Geschrieben am 17. Oktober 2012 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Kommentar: Wolfram Schütte zum Fall des Lance Armstrong

Der Größte der Rafffahrer, oder: Lance am Ende?

– In der Haut von Lance Armstrong möchte ich jetzt nicht stecken, in der von Jan Ullrich schon früher aber auch nicht. Es dürfte nicht angenehm sein, nun vor aller Welt als Betrüger dazustehen, wo man jahrelang vielfach als grandioser Sieger der „Tour de France“ gefeiert wurde. Die moralische Fallhöhe ist gigantisch & der Absturz nun in die tiefste Klamm der Gemeinheit exorbitant – wie manch drohender Abgrund auf der Pyrenäenstrecke der „Tour” es physisch war. Wolfram Schütte zum tiefen Fall des Lance Armstrong.

Der amerikanische Meisterfahrer hat das perfekte Verbrechen versucht: einen kapitalen Betrug, wenn auch kein mörderisches Kapitalverbrechen. Denn ein perfektes Verbrechen (wie die Jack-the-Ripper-Morde) wäre es gewesen, wenn man Armstrong sein Doping so wenig hätte nachweisen können, wie man bis heute den britischen Prostituiertenmörder nicht identifiziert hat.

Ein perfektes Verbrechen wäre es, als solches nicht erkannt worden zu sein. Deshalb wird es wohl mehr perfekte Verbrechen geben als wir ahnen können. Denn nur bei den gescheiterten wissen wir von der verfehlten Ambition. Die gelungenen sind so perfekt, dass sie von ihren Ausführenden auf ewig verschwiegen & mit ins Grab genommen werden. Nur ganz wenige Verbrecher, denen es gelungen war, ihre Tat erfolgreich & fugendicht vor den Augen der Welt zu verbergen, konnten der Versuchung, ihren Triumph der unwissenden & betrogenen Welt bekannt zu machen, am Ende nicht widerstehen.

Offenbar gehören die thüringischen Nazi-Killer zu diesen Narzisten, die im Augenblick ihres selbst gewählten Todes ihre bis dato unbekannten Morde öffentlich machten – falls alles wirklich stimmt, was uns dazu bisher von den Landes-Behörden aufgetischt worden ist. Nach allem aber, was man von den deutschen Behörden über sie selbst erfahren hat, wäre es zweifellos angebrachter, ihnen in dieser Sache erst einmal gar nichts mehr zu glauben. Während man uns zumutet, die wahnwitzigsten „Fehler“ & „Versäumnisse“ der Verfassungsschutzämter für „die reine Wahrheit & nichts als die Wahrheit” zu halten, nur um nicht in eine „Verschwörungstheorie” zu tappen, hat bisher aber noch kein Journalist es gewagt, über die geistige Verfassung & Nähe der Verfassungsschützer zu den Neonazis sich seine Gedanken zu machen, obwohl sie doch so nahe liegen – wie eine „linke“ Gesinnung unter derlei Staatsschützern fern sein dürfte.

Aber zurück zu Lance Armstrong & seinen offenbar generalstabsplanmäßig & gangsterhaft durchgeführten Doping-Verbrechen. Denn dass er die Mitwisser in seinen Teams durch Mitdoping als potentielle Verräter mundtot zu machen glaubte, erinnert an den Mafia-Ritus, durch einen Mord erst Mitglied der Bande zu werden.

Nachdem man das nun weiß, hat sich nicht nur der Doping-Verdacht bestätigt, der immer präsent war, wenn der Texaner wieder einmal eine Tour gewonnen hatte & während der Bergetappen dem ganzen Feld vorausgeeilt war.

Denn, geben wir´s ruhig zu: so recht hat keiner mehr bei Armstrongs phänomenalen Tour-Siegen geglaubt, dass sie auf „natürliche Weise” & without a little help (von Drogen) zustande gekommen seien. Die Ahnung seines Dopings begleitete ihn schon lange als Sieger mit unserem Misstrauen. Das ließ seine Tour-Triumphe zunehmend schal erscheinen & tangierte nachhaltig die Utopie jeglichen sportlichen Wettkampfs, wenn man darunter noch Ehrlichkeit, Fairness & gleiche physische Bedingungen für alle konkurrierenden Teilnehmer des Wettkampfs versteht.

Hatten wir aber bei Armstrongs jährlichen Tour-Erfolgen nicht alle längst schon davon Abschied genommen? Nur: wer rund um ihn als gedopt enttarnt worden war, schien sowohl bei einer Minderheit den Glauben an das „Naturwunder“ Lance zu bestärken, als auch bei einer Mehrheit das Misstrauen zu verstärken – nun vermehrt um die Vermutung, dass der Texaner raffinierter mit unbekannten, noch nicht nachweisbaren Mitteln dopen würde.

Insofern könnte man nun doch froh sein, dass der immer schon vermutete Betrüger & Lügner nachweisbar einer ist & sein jahrelanges Leugnen nun als fortgesetzter Betrug aller Welt vor Augen liegt.

Das perfekte Verbrechen des Lance Armstrong ist also doch nicht gelungen. Wie hätte es auch anders sein können – nachdem klar wurde, dass zu viele daran beteiligt waren, also auch trotz Armstrongs Omertà die Gefahr zu groß geworden war, dass wenigstens einer einmal sprechen würde?

Der Gedanke, als „Ehrloser“, als hartnäckiger, ebenso raffinierter wie gemeiner Verbrecher öffentlich erkannt worden zu sein, ist aber offenbar nur für jemanden peinigend, der noch ebenso sportliche wie moralische Ansichten von sich & den Weltläuften hat.

Das war schon bei Jan Ullrich nicht mehr der Fall & ist es wohl erst recht nicht bei dem „Boss der Bosse” des Radsports. Man muss wohl sogar davon ausgehen, dass beide mit der Aufdeckung ihrer Verbrechen, die sie bis heute noch nicht einmal zugegeben haben, durchaus gerechnet haben – wie lange sie ihre verbotenen Handlungen auch geleugnet und zu vertuschen versucht haben. Der fortgesetzte Betrug war der einkalkulierte (kleine) immaterielle Verlust eines überaus lukrativen Millionen-Geschäfts.

Ethisch betrachtet, sind Ullrich & Armstrong moralische Nihilisten, die nur eines im Auge haben: individuellen Profit, koste es, was es wolle: sowohl für den Sport, in dem sie tätlich wurden, als auch für ihr persönliches Ansehen unter ihren Zeitgenossen. Denn wenn sie auch nun ihre sportlichen Titel verlieren, so bleibt ihnen doch all das, was sie mit deren Hilfe an Reichtum gewonnen haben. Der materielle Gewinn, den sie im Laufe ihrer betrügerischen Karriere als vermeintlicher Ehren- & Sportsmänner eingehamstert haben, muss offenbar so gewaltig sein, dass sie dafür leichthin ihre Selbstachtung drangeben können. Sie erinnern damit an manchen der Gründerfiguren der kapitalistischen Industrie im neunzehnten Jahrhundert, die genauso skrupellos ihre noch heute existierenden Riesenvermögen zusammengerafft haben.

Man wird ab jetzt zweifellos davon ausgehen müssen, dass die Radfahrer Armstrong & Ullrich nie etwas anderes waren als betrügerische Geschäftsleute. Nur durch Betrug konnten sie solche Geschäftsleute werden; der Sport war, seit sie ihre Karriere betrieben, der blendende Paravent, der ihre Ehrbarkeit bloß vortäuschen sollte, damit sie dahinter umso leichter zu ihren schmutzigen Geschäftsgewinnen gelangen konnten: Rafffahrer, nichts sonst.

Wolfram Schütte

Foto: Lance Armstrong at the team presentation of the 2010 Tour de France in Rotterdam. Quelle: haggisnl, Creative Commons Lizenz 3.0