Eine 88 minütige Taxifahrt durch Teheran – zum Preis eines Kinotickets. Christopher Werth ist bei Herrn Panahi eingestiegen.
Dieser Film ist eigentlich unmöglich. No budget, no Filmförderung, no Aufnahmeleiter, no Catering. Hauptbestandteil: die unfassbare Chuzpe und Trotzigkeit des Filmemachers. Trotz Arbeitsverbot, gerade abgesessenem Hausarrest und strengster Zensur durch die iranische Regierung erreicht Jafar Panahi die Weltöffentlichkeit. Der Film gewinnt nicht nur den goldenen Bären in Berlin, sondern wird auch noch weltweit begeistert besprochen.
Navigationssystem: Kreativität
Kreativität findet ihren Weg. Eine Kraft, die umso stärker wirkt, je mehr ein Mensch zu sagen hat. Und je mehr er daran gehindert wird, es aussprechen. Genau das macht diesen Film so besonders: Es hätte ihn eigentlich gar nicht geben können. Kein normaler Produzent oder Regisseur hätte unter diesen Umständen und unter dem herrschenden nicht geraden zimperlichen Regime der Islamischen Republik Iran auch nur darüber nachgedacht. Zitat Jafar Panahi: “Nothing can prevent me from making films since when being pushed to the ultimate corners I connect with my inner-self and, in such private spaces, despite all limitations, the necessity to create becomes even more of an urge. Cinema as an art becomes my main preoccupation. That is the reason why I have to continue making films under any circumstances to pay my respect and feel alive.”
Und so wird’s gemacht: Um die Behörden auszutricksen, wird der Regisseur Panahi zum Taxifahrer. Was soll ein arbeitsloser Künstler sonst auch tun? Und mit einer ganz gewöhnlichen Sicherheitskamamera, wie sie bei Taxifahrern auf der ganzen Welt zur Zeit in Mode ist, zeigt er uns auf einer mittäglichen Tour durch Teheran heimlich seine Sicht auf die irakische Gesellschaft. Schließlich kann kaum jemand so vielen unterschiedlichen Menschen aus unterschiedlichsten sozialen Schichten in so kurzer Zeit begegnen, wie ein Taxifahrer.
Die Fahrgäste und ihr Verhältnis zum Regime
Durch die Scheibe des Taxis blickt man auf ein ganz normale Kreuzung mitten in Teheran. Dann dreht der Fahrer die Kamera um und richtet sie auf die Fahrgäste. Im Laufe der 88-minütigen Fahrt steigen verschiedene Charaktere ein und aus, die dann jeweils symbolisch und leicht verschlüsselt für ein Thema im heutigen Iran stehen. Und obwohl man meist klar Panahis Intention hinter diesen Figuren erkennt, ist man nicht verstimmt. Da ist die politisch interessierte und liberal denkende Lehrerin, die mit einem Taschendieb diskutiert, der schon bei leichten Delikten die Todesstrafe fordert. Ein Schwarzmarkthändler, der mit den neusten Filmen und Serien dealt, die auch die jungen Leute im Westen sehen wollen. Da gibt es dramatische Szenen, in denen eine Ehefrau ihrem schwer verletzten Mann auf Video ein Testament abringt, um nicht von seinen Brüdern auf die Straße gesetzt zu werden. Die sind die beiden Goldfisch-Damen, die ihren Goldfisch pünktlich bei einer heiligen Quelle aussetzen müssen, weil sie glauben, dass ihr weiteres Überleben davon abhängt. Ein Freund des Regisseurs erzählt, dass er überfallen wurde und die Täter erkannt hat – es aber nicht übers Herz bringt, sie der brutalen Polizei auszuliefern. Die Anwältin und Menschenrechtlerin Nasrin Sotudeh fährt ebenfalls mit. Wie unser Fahrer und Regisseur hat sie sich getarnt – als Rosenverkäuferin. Den meisten Raum nimmt allerdings die temperamentvolle Nichte des Regisseurs ein. Sie beschwert sich, dass ihr berühmter Onkel sie in so einer schäbigen Karre abholt und sie nicht gleich auf einen Frappuccino einlädt. Während sie mit ihm im Taxi unterwegs ist, macht sie gewissenhaft mit einer Digitalkamera ihre unlösbaren Hausaufgaben: Sie soll nämlich auch einen Film drehen. Und zwar genau nach den Zensur-Vorgaben, die ihre Lehrerin verkündet hat. Wie z.B.: Die Welt soll genau so gezeigt werden, wie sie ist. Es darf aber nichts Böses vorkommen. Wenn, dann müssen die guten Menschen einen Bart tragen und einen religiösen Namen, und die Bösen eine Krawatte. Es darf um Liebe gehen, aber Mann und Frau dürfen sich nicht im selben Raum aufhalten, etc. Als ihr Onkel sie mal kurz allein lässt, überredet sie einen Straßenjungen dazu, gefundenes Geld einem Brautpaar zurückzugeben – nur damit ihr Film auch den Regeln entspricht… Am Ende des Films schlägt dann doch noch die Zensur zu: Als Onkel und Nichte aussteigen, um den Goldfisch-Ladies eine verlorene Geldbörse zurückzugeben, brechen zwei vermummte Männer ins Taxi ein und durchsuchen es. Aber – sie finden keine Speicherkarte.
Panahi hat wieder gewonnen
Panahi triumphiert über das Regime. Wie schon bei einem seiner Vorgängerfilme “This Is Not A Movie” – da wurde der Film auf einem USB-Stick in einem Kuchen nach Cannes geschmuggelt. Sein Film erreicht und berührt uns über alle Grenzen hinweg. Und er bringt uns den Iran und seine Menschen näher. Ein politischer Essay über die Unterdrückung und Freiheit von Kunst. Und abschließend kann man sagen: Aussagekraft und Budget stehen bei diesem Film im genau umgekehrten Verhältnis wie beim Blockbuster “Jurassic World”.