Taschen XXL
Ein Mini-Zirkuszelt auf dem Gelände der Frankfurter Buchmesse, das kennen wir. Eine Weiternutzung des futuristischen Audi-Pavillons von der Automobilmesse während der Bücherschau gab es auch einmal, „brand eins“ profitierte davon (und konnte gerade mit dem 134-seitigen Audi-Geschäftsbericht 2015 als „Beilage“ seine Werbeeinnahmen aufbessern, das Wirtschaftsmagazin selbst hat 156 Seiten). Aber das sind Kinkerlitzchen gemessen an dem glamourösen und zugleich wohltätigen Auftritt, den sich der Verlag Benedikt Taschen auf der weltweit größten Messe der Eitelkeiten, nämlich beim Filmfestival von Cannes, jetzt im Mai 2016 einfallen ließ. Wie viele der Bücher dieses 1980 gegründeten, familieneigenen, unabhängigen und längst international gut aufgestellten Verlags war das Supersize. Eine Aktion im XXL-Format.
Inspiriert von Buckminster Fuller
Genauer gesagt, im Präfabrikationsformat von Jean Prouvés „Total Filling Station“, die der berühmte französische Architekt und Designer im Jahr 1969 für den Energiekonzern Total als überall auf der Welt aufzubauenden Pavillon entwarf. Prouvé (1901–1984) war bekannt dafür, so wenig Material wie nur möglich zu verwenden und ließ sich von Buckminster Fullers „Dymaxion Globus-Haus“ aus den 1920er inspirieren. Dieses Kofferwort versammelte die Begriffe „dynamic“, „maximum“ und „tension“ (Spannung), als Portmanteau würde es auch auf das Buchprogramm von Taschen zutreffen. (Hier gehts zum Aufbau des Pavillons im Zeitraffer.)
Prouvés einfache und doch elegante Struktur kann schnell und leicht zusammengebaut werden, die Fassade besteht aus 13 Kunststoff- und Glaspanelen. Im Garten des Hotel Du Cap-Eden-Roc in Cap d’Antibes nahe Cannes sah sie wie ein mondäner Filmset aus. Der Glaspavillon beherbergte eine Bibliothek mit 444 Taschen-Büchern, darunter zahlreiche limitierte „Collector’s Editionen“, außerhalb von Karl Lagerfelds Bücherhöhle wohl eine der umfassendsten Taschen-Sammlungen weltweit. Schätzpreis: 1,5 Millionen, den Pavillon obendrauf. (Was einen Durchschnittspreis von 3.378 Euro je Buch macht, welch anderer Verlag könnte mit seinen Büchern solch eine Rechnung aufmachen?)
Das Ganze war deklariert als eine Spende, die dann im Rahmen der „23. Cinema Against Aids“-Gala zugunsten der Foundation for AIDS Research (amfAR) versteigert wurde. Der Erlös: stattliche 2,7 Millionen Euro, wahrlich kein Taschengeld für die lebensrettenden Forschungsprojekten der amfAR-Stiftung. Der Ersteigerer blieb anonym.
Bisher sind mit den Cinema-Against-Aids-Galas rund 200 Millionen Dollar an Spenden eingesammelt worden. Manche Filme(innahmen) sind doch zu etwas nütze.
Insgesamt kamen jetzt im Hotel Du Cap-Eden-Roc etwa 22,4 Millionen Euro zusammen, verlost wurden unter anderem ein einwöchiger Aufenthalt im Palm-Springs-Anwesen von Leonardo DiCaprio und ein Tag mit Hollywoodstar Kevin Spacey, der als Master of Ceremonies durch den Galaabend führte. Beides brachte 575.000 beziehungsweise 500.000 Dollar ein.
Ein Zehntel der Einnahmen bei einer hochprominent besetzten Charity-Aktion von einem Buchverlag bestritten, das ist – sämtliche Dekadenzgebühren in Rechnung gestellt – immer noch ein überaus gewichtiges Argument für das gedruckte Buch und dessen Zukunft. An einem Ort und bei einem Festival, bei dem Bücher als zu verscherbelnde Filmrechte wahrgenommen werden und eher als Steinbruch angesehen sind, aus dem man sich bedient, hat diese Aktion symbolischen Charakter. Benedikt Taschen hat hier nicht nur für seinen Verlag, sondern für die Buchwelt insgesamt Imagepflege betrieben. So dekadent manche das finden mögen.
Kommentare hierzu ausdrücklich erwünscht. Und natürlich Vorschläge, was Taschen als nächstes Spendenprojekt machen sollte, wir werden das weiterleiten. Auf der letzten Frankfurter Buchmesse war der Verlag nicht mehr mit einem Stand präsent, vielleicht findet sich ja irgendwo wieder ein Platz für einen Prouvé-Pavillon voller Bücher. CulturBooks hätte dort gern ein Regal, möglicherweise andere innovative Kleinverlage auch; hier geht es zu unserem Herbstprogramm. Und hier zur Internetpräsenz des XXL-Verlags.
Alf Mayer