Geschrieben am 5. Dezember 2012 von für Litmag, LitMag-Lyrik

LitMag-Weltlyrik: David Maria Turoldo

Poesia

è rifare il mondo, dopo
il discorso devastore
del mercadante.

David Maria Turoldo

Handelt es sich hier nun um ein Gedicht oder um eine Definition von Poesie oder ist es eine Art von Aphorismus? Um das zu entscheiden, muss man diese Zeilen zunächst einmal in die deutsche Sprache übersetzen. Es scheint sich dabei um einen einfachen Text mit nur wenigen Worten zu handeln.

Erster Versuch: „Poesie, das ist die Wiedererschaffung der Welt, nach/ dem zerstörerischen Diskurs des Kaufmanns“. Diese Übersetzung deutet zwar an, um welchen Inhalt es sich bei diesem Gedicht handelt, aber es klingt irgendwie sehr holprig, einfach „unschön“. „Diskurs“ ist ein Wort aus der akademischen Umgangssprache, das aber in einem Gedicht einfach keinen Platz findet.

Zweiter Versuch:„Poesie/ das ist die Erneuerung der Welt/ nach ihrer Zerstörung durch den Markt.“ Schon besser, aber „Mercadante“ mit „Markt“ zu übersetzen ist nicht ganz sauber. „Der Markt“ – das ist die Sprache des Wirtschaftsjournalismus oder von Philipp Rösner und Peer Steinbrück. Poesie ist etwas anderes.

Dritter Versuch: „Mit der Poesie kann man die Welt erneuern, nachdem sie vom Kommerz verschandelt worden ist.“ Damit kommt man den Gedanken des Autors beim Schreiben dieses Gedichts sicherlich sehr nahe, aber entfernt sich auch gleichzeitig von der dichten Poesie des Textes.

Vierter Versuch: „Poesie/ das ist die Wiederschaffung der Welt/ nach ihrer Zerstörung durch die Raffkes und Heuschrecken“. Damit treibt man natürlich weit weg von dem eigentlichen Text, aber kommt der heutigen „börsennotierten Weltrealität“ sehr nahe.

Kurz und gut: eine mich überzeugende Übersetzung dieser Poesie von Turoldo habe ich nicht gefunden. Vielleicht ist dieser Text ja auch unübersetzbar, auch wenn jeder der heute Gedichte liest oder schreibt und mit offenen Augen und klarem Kopf die Welt wahrnimmt, genau weiß, was uns der Dichter sagen wollte als er diese wenigen Zeilen schrieb.

Besser und genauer kann man nicht in Worte fassen, was die Möglichkeiten Poesie sein können in einer Welt, in der alles, aber auch alles monetarisiert wird. Man schreibt oder liest Gedichte, weil man einfach die Schnauze voll hat von der Welt der Banker, Investorengruppen, Moneymaker und gegeelten Bauspekulanten – keine schlechte Übersetzung des Toroldo-Gedichts…

Carl Wilhelm Macke

David Maria Turoldo (1916-1992) war ein katholischer Priester aus dem italienischen Friaul, der sich auch am Widerstandskampf gegen die Nazi-Wehrmacht in Italien beteiligte. In deutscher Sprache liegt von ihm nur ein schmaler von Christoph Ferber herausgegebener Band mit dem Titel „Die Verzweiflung zu lieben“ ( Zürich, 2002 ) vor. Foto Turoldo, Quelle.

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