Geschrieben am 3. Juli 2013 von für Litmag, LitMag-Lyrik

LitMag-Weltlyrik: Fedia Filkova

Fedia Filkova_NachtgrasDas Leben ist immer anderswo

Selten nur ist eine Treppe
derart eng, steil und gefährlich
wie in diesem Fall.
Du gehst sie vor meinen Augen
seelenruhig
nach getaner Arbeit hoch.
Rückblickend ins Atelier
ist es auf dem Bild das Kleid nur,
das noch zuckt.
Denn der Körper ist woanders.
Wo ist er? Das sag ich
später dir, dreh dich nicht um
jetzt,
sieh, da kommt die letzte Stufe.

Aus dem Bulgarischen von Andreas Tretner

 

Wie wenig wir doch wissen von der zeitgenössischen Kultur aus Ländern, die von uns einmal stupide und vollkommen undifferenziert in den sogenannten „Ostblock“ eingefroren wurden. Ein Land wie Bulgarien gehört jetzt zur Europäischen Gemeinschaft, aber unser Unwissen hat sich trotz freier Grenzen kaum verringert.

Dem kleinen österreichischen Drava-Verlag sei gedankt, dass jetzt eine Lyrikerin wie Fedia Filkova (geb. 1950) auch im deutschsprachigen Raum bekannt gemacht wird. Umgekehrt hat Fedia Filkova das Wissen um deutschsprachige Schriftsteller wie Ingeborg Bachmann, Ilse Aichinger, Christa Wolf, Friederike Mayröcker oder Ernst Janda durch ihre Übersetzungen schon seit langem in Bulgarien vertieft. Den deutschsprachigen Raum kennt Filkova sehr gut durch langjährige Aufenthalte in Wien und in Berlin.

Könnte man ihr Gedicht „Das Leben ist immer anderswo“ nicht auch lesen als ein Echo vieler ihrer Landsleute, die sich ein neues Leben nach dem Ende des Kommunismus in ihrem Land erhofft hatten und sich jetzt schon seit über zwei Jahrzehnte mit einer, höflich formuliert, wenig korruptionsresistenten politischen Elite herumschlagen müssen? Aber vielleicht ist diese Interpretation des Gedichts auch zu politisch und zu sehr von außen formuliert. Wir wissen ja so wenig von dem Leben in Bulgarien. Und trifft das Gedicht nicht auch eine bei uns verbreitete Stimmung? Das Leben ist immer anderswo…

Carl Wilhelm Macke

Das Gedicht wird erscheinen in: Fedia Filkova: Nachtgras. Gedichte. Aus dem Bulgarischen von Andreas Tretner. Drava Verlag, Klagenfurt 2013. 120 Seiten. 17,90 Euro. Quelle Foto: Unbekannt.

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