Geschrieben am 12. September 2012 von für Litmag

Kevin Wilson: Die gesammelten Peinlichkeiten unserer Eltern in der Reihenfolge ihrer Erstaufführung

Verrückt!

Auf dem Cover von Kevin Wilsons Debütroman und Bestseller in den USA thront ein kleiner VW-Hippiebus über dem Titel: „Die gesammelten Peinlichkeiten unserer Eltern in der Reihenfolge ihrer Erstaufführung“, eingerahmt von blauen, wilden Zacken. Die Illustration vermittelt dem Leser auf den ersten Blick: „Verrückt und lustig ist das Buch in Ihren Händen, Spaß wird es machen!“ Von Kira Kötter.

Verrückt! Ja, das ist die Geschichte allemal. Beziehungsweise, ja, die Geschichte ist verrückt, aber noch viel verrückter sind die Personen, deren Geschichte wir lesen.
Annie und Buster sind Kind A und Kind B. Die Kinder von Caleb und Camille Fang, Performance-Künstler, die ihr Lebenswerk vollbringen: Die Kreation von echter, spontaner Kunst – ohne Rücksicht auf Verluste. Selbst ihre Kinder bleiben auf der Strecke und werden als Darsteller ihrer komischen Theater- und Kunst-Happenings ausgenutzt – müssen beispielsweise in einem Einkaufszentrum ein grauenhaftes Punkrock-Konzert abliefern und die Zeilen „Bringt alle Eltern um!“ in die verdutzte Menge grölen oder sich bei einer Shakespeare-Aufführung in der Schule innig küssen.

„Sie ist die Tochter von Caleb und Camille Fang. Das ist wichtiger als alles andere.“

Kein Wunder also, dass Annie nach ihrem Auszug alkoholabhängige und skandalbehaftete Hollywood-Schauspielerin wird und Buster sich bei der Recherche für einen Artikel das Gesicht von einer Kartoffel zertrümmern lässt. Und auch kein Wunder, dass sie kurz vor ihrem kompletten Absturz nur aus purer Verzweiflung Hilfe bei ihren Eltern suchen.

Zum Glück sind sie zu zweit:
„Buster, bitte, schnapp nicht über“, […] „Du weißt doch, deshalb sind wir zusammen. Wir sind hier, damit einer den anderen davon abhält, überzuschnappen.“

Verrückt genug? Sicher. Und irgendwie sind Wilsons Charaktere auch sympathisch, wenn sie sich extra angefertigte Vampir-Hauer („Fang-Zähne“) auf die Schneidezähne stülpen, um zu Weihnachten ein Familienfoto zu knipsen oder auf dem mit Schokoriegeln bedecktem Sofa  im Wohnzimmer hüpfend zu schriller Musik ihr vollendetes Projekt feiern.

Trotzdem fehlt an einigen Stellen der Geschichte etwas. Oder vielleicht fehlt es auch gar nicht, sondern ist zu viel oder fehl am Platz. Die Komik. Da, wo der Roman lustig sein soll, ist er stellenweise eher irrsinnig bzw. einfach manchmal zu verrückt. Zwar machen Ereignisse wie Busters Kartoffel-Kanonen-Bericht das Lesen spaßiger, aber wenn Caleb Fang auf die Idee kommt, ein Loch zum Mittelpunkt der Erde zu graben, ist das doch eher ein zu dick aufgetragenes Künstler-Klischee.

Dennoch: Der Roman ist mehr als nur eine verrückte Geschichte, er hat durchaus seine nachdenklichen Seiten. Er ist eine gelungene Kritik am Individualismus unserer heutigen Gesellschaft, in dem persönliche Projekte mehr zählen, als der große Zusammenhalt, so wie es bei den Fang-Eltern der Fall ist, die ihren Kindern mit ihren Performances das Leben schwer machen. Gleichzeitig stellt Wilson sich ständig die Frage: Wie weit darf Kunst eigentlich gehen?

Ein lachendes und ein weinendes Auge für dieses Buch – ganz nach dem Symbol des Theaters.

Kira Kötter

Kevin Wilson: Die gesammelten Peinlichkeiten unserer Eltern in der Reihenfolge ihrer Erstaufführung (The Family Fang). Übersetzung: Xenia Osthelder. Luchterhand 2012. 382 Seiten. 14.99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

 

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