Ein Bier für den Bürgermeister:
Stefan Beuse war in Prag – und hat einem hoffnungsvollen Jungpolitiker eine wertvolle Lektion erteilt…
In der Botschaft in Prag wurde der Tag der Deutschen Einheit gefeiert. Und zwanzig Jahre Städtepartnerschaft Hamburg – Prag. Da ich die „Gebrauchsanweisung für Hamburg“ geschrieben habe, sollte ich eine Handvoll vorsignierter Exemplare davon mitbringen. Für seine Exzellenz, den Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in der Tschechischen Republik mit besten Empfehlungen und so weiter. Ein Buch war auch für den Ersten Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg mit den besten Empfehlungen. Dass unser Bürgermeister eine Gebrauchsanweisung für die Stadt braucht, die er regiert, leuchtete mir sofort ein, er ist ja noch nicht so lange im Amt, da braucht man noch ein wenig Orientierung.
Den ganzen Abend trug ich also Bücher mit mir herum wie ein Verlagsvertreter und wartete darauf, dass ich den Staatsräten, Exzellenzen, Bürgermeistern und Ehrengästen vorgestellt würde, auf dass ich das jeweils korrekt gewidmete Exemplar mit einem artig aufgesagten Spruch hervorziehen und überreichen könnte und mein Päckchen leichter würde. Das klappte ganz gut, und die Exzellenzen waren auch immer umgeben von satellitengleich sie in unterschiedlicher Entfernung umkreisenden Helfern mit Plastikkarten an Bändern um den Hals oder sich hinter dem Ohr hervor spiralenden Geheimdienstkäbelchen; sie waren sofort zur Stelle, wenn es etwas zu tun gab, wenn also ein Buch überreicht wurde oder sonst was. Das verschwand dann blitzschnell in einem Täschchen, in dem sich ein aktives Schwarzes Loch befinden musste, es schluckte alles.
Irgendwann war der Abend soweit, dass man sich in den beheizten Großraumzelten sein Bier selbst zapfen musste. Auch ich zapfte mir ein Bier, es kam fast nur noch Schaum raus, ich bin kein guter Zapfer, es dauert, ich kann das nicht, so zackzack mit Schaum immer wieder wegkippen und so. Weil ich nun aber länger da stand, verwechselte man meinen Dilettantismus wohl mit Professionalität und gab Bestellungen auf. Mir war das egal. Schule in Demut, immer gut; man bestellte, ich zapfte.
Vor mir standen bald gut ein Dutzend Gläser mit Schaum und ein Haufen ungeduldiger Leute.
„Ein Bier für den Bürgermeister!“ rief von ganz hinten jemand und fuchtelte mit den Armen. Es war einer der Plastikkarten-am-Bande-Träger, ein Emporkömmling, gerade fertig mit dem Jurastudium.
„Das kann aber dauern“, sagte ich.
Der Junge begriff nicht. Ob der Herr Bürgermeister sein Bier heute wohl noch bekomme, fragte er nach wenigen Sekunden. Ich zwinkerte dem Bürgermeister über die Schulter seines Adjutanten hinweg zu und machte eine Bewegung, die ich für eine typische Schankwirtgeste hielt. Der Bürgermeister schien sichtlich beeindruckt, dass der Herr Künstler sich nicht zu schade war, seinem Volk zu dienen und – gewissermaßen über Bande – nun auch ihm. Ich war ebenfalls beeindruckt. Der nun heftig zu schwitzen beginnende Mittzwanziger weniger. Er tat, was Karikaturen seines Standes immer tun: Er buckelte nach oben und trat nach unten. Nur ein klitzekleines Momentchen noch, Herr Bürgermeister, halten zu Gnaden, Herr Bürgermeister, wird’s bald, du Penner, ich steh hier nicht zum Vergnügen!
Bedauerlicherweise, sagte ich, gebe es keine sauberen Gläser mehr, und er werde dem Herrn Bürgermeister doch wohl nicht …
„Das – ist – mir – vollkommen – egal“, buchstabierte er mir ins Ohr und gab hernach deutlich zu verstehen, dass hier entweder innerhalb der nächsten zehn Sekunden ein gut gefülltes Glas stehe, Freundchen, oder ich nie wieder hinter einem Tresen.
Ich griff nach seiner Plastikkarte, hielt sie ganz dicht vor mein Gesicht und zog ihn gleichzeitig am Bande hinter den Tresen. „Leute wie du, Nils“, sagte ich, „Leute wie du sind es, auf denen die Hoffnungen der Menschen ruhen. Du willst nach oben, Nils“, sagte ich, „das ist gut. Doch damit wächst deine Verantwortung. Das wissen auch der Herr Bürgermeister und ich.“ (An dieser Stelle zwinkerte ich dem Bürgermeister, für Nils gut sichtbar, verschwörerisch zu.) „Erweise dich als würdig, Nils. Wer dereinst den Ring ins Feuer werfen will, muss das Vertrauen des Volkes erlangen.“
Nils verstand nicht. Ich hielt ihm mein leeres Glas hin. Nils verstand.
„In fünfzehn Sekunden kann deine politische Karriere die nächste Stufe erreicht haben“, sagte ich und schlug Nils auf die Schulter. „Oder sie kann vorbei sein. Nur zwei Biere trennen dich vom Abgrund oder vom Olymp. Nur zwei Biere, Nils. Eins für den Bürgermeister und eins für mich.“
Ich weiß nicht, wie er es angestellt hat, aber Nils hat das hingekriegt. Ganz ohne Schaum.
Stefan Beuse