Geschrieben am 9. Mai 2012 von für Litmag

LitMag-KurzProsa: Peter Weiss

Aus: Der Schatten des Körpers des Kutschers (1960)

Der Schatten der Kaffeekanne löste sich, nach einer heftigen Seitwärtsbewegung der Körper, vom Schatten der Hand, und fiel herab; einige Sekunden lang lösten sich die Schatten der Körper voneinander, der Körper der Haushälterin zeigte sich mit der vorgewölbten Linie der Brüste, zurückgeneigt über den Tisch, und der Schatten des Kutschers öffnete sich, hoch aufgerichtet, fuchtelnd und wie mit Flügeln schlagend, die Masse des Schattens des Mantels von sich abwerfend. Nachdem der Mantelschatten über den Körperschatten des Kutschers hinabgeflattert war warf sich der Körperschatten des Kutschers wieder nach vorn, und der Schatten des Körpers der Haushälterin stieß sich ihm entgegen, dabei griffen die Schatten der Arme der Haushälterin in den Schatten des Körpers des Kutschers hinein, um ihn hinaus, um ihn herum, und die Schatten der Arme des Kutschers bohrten sich in den Schatten des Körpers der Haushälterin hinein und um ihn herum.

 

Bericht aus dem Regenbogenbücherregal zum 30. Todestag des Schriftstellers Peter Weiss am 10. Mai 2012

Wir sind beim Buchstaben W angekommen, das eine Buch dort hat einen vollkommen orangenen Umschlag, auf der Vorderseite Schrift und Linien, mehr nicht, ein bisschen abgegriffen, ziemlich breiter Rücken, in ein Format der Übergröße gepresst, weicher Einband – kurz, ein Taschenbuch(1) der seit 1963 bestehenden berühmten Reihe edition suhrkamp (der Regenbogen-Reihe). Daneben stehen weitere W-Bücher, noch ein orangenes(2), eins in Lila(3), ein regenbogenfarbenbuntes(4). In dem Bücherregal stehen also ein paar Titel aus dem schriftstellerischen Werk von Peter Weiss, der vor dreißig Jahren, am 10. Mai 1982, in Stockholm starb.

Peter Weiss wurde am 8. November 1916 bei Berlin geboren, landete aufgrund seiner jüdischen Herkunft früh im Exil und lebte ab 1939 in Schweden bis zu seinem Tod. Weiss war ein Versuchender, ein Experimentierender, er arbeitete als bildender Künstler und Filmemacher. Immer wurde geschrieben, Prosa, Theaterstücke, die bekannten Notizbücher, auch in schwedischer Sprache. Erst im Jahr 1960 erschien sein bereits 1952 entstandener hauchdünner Mikro-Roman „Der Schatten des Körpers des  Kutschers“ in Deutschland und wurde als „literarisches Ereignis des Jahres“ gefeiert. Zu Recht glänzt diese sprachlich artistische, körperbezogene Prosa noch heute. Damals nahm sie sich avantgardistisch aus. 1982 erhielt der Autor den Georg-Büchner-Preis.

Hinweis: Anlässlich des diesjährigen Todestags des Künstlers gibt es zahlreiche Veranstaltungen und Theaterinszenierungen, die umfassend auf der Homepage der Internationalen Peter Weiss Gesellschaft nachzulesen sind.

Oben: Eine Kostprobe aus dem Regenbogenbücherregal (aus: Peter Weiss: Der Schatten des Körpers des Kutschers, 1960). Foto: cc, Dietbert Keßler, Autor Peter Weiss, 1982.

Bibliografie:

(1) Das Kultbuch von Peter Weiss: Die Ästhetik des Widerstands. Dreibändige Romanausgabe. edition suhrkamp Neue Folge Band 501, 1988. 267 Seiten.
(2) Theater, Theater von Peter Weiss: Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats. Drama in zwei Akten. edition suhrkamp 68, 1964. 143 Seiten.
(3) Mit sieben Collagen von Peter Weiss: Der Schatten des Körpers des Kutschers. Mikro-Roman. edition suhrkamp 53, 1960. 91 Seiten.
(4) Surrealer Zauber von Peter Weiss: Das Gespräch der drei Gehenden. edition suhrkamp 3302, einmalige Sonderausgabe des Fragments 1996. 122 Seiten.

Senta Wagner

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