Geschrieben am 20. März 2013 von für Litmag, LitMag-Lyrik

LitMag-Weltlyrik: Blanca Varela

Blanca VarelaEin Fenster

Wieder zähle ich meine Finger.
(Die Eisblume, der unbekannte Kopf, der mir auflauert,
sich löst und schreit.)

Ich betrachte die Wände, ihre runden, flinken Früchte,
ich überschlage, addiere Steine, Asche, Wolken
und Bäume, die die Menschen verfolgen,
und Perlen, bösartigen Teichen entrissen
oder schwarzen Lungen im Grab,
entsetzlich lebendig.

Die Spinne, die im Menschenschritt herabsteigt, kennt mich,
sie herrscht über einen Winkel meines Gesichts,
dort nistet, dort singt sie gedunsen und sanft
inmitten ihrer grünen Seide, ihrer Trauben.
Draußen, dort, wo die Nacht wächst,
fürchte ich sie,
wo die Nacht wächst und in großen Tropfen fällt,
in tödlichen Blitzen.
Draußen, der schwere Atem des Ochsen,
das alte, rot geflügelte Fieber,
die Nacht, die hereinbricht,
eine dunkle Sprungfeder auf einer Brust.

Übersetzt von Susanne Lange

Erst durch die nicht genug zu lobende Anthologie lateinamerikanischer Lyrik von Michi Strausfeld (S.Fischer-Verlag, Frankfurt a. M. 2012) ist die Stimme von Blanca Vidal auch dem deutschsprachigen Publikum bekannt geworden. Geboren wurde Blanca Varela 1926 in Lima. Bis 1949 hat sie diese Stadt und Peru auch nicht verlassen. Erst dann lernte sie zum ersten Mal ein für sie damals fremdes Land kennen. In Paris lernte Varela den mexikanischen Schriftsteller Octavio Paz kennen, der sie wiederum mit großen europäischen Künstlern und Intellektuellen der Nachkriegsjahre wie Jean Paul Sartre, Simone de Beauvoir und Alberto Giacometti bekannt machte.

Von Paris ging sie nach Florenz und von dort dann später nach Washington. 1962 kehrte sie nach Lima zurück. Dort blieb Blanca Varela dann bis zu ihrem Tod im Jahre 2009, unterbrochen nur durch kürzere Reisen wieder nach Paris und in die USA. „Ihre Gedichte“, so schreibt Michi Strausfeld, „wenden sich nach innen, loten schonungslos sezierend die Einsamkeit, den Körper, das Verlangen aus, um auf diesem Weg zu einem Bild des Menschen zu gelangen.“

Eine sehr schöne Rezitation ihrer Gedichte (in spanischer Sprache) findet sich hier.

Carl Wilhelm Macke

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