Geschrieben am 26. September 2012 von für Litmag, Zellers Seh-Reise

Michael Zellers Seh-Reise (13): Hans Thoma

1 Kunstpostkarte, 1 Woche, 1 Kolumne, 1 Jahr lang: Ab Juni erscheint bei CULTurMAG wöchentlich für ein Jahr Michael Zellers SEH-REISE in zweiundfünfzig Ausfahrten, ein „Tagebuch in Bildern”: Betrachtungen zu Kunst und Leben, von den ägyptischen Pharaonen über die griechisch-römische Antike und das Mittelalter bis in die unmittelbare Gegenwart. Heute: Hans Thoma: Die Oed (Holzhausenpark). (Alle Folgen hier).

Dreizehnte Ausfahrt

Ein Stück Natur im Frühling. April wahrscheinlich, Übergangszeit.

Wiese, ein Wäldchen, Vorgebirge verblaut im Fernen, darüber lastet, zwei Drittel des Bildes, ein mächtiger Wolkenhimmel. Der Augenblick vor oder nach Regen. Menschen nur am Rande, Staffage. Nicht zu erkennen, ob Frau oder Mann da in dem offenen Einspänner, den ein Schimmel über den gelben Sandweg zieht quer durch den Wiesengrund.

Doch auf der Natur, die der Maler Hans Thoma auf der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert in Öl festhält, liegt die Hand des Menschen, auch wenn er selbst in figura so gut wie abwesend ist. Die Schmalseite eines dreistöckigen Gebäudes, in lichtem Gelb verputzt, beinah in der Farbe des Sandwegs. Das Mansarddach, mit Schiefer gedeckt, vor allem sein Türmchen, zeigt die Sprache späten Barocks. Ein Stadtschloss, inmitten eines kleinen Waldes, überragt von Laub- und Nadelbäumen. Solange sie, wie jetzt im Frühling, noch kein Laub tragen, kann die Architektur sich noch behaupten vor der Natur. Mit seinem Wäldchen füllt das Schloss den Mittelpunkt des Bildes, eine Insel gesellschaftlichen Lebens. Das dichte Braun und Grün um das Palais ist aufgehellt am Rand von weißblühenden Hecken der Schlehe, ehe es sich dann auflöst in das Wiesengelände, mit einzelnen Obstbäumen, Apfel und Kirsche, alle noch in der Nacktheit des Winters. Ein Bächlein schlängelt sich von der Schlossseite auf den breiten Sandweg zu, der ihn längst verschluckt hat. Der Passant/die Passantin im Einspänner wird gleich gar nicht mehr merken, dass es über Wasser geht.

Erst bei genauem längeren Hinschauen wird sichtbar, wie stark die Eingriffe des Menschen die Landschaft geformt haben, über Haus und Weg hinaus. Es ist bereits eine zutiefst kulturierte Landschaft, wenn auch noch nicht in der Endform eines dressierten Parks.

Der Titel des Bildes fasst den Umwandlungsprozess in Worte, den der Maler in seinem Bild festgehalten hat, bewusst oder nicht: „Die Oed (Holzhausenpark)“. Das öde Land, der Wiesengrund am Ufer des Mains, ist auf dem Weg zu seiner völligen Unterwerfung unter die Bedürfnisse der Menschen in der nahen und immer näher rückenden Großstadt Frankfurt.

Wenn ich heute durch den Holzhausenpark gehe, dicht umbaut vom Stadtteil Westend, sind die Spuren des Natürlichen, die ein Hans Thoma noch vorfand und die ihn vielleicht zu Malen reizten, endgültig getilgt. Auf der „Oed“ erstreckt sich jetzt das Freizeitgelände von Stadtbewohnern, die der Versteinerung und Einbetonierung ihres Lebensraums, die sie sich geschaffen haben in den letzten hundert Jahren, entfliehen wollen in das, was sie heutzutage als Natur bezeichnen. Dass unter den Trimmpfaden und den voll belegten Ball- und Liegewiesen einmal die Öde war, kann keiner von denen mehr ahnen, die hier aus den nahen Bürohochhäusern kommen, um im Grünen ihr Mittagsbrot vom Schnellbäcker zu essen und in der Natur zu entspannen. Ob ihn, wenn er es wüsste, die Vorstellung von Wildheit erschreckte?

Der Maler aber hat, bewusst oder nicht, seinen Kommentar dazu gegeben. Es ist der Himmel, die Wolken in ihrer drückenden Dichte, die grau die Erde überspannen. Weitaus den größten Raum der Leinwand nimmt er ein. Das Himmelsgelände entzieht sich, damals wie heute, jeder Domestizierung. Hier ist der Mensch genötigt, innezuhalten und es geschehen zu lassen. Spät erst entdecke ich, ganz unten am Bildrand, zwei Pfauen. Der eine hat sein Schwanzgefieder zum goldbunten Rad aufgefaltet. Der Pfau, die zum Sinnbild gewordene Eitelkeit, bis zum Lächerlichen. Hier, im Wiesenschaumkraut der einstigen „Oed“, hat seine Geste etwas unendlich Beziehungsloses und Fremdes.

Was mag der Maler sich dabei gedacht haben, als seine Hand diesen Exoten aus Hinterindien auf eine Flusswiese im mittleren Deutschland pflanzte? Es bleibt nicht die einzige Frage, wenn ich vor Hans Thomas Gemälde im Frankfurter Städel stehe und versuche, Ähnlichkeiten mit dem heutigen Holzhausenpark darin zu entdecken.

Michael Zeller

Hans Thoma: Die Oed (Holzhausenpark). Städelsches Kunstinstitut in Frankfurt am Main.

Michael Zeller hat Romane, Erzählungen, Gedichte und Essays verfasst. Sein letzter Roman „Falschspieler“ erschien 2008 zuerst unter dem Pseudonym „Jutta Roth“ als angebliches Debüt einer 1967 geborenen Autorin. Zur Homepage des Autors geht es hier. Copyright des Textes: Michael Zeller.

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