Geschrieben am 10. Oktober 2012 von für Kolumnen und Themen, Litmag, Zellers Seh-Reise

Michael Zellers Seh-Reise (14): Oskar Kokoschka

1 Kunstpostkarte, 1 Woche, 1 Kolumne, 1 Jahr lang: Ab Juni erscheint bei CULTurMAG wöchentlich für ein Jahr Michael Zellers SEH-REISE in zweiundfünfzig Ausfahrten, ein „Tagebuch in Bildern”: Betrachtungen zu Kunst und Leben, von den ägyptischen Pharaonen über die griechisch-römische Antike und das Mittelalter bis in die unmittelbare Gegenwart. Heute: Oskar Kokoschka: Der Baumeister Adolf Loos. (Alle Folgen hier).

Vierzehnte Ausfahrt

Das Porträt eines Mannes, sitzend, als Halbfigur. Düster die Farben, die Stimmung. Etwas Gewittriges hängt da im Hintergrund aus unklaren blautonigen Strukturen. Dareingesetzt der Kopf des Mannes, von vorne, leicht nach links geneigt. Bleich, fast weiß hebt sich das Gesicht aus dem undurchsichtig diffusen Dunkel. Aus geröteten Augen, tief innen im Schädel, blickt er vor sich hin. Der Mann schaut nicht, er starrt, in die Leere. Denn er denkt nach. Ein Sinnender, kein Seher. Schwere Lider auf den Augen. Eine schmale Nase, schmale Lippen, ein Grübchen im Kinn. Ein Zug ins Asketische allenfalls spricht aus diesem Gesicht. Konzentration. Nüchternheit. Ernst. Der Einzelne bei sich. Ein Mann in seinen mittleren Jahren. Mit groben Pinselzügen auf die Leinwand geworfen und doch sehr fein.

Und dann diese Hände vor dem Bauch. Rotbraunes Fleisch. Blutandrang. Leben. Vitalität. In diesen ineinander verknoteten Fingern sitzt Kraft. Pratzen eher als Hände. Die können hinlangen und haben das in ihrem Leben schon oft getan. Solche Fingerstumpen bekommt man nicht vom Denken und vom Zuschauen. Ein Handwerker. Schreiner. Oder Bauer? Wie passen die zu der weißen, fast maskenhaften Starre des Gesichts, dem wegschauenden Grübler, einer Zimmerpflanze?

Der Mann ist Architekt. Einer der Wegbereiter modernen Bauens in Europa. Ein berühmter Baumeister bereits, als ihn Oskar Kokoschka porträtiert, 1909. „Der Baumeister Adolf Loos“ heißt das Bild.

1909, da baut Loos gerade das Geschäftshaus in seinem Wien, am Michaelerplatz, direkt gegenüber dem in Protz und Prunk erstarrenden Torflügel der kaiserlichen Hofburg, der vor gerade mal zwanzig Jahren hier hochgezogen worden ist. Ihm setzt Loos dieses Geschäftshaus vor die Nase, von abweisender Nüchternheit, ohne jedes Ornament, geometrisch klar gegliedert. Ich weiß noch, wie ich als junger Mann, zum ersten Mal in Wien, das Gebäude vollkommen übersah, weil ich es für irgendeinen Neubau meiner eigenen Zeit hielt. Für die Delikatesse der gekonnten Einfachheit war mein Auge noch nicht gebildet. Da musste ich mich noch eine Weile übersehen an einem Bauen in verbrauchten historischen Formen, wie es gerade in Wien in den letzten Jahren der Monarchie gang und gäbe war.

Wenn ich jetzt dieses Porträt von Kokoschka wiedersehe, fällt mir die Definition ein, die Adolf Loos einmal von seinem Beruf gegeben hat. Der Architekt, sagte er, sei ein Maurer, der Latein könne. Eine knappere und lakonischere Bestimmung habe ich nie gefunden. Sie hilft mir auch, sein Porträt zu lesen, das Kokoschka damals, mitten in Loos‘ bester Schaffenszeit, gemalt hat: Im weißen Gesicht steht der Lateiner geschrieben, in den fleischbraunen Pranken sitzt die Kraft und die Fertigkeit des Maurers. Latein und Stein und Beton und Stahl – das sind die Elemente, aus denen unsere Gehäuse entstehen, die Kathedralen menschlichen Alltags.

Michael Zeller

Oskar Kokoschka: Der Baumeister Adolf Loos, 1909. Nationalgalerie Berlin.  

Michael Zeller hat Romane, Erzählungen, Gedichte und Essays verfasst. Sein letzter Roman „Falschspieler“ erschien 2008 zuerst unter dem Pseudonym „Jutta Roth“ als angebliches Debüt einer 1967 geborenen Autorin. Zur Homepage des Autors geht es hier. Copyright des Textes: Michael Zeller.

Tags : , ,