Geschrieben am 3. Oktober 2015 von für Litmag, LitMag-Lyrik

LitMag-Weltlyrik: SAID

Außer.dem_präsentation_nr._24_im_Lyrik_Kabinettrafael alberti und sein blaues vaterland

plötzlich taucht er auf den ramblas auf
mit weißen mähne und seinem festen schritt
mit dem eiligen wind in seinem gefolge
in den händen zwei gedichte
jemand spricht von seiner partei
alberti hält sich fest an seinen gedichten
und gebietet ihm zu folgen
vorbei an vogelhändlern und ihren unzeitgemäßen hähnen
bis er am meer steht
hier hört er den bewegten wellen zu
die sich vor ihm neigen
dann nickt er und lächelt
er habe kein verhältnis zur der zeit
er sei nur für eine weile an den schlagzeilen vorbeiflaniert
er habe sein blaues vaterland nie verlassen

SAID

(barcelona, den 4. 11. 1999)

Ein seit vielen Jahren in Deutschland lebender persischer Dichter widmet ein Gedicht einem spanischen Lyriker. Wo ansonsten verschiedenen Sprachen oder unterschiedliche kulturelle Herkünfte zwischen Fremden, Reisenden oder Fliehenden Mauern und Stacheldrahtzäunen errichten, behauptet sich die Lyrik als Anwältin von Freiheit, als große Kämpferin gegen Grenzziehungen und für Vielfalt der Ideen. SAID wie der von ihm mit einem Gedicht beschenkte Rafael Alberti sind (oder waren) auf ihre Weise immer politisch wache Poeten. Auf Seiten der Menschenrechte und des freien Wortes der Eine, während der Andere zur Zeit der Franco-Diktatur der Kommunistischen Partei beitrat. Das Exil ist für Beide zu einer existenziellen Lebensform geworden. 1965 wurde für Beide zu einem Schicksalsjahr. SAID lebt seit diesem Jahr in München, während für Rafael Alberti 1965 sein römisches Exil begann. Auf dieses gemeinsame Engagement spielt SAID in seinem Gedicht an. „Jemand spricht von seiner Partei“ und „er sei nur für eine weile an den schlagzeilen vorbeiflaniert“. Vergessen hat er (Rafael Alberti) das alles nicht, aber es gibt für ihn Wichtigeres als die ‚aktuelle Zeit’, das Meer, das ‚blaue Vaterland’. Die Diktatoren, die religiösen wie säkularen Mullahs können einem Künstler vieles nehmen, ins Gefängnis einsperren oder ihn aus dem Land vertreiben. Das ‚blaue Vaterland’ aber können sie ihm nicht nehmen. Für einen Kenner der deutschen Romantik wie SAID ist die Anspielung auf die ‚blaue Blume’ nicht zufällig:

Die blaue Blume

Ich suche die blaue Blume,
Ich suche und finde sie nie,
Mir träumt, dass in der Blume
Mein gutes Glück mir blüh.

Ich wandre mit meiner Harfe
Durch Länder, Städt und Au’n,
Ob nirgends in der Runde
Die blaue Blume zu schaun.

Ich wandre schon seit lange,
Hab lang gehofft, vertraut,
Doch ach, noch nirgends hab ich
Die blaue Blum geschaut.

Joseph von Eichendorff
(1818)

Carl Wilhelm Macke

Das Gedicht ist erschienen in: SAID: Ruf zurück die Vögel. C.H. Beck 2010. 109 Seiten. 16,95 Euro. Foto: Wikimedia Commons, Autor:Kritzolina, Quelle.

Nachsatz zur Reihe “Weltlyrik”: Die fast tägliche Konfrontation mit Nachrichten von verfolgten, inhaftierten oder hingerichteten Journalisten lässt gleichzeitig auch den Wunsch nach anderen Bildern und einer anderen Sprache wachsen. Immer wieder erfährt man auch von Journalisten, die nicht nur über das Dunkle und Böse in der Welt recherchieren, sondern auch Gedichte schreiben. Wie heißt es in einem Gedicht von Georgos Seferis „Nur ein Weniges noch/ und wir werden die Mandeln blühen sehen…“ (www.journalistenhelfen.org).

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