Geschrieben am 17. September 2014 von für Litmag, LitMag-Lyrik

LitMag-Weltlyrik: Albert Ostermeier

800px-Albert_Ostermaier_-_Erlangen_2011accademia

die nacht sinkt nieder und
wir sollten uns verlassen wie
vielfach dämmerung mag
noch in unsere venen passen
wann können wir uns lassen
ohne uns anzufassen es fassen
das rote violett den abschied
unter jedem lid ein bild
ein pinsel der kreise zieht
ein tropfen der ins wasser
fällt eine träne die den kanal
am fliessen hält.

 

Fast alle Gedichte von Albert Ostermaier in seinem neuen Band mit dem Titel „Ausser mir“ ( Berlin, 2014 ) sind länger. Einige sogar wesentlich länger als ‚accademia‘. Aber abgesehen von der Länge ähneln sich alle Gedichte in ihrem Rhythmus und in ihrem ‚Sound‘. Und alle Gedichte sind in Kleinbuchstaben verfasst. Satzzeichen gibt es keine. So stürzen die einzelnen Gedichte geradezu auf den Leser ein, der verwirrt nach so etwas wie einen ‚roten Sinnfaden‘ sucht. Aber schon nach zwei, drei Gedichten schwindet langsam die Fremdheit in dieser ungewohnten Art zu schreiben. Man hört sich dann ein in diesen unterbrechungslosen Wortstrom, der sich dann doch zum Ende hin zu einem Ganzen zusammenfügt. Es gibt, um bei dem Bild eines Flusses zu bleiben, so etwas wie ein Flussbett, das aber nicht künstlich angelegt ist, sondern das Mäandern des Gedichts über die Seite erlaubt, ohne dass es in ein Nirgendwo mündet.

„mein herz schlägt/ dir ins gesicht/ mich kannst du vergessen/ meine liebe vergisst du/ nicht denn mein herz/ hat nen stich/ wie ich und sticht bevor es bricht und dir/ das letzte mal ganz und/ gar mit haut und haar/ aus dem herzen spricht/ denn bist du mit mir fertig bist/ bin ich nicht fertig mit dir/ und wenn du ich ich sagst dann hör ich wir und spür wenn du mir den laufpass gibst dass du mich liebst/ und mir vergibst denn/ wie wir es drehen einander/ zu verstehen und auf händen/ zu gehen das los zu wenden/ du fährst aus deiner haut in/ meine und ziehst mir übern/ kopf die deine so stellen wir/ unsre liebe auf die beine.…“

Wunderbare Liebesgedichte wie dieses findet man in dem Band und dann auch mitreißende Gedichte, die Ostermaier Venedig gewidmet hat. Dass man dieser viel besungenen und mit Säcken voller Kitsch überhäuften Stadt tatsächlich noch mit einem neuen, vorher noch nicht gehörten Ton nähern kann, zeigt die große Sprachkraft dieses Autors.

Carl Wilhelm Macke

Nachsatz zur Reihe “Weltlyrik”: Wenn man fast täglich im Rahmen der Koordinierung des Netzwerks „Journalisten helfen Journalisten“ (www.journalistenhelfen.org) mit Mord und Totschlag auf allen fünf Kontinenten konfrontiert wird, dann wundert man sich, warum immer wieder auch verfolgte Journalisten in aller Welt neben ihren Recherchen über korrupte und diktatorische Regime Gedichte schreiben und lesen. Gäbe es sie nicht, es würde uns etwas fehlen – etwas Großes, etwas, das uns leben und träumen, kämpfen und trauern, lieben und verzeihen lässt. Aber “Poesie ist aber auch eine große Sprachübung. Ich kann nicht auf sie verzichten. Sie verlangt tiefe sprachliche Konzentration, und das kommt der Prosa zugute” (Der polnische “Weltreporter” Ryszard Kapuscinski). CWM

Das Gedicht ist erschienen in: Albert Ostermeier: Außer mir. Gedichte. Surhkamp 2014. 198 Seiten. 21,95 Euro. Foto: Wikimedia, Creative Commons. Autor: Amrei-Marie, Quelle.

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