Geschrieben am 12. Juni 2013 von für Litmag, Zellers Seh-Reise

Michael Zellers Seh-Reise (43): René Magritte

Kunstpostkarte, 1 Woche, 1 Kolumne, 1 Jahr lang: Ab Juni erscheint bei CULTurMAG wöchentlich für ein Jahr Michael Zellers SEH-REISE in zweiundfünfzig Ausfahrten, ein „Tagebuch in Bildern”: Betrachtungen zu Kunst und Leben, von den ägyptischen Pharaonen über die griechisch-römische Antike und das Mittelalter bis in die unmittelbare Gegenwart. Heute: René Magritte: Der falsche Spiegel. (Alle Folgen hier).

Magritte

Dreiundvierzigste Ausfahrt

„Der Verrat der Bilder“ heißt ein frühes Werk René Magrittes. Das ist die Sache mit der Pfeife. Fotogetreu abgemalt, prangt sie mitten im Bild und sammelt alle Aufmerksamkeit auf sich. Der Maler demaskiert die Illusion selbst: „Dies hier ist keine Pfeife!“ (Ceci n’est pas une pipe).

Ja, „Verrat der Bilder“. Wie wahr. Wie banal. Darunter ließe sich die gesamte Geschichte der Malerei summieren, von den Höhlengemälden der Steinzeit bis zu den Manipulationsmöglichkeiten heutigen Fotografierens, wo sich jedwede Aufnahme in ihr genaues Gegenteil verwandeln lässt.

Die Demontage des Malens ist das Schlagende, das unmittelbar Anspringende von Magrittes Bildern. Das macht ihre große Stärke aus wie ihre Begrenztheit. Der altmeisterlich ausgeführte Malgegenstand erschließt sich bereits beim ersten Anflug des Auges und lässt nicht den geringsten Zweifel offen. Auch wenn das Bildthema aus Heterogenstem sich zusammensetzt, wird der schnelle Blick belohnt: Die Pointe der dargestellten Gegensätzlichkeit funkt in einer Sekunde. Seine Überraschung löst sich in einem Lachen auf, nicht in Erschrecken. Schwerwiegende Gedankenarbeit bleibt dem Betrachter erspart. Da sei schon die gefällige Malweise vor, der in klaren Konturen gesicherte Gegenstand, die angenehme Farbigkeit. (Dass Magritte sein Handwerk als Musterzeichner einer Tapetenfabrik gelernt hat, verleugnet sein gesamtes künstlerisches Schaffen nicht und verschafft ihm im „Zeitalter der Reproduzierbarkeit“ Zugang zum Konsumgut der Massenkultur.)

Die Kunstpostkarte, die mich die vergangen Woche durch meinen Alltag begleitet hat, „Der falsche Spiegel“, stammt aus seinen frühen Werkjahren (1928). Das menschliche Auge in Großformat, den ganzen Rahmen ausfüllend, peinlich genau abgebildet wie in einem Biologiebuch. Das meint der erste Blick. Doch er täuscht. Statt auf die Hornhaut des Augenkörpers geht der Blick des Betrachters durch die überdimensionierte Iris hindurch auf einen Himmel. Über hellblauen Grund ziehen weiße Wolken dahin (von der Art, wie Magritte in seinem gesamten Werk den Himmel malt). Die Wolken spiegeln sich nicht etwa auf der Regenbogenhaut ab mit ihrer Wölbung. In eine flache Tiefe von Blau und Weiß schaut der Betrachter durch die Iris hindurch. Insofern ist der Spiegel wirklich „falsch“, wie der Titel gleich vorwarnt. Und auch der schwarze Punkt, der an der Stelle der Pupille sitzt. Vorsicht! „Das hier ist keine Pupille!“ Ein planer schwarzer Punkt, geometrisch genau in der Mitte des Bildes. Er ist weder vom Motiv des Auges noch dem des Himmels her motiviert.

Der schwarze Punkt ist ein blinder Fleck. In ihm enthüllt sich der Eigensinn des Bildes. Und die Vielschichtigkeit dieses Malers der glatten Oberflächen, der eingängigen Farbigkeit, der jederzeit zur Verfügung stehenden Seh-Stereotypen. Ein Mann, der sich seiner Maltechnik so sicher war, dass er kein Atelier benötigte. Er malte im Wohnsimmer, im bürgerlich betulichen Geschmack seiner Zeit möbliert. Unter der Staffelei lag säuberlich ausgebreitet die nach dem Frühstück erledigte Tageszeitung, um den Teppich zu schonen und sich von Madame keine Klagen wegen seiner ewigen Klecksereien anhören zu müssen.

So hat René Magritte seine Bilder gemalt, „selbstgewollte Träume“, wie er sie nannte. Auf den ersten Blick des Betrachters dressiert und abgründig zugleich. Der geistreiche Verrat seines Tuns war ihm Ehrensache.

Michael Zeller

René Magritte: Der falsche Spiegel, 1928. Museum of Modern Art, New York.

Michael Zeller hat Romane, Erzählungen, Gedichte und Essays verfasst. Sein letzter Roman „Falschspieler“ erschien 2008 zuerst unter dem Pseudonym „Jutta Roth“ als angebliches Debüt einer 1967 geborenen Autorin. Zur Homepage des Autors geht es hier. Copyright des Textes: Michael Zeller.

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