bei der später gewünschten Kurzführung durch den Verlag. Der Hauptraum sieht aus wie eine dunkle Theaterbühne, in den kleinen Nebenräumen stapeln sich Bücher. Hier, bei elektrischem Licht, wird also Literatur gemacht.

Zu Besuch im Kyrene.Literaturverlag

Zu Besuch im Kyrene.Literaturverlag

Befragt wird zunächst der Verleger, Überschneidungen mit dem Tun des Schriftstellers sind nicht ausgeschlossen. Martin Kolozs ist gebürtiger Innsbrucker, und in Tirol gab es zwar schon immer Berge, aber vor einiger Zeit noch kaum Verlage. Dieser Umstand und die Entdeckung einer exquisiten Kunstmappe von Georg Trakl waren für Kolozs das Signal, den Seitensprung von der Arbeit im Antiquariat ins Verlagsgeschäft zu wagen. Gemeinsam mit einem Partner wurde dann fast blindlings, aber mit großer Begeisterung für Literatur 2003 der Kyrene.Literaturverlag gegründet. Dessen allererste Publikation im Jahr 2004 versteht Kolozs als Würdigung des berühmten Lyrikers (geb. 1887 in Salzburg, gest. in Krakau, überführt nach Innsbruck), mit dem sich heute noch die junge Dichtergeneration künstlerisch auseinandersetzt. Unterstützung bekamen die Verleger vom angesehenen Brenner-Archiv (dem Literaturarchiv Tirols).

„Am Moor“ beinhaltet neben ausgewählten Gedichten von Georg Trakl zwölf Radierungen von Hubert Sommerauer. Die initiierte Reihe nennt sich Reihe alte Autoren. Da waren ein gutes Gespür und Glück gleich am Anfang mit im Spiel, die lokale Presse und Leserschaft nahmen die Neulinge mit ihrem Debüt gut auf. Schnell wird man in Innsbruck bei der weiteren Autorensuche fündig und reicht die Reihe junge Autoren nach mit dem in drei Auflagen erscheinenden Tiefprovinz-Roman „Bürger Metzger Meisterin“ des Berufsnörglers Helmuth Schönauer. Man betrieb „Orientierungsarbeit“. Der Roman ist inzwischen vergriffen, Schönauer noch heute Verlagsautor und aktuell im Herbstprogramm vertreten.

In dem gleichen Jahr, 2004, trennt sich das Verlegerduo und Kolozs macht allein weiter. Eine klassische Konstellation, ist bei Rowohlt ja auch so gewesen, sagt Kolozs. Viele Fehler habe er in den folgenden Jahren gemacht, viel Geld verloren, aber auch viel gelernt. In kleinen Schritten sei das damals alles gegangen, gesteht er heute, wo er zehn bis fünfzehn feste Autoren zu seinem Verlag zählt und etwa zwanzig lieferbare Titel betreut. Zu Beginn habe es drei, vier Neuerscheinungen pro Jahr gegeben, inzwischen bereits durchschnittlich sechzehn. Er pflege besonders den persönlichen Kontakt zu seinen Autoren, die nicht nur aus Österreich, sondern auch der Schweiz, Deutschland und den USA stammten. Das Lektorat ist Chefsache.

Der Verleger Martin Kolozs

Der Verleger Martin Kolozs

Der Verlag für DIE Leser

Der Verlag sei ein Publikumsverlag, betont Kolozs mehrfach. Mit seinen Titeln will er die Leserschaft ansprechen, mit der Betonung auf DIE. Ob ihm das gelinge? Mit ein paar Einzeltiteln auf jeden Fall, ansonsten stehe die Profilschärfung des Verlags im Vordergrund. Das Programm umfasst marktkonforme und unterhaltende zeitgenössische Literatur wie erzählende Prosa (Werner J. Egli, Franzobel), ein paar Gedichtbände (Herbert Rosendorfer), zurzeit noch Poetry Slam, ganz wenige Jugend- und sogar Kinderbücher sowie die monografische Reihe Tiroler Identitäten. Und Kunst mit einem Band des Zeichners Martin Schnur (2012).

Der Verleger ist sich sicher, da ist für jeden Lesergeschmack etwas dabei, dennoch seien die Startauflagen klein (ca. 500). Besondere Sorgfalt widmet er seiner bibliophilen Reihe Handpresse. Ende dieses Jahres erschien mit der Prosa WEISS von Zsuzsanna Gahse der zweite Band (100 Stück von Hand nummeriert). Hierin ist eine Reminiszenz an das Gründerjahr zu erkennen. Es geht aber auch saftiger: Richtige Verkaufshits hat das Buchhaus mit den zwei Titeln der Tiroler Sexualpädagogin Barbara Balldini gelandet: dem Ratgeber „Besser Schlampe als gar kein Sex“ (2010, eBook dt. und engl. 2012) und der Autobiografie „Nackte Halbwahrheiten“ (2012). Mit denen sei er schnell bei ganz anderen Auflagen- und Verkaufszahlen angekommen. Wie es ihm damit gehe? Es gehe ihm besser, denn je, strahlt der Verleger. Jedes verkaufte Buch sei ein Erfolg. Ratgeberliteratur boome, das zeigten allein die Rankings bei amazon. Verlegen ist und bleibt immer auch Glücksache. Neben regen Werbeaktivitäten hat es für Kolozs auch was mit Trends zu tun, dabei sei eine abwechslungsreiche Buchgestaltung für den Verkauf sehr wichtig. Beim Thema eBooks sei er mit ein paar Titeln gleich aufgesprungen, sehe es aber pragmatisch. Man sei in der Pionierzeit und die Preise noch erschwinglich. Wie es weitergeht, weiß sowieso niemand. Kulturpessimist ist er nicht, sagt er.

Im Gegenteil, der Verleger bleibt gelassen und ist von der „Grundausstattung“ her ein idealistischer Typ, vom Denken her gewinnorientierter Unternehmer, der von seiner Doppelrolle, dem Schreiben und Verlegen, leben und darüber hinaus einige freie Mitarbeiter beschäftigen kann. Ein entscheidender Schritt für den Verlag war es, 2011 über die Tiroler Berge zu wandern und ein zweites Verlagsbüro in Wien zu eröffnen. Mit der Kuh – dem Markenzeichen des Verlags. Für jede neue Verlagsvorschau nimmt sich ein ausgewählter Künstler das Motiv vor und illustriert damit das Cover. Beim Kyrene.Literaturverlag steht seitdem keine brave Kuh mehr auf der Alm. Freilich gehe es hier um die Wiedererkennung.

Der Autor Martin Kolozs

Der Autor Martin Kolozs

Mit Hut und Zigarillo

Auch der Autor Martin Kolozs legt Wert auf ästhetische Gesten. Man trägt Hut, und bei Lesungen wird gern ein Zigarillo zwischen den Fingern gezwirbelt. Es heißt, er boxe. Zur Selbstinszenierung passt, dass er fürs Theater schreibt. Etliche Stücke kamen bereits zur Uraufführung – meist in Tiroler Theatern –, die nach stilistischen Erprobungen klingen.

Kolozs mag grundsätzlich die Abwechslung, die breite Mischung, das zeigt sich in den eigenen Werken besonders deutlich: Seine Stücke nennen sich etwa Dramödien, 1-Raumstücke, Volksstücke, Sexspiele, Bühnenmonologe. Daneben schreibt er Krimistorys und -erzählungen, Liebesgedichte, Mördergeschichten, Stories.

Starke Einflüsse stammen aus der filmischen Schnitttechnik und vor allem der klassischen amerikanischen Literatur (Hemingway, Dashiell Hammett). Seine Prosa sei stark handlungsorientiert und dialoggesättigt. Geschrieben habe er eigentlich schon immer. Seine erste Veröffentlichung nennt sich „Mon ami“, Kriminalerzählungen, erschienen 2006 beim Skarabäus Verlag. Danach ging es Schlag auf Schlag: Kolozs ist keiner, der mit dem Schreiben oder persönlichen Poetologien hadert. Er schreibe nicht übers Schreiben, sondern suche vielmehr den Funken Wahrheit in der Fiktion (wieder Hemingway).

So veröffentlichte er 2012 gleich in zwei verschiedenen österreichischen Verlagen einen Roman. In der Branche hält man zusammen und verlegt sich halt gegenseitig. Gefallen müsse ihm das Werk allerdings schon, betont der Verleger, der in diesem Jahr den Roman „Trümmerbruch oder die Entdeckung des glücklichen Raumes“ des Verlegerkollegen Alfred Gelbmann herausgebracht hat.

Aktuell verfasst er die Auftragsarbeit „Nackt stehe ich vor dir“ für ein niederösterreichisches Off-Theater (UA im Herbst 2013, Wald4tler Hoftheater). Kleine Theater im Land seien ihm recht, aus Wien bisher noch keine Anfragen gekommen.

Das Jahr 2013 wird also nicht nur für den Schriftsteller wieder ein herausforderndes, sondern auch für den Verlag, der stolz sein zehnjähriges Jubiläum feiert – mit einem starken inhaltlichen Programm und ausgesucht schön gestalteten Büchern. Im Verlegerbrief spricht sich Martin Kolozs für die Liebe zur Literatur und zum Buch aus. Solche Worte fallen definitiv nur in kleinen, unabhängigen Verlagen.

Martin Kolozs_Immer NovemberKleine Buchempfehlung (nicht nur für Weihnachten)

In dem Roman „Immer November“ (2012) kreist Kolozs klug die Identitätskrise seines jungen Protagonisten ein und nimmt sich en passent nicht nur den Schopenhauerschen Wahrheitsbegriff vor. Hans Saltens familiäre Vergangenheit ist voller Gespenster; Lügen wurden diesem stets als Wahrheiten verkauft: „Ich war nicht ich, sondern jemand anderes, will heißen, ich fühlte mich nur identisch mit einer Vorstellung von mir, …“

Fluchtorte waren die Literatur und die Geschichten der geliebten Großmutter. Nach einem Suizidversuch gipfelt Saltens Fluchtverhalten in einer planlosen Reise ins pulsierende New York, wo er kurzfristig erneut absäuft. In Popham Beach bei Phippsburg, Maine endet die Flucht in der Begegnung mit dem Schriftsteller und Einzelgänger Norman T –. Dort wird unter viel Rotz und Tränen der schmerzliche „Film im Kopf“ gelöscht werden und das Ich zu sich selbst finden. Vielleicht lebt es fortan nach dem bedenkenswerten Motto: „Einzig was du für richtig hältst, ist richtig.“ „Immer November“ ist geglückt: lustvoll, verwegen, leichthändig unterhaltend und literarisch anspielungsreich.

Senta Wagner

Martin Kolozs: Immer November. Wels: Mitter Verlag 2012. 247 Seiten. 19,80 Euro. Ausführliche bibliografische Angaben finden Sie hier und hier. Fotos: Senta Wagner (Wien, Oktober 2012)

Zum Kyrene.Literaturverlag geht es hier.

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