Geschrieben am 14. August 2013 von für Kolumnen und Themen, Litmag, Zellers Seh-Reise

Michael Zellers Seh-Reise (47): Domenico Feti

Kunstpostkarte, 1 Woche, 1 Kolumne, 1 Jahr lang: Ab Juni erscheint bei CULTurMAG wöchentlich für ein Jahr Michael Zellers SEH-REISE in zweiundfünfzig Ausfahrten, ein „Tagebuch in Bildern”: Betrachtungen zu Kunst und Leben, von den ägyptischen Pharaonen über die griechisch-römische Antike und das Mittelalter bis in die unmittelbare Gegenwart. Heute: Domenico Fetis „Jakobs Traum von der Himmelsleiter“. (Alle Folgen hier).

Siebenundvierzigste Ausfahrt

Domenico Feti

Gern habe ich mir das Bild angeschaut, eine Woche lang, in dem Domenico Feti „Jakobs Traum von der Himmelsleiter“ erzählt, zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts. Der italienische Barockmaler hat die biblische Geschichte so unvermittelt in menschliche Nähe umgesetzt – warum drängt sich einem dafür bloß sofort das mehrschichtige Schmähwörtlein „naiv“ auf die Zunge?

Feti hat das religiöse Ereignis aus dem Alten Testament, wie es im ersten Buch Mose steht (Kapitel 28), in wortwörtlicher Einfachheit wiedergegeben.

Gewitterschwangere Stimmung liegt über dem Gebirge, in dunkel deckenden Farben. Am Himmel ballen sich Wolken, füllen die gesamte obere Hälfte des Gemäldes.

Es ist nicht gemütlich, bei solchem Wetter in den Bergen unterwegs zu sein. Doch seelenruhig liegt da hingestreckt ein junger Mann, nein, ein Knabe, und merkt von alledem nichts: Er schläft. Auch dass er barfuß unterwegs ist, stört ihn jetzt nicht. Weiß er eine Behausung in der Nähe, vielleicht seine Schäferhütte? Ja, ein Hirtenjunge könnte er sein, oder ein Wanderer, der trotz seiner blanken Sohlen in den Felsen umhersteigt? Neben ihm der Brotbeutel, der Stock und sein Hund, der sich auch ausgestreckt hat. (Aber er schläft nicht, er wacht.) Die Kniehosen des Jungen, sein sauberes weißes Hemd, das Brustmieder, ein wärmender Schal über Hüfte und Schultern geschlungen – arm ist der Junge nicht, wie es scheint. Auch sein Gesicht, mädchenhaft weich und weiß, zeigt keine Spur von Härte der Anstrengung. Kein Kind der Not. Um ihn muss sich der Betrachter des Bildes keine Sorgen machen. So wollte das kaufende Publikum (und darum dreht sich‘s immer in der Kunst), die Patrizier der italienischen Stadtstaaten oder der Klerus, auch in dieser Epoche die Menschen natürlich gern sehen: Armut soll gefälligst possierlich wirken.

Wenn da nicht diese Gewitterwolken über dem Jungen drohten. Doch er schläft sich weg, in ein helleres Gelände. In seinem Träumen ist das Gewölk aufgerissen und öffnet ihm den Blick in den Himmel, in ein gelbgleißendes Jenseits hinein. Das ist nicht von dieser Welt. Geflügelte Engel steigen Stufen „auf und nieder“, so wie es bei Moses heißt. Und ganz oben, halb verdeckt von einer Wolke, der „Herr“, höchstselbst. Es ist ein schöner Einfall von Domenico Feti, dass er den Knaben seine rechte Hand auf die Stirn legen lässt, als Schutz vor dem Feuerglanz des Himmels. Als sei das, was ihm im Traum erscheint, zu viel für seine Augen. Es könnte sie verbrennen.

So überträgt Domenico Feti Jakobs Traum der Himmelsleiter in ein Bild. Mehr kann ein Maler mit realistischen Mitteln nicht leisten. In Gottes Verheißung an den Schlafenden findet die barocke Schäferidyllik natürlich ihre Grenze. Doch die Gewalt der Traumerfahrung, die einen Jungen allein im Gebirge überfällt, erfasst auch den Betrachter als ein beeindruckendes Geschehen. (Mit anachronistisch modernem Blick gesehen, erinnert mich der Traum über der Stirn des Schlafenden formal an die Sprechblase in einem Comic.)

So sehr mir das Bild auch heute noch gefällt, habe ich mich doch auch über die Woche gefragt, warum ich es seinerzeit als Kunstpostkarte aus dem Wiener Museum mitgenommen habe. So nah ist mir weder das Alte Testament noch barocke Genremalerei je gewesen. Erst jetzt, beim Niederschreiben, fällt mir ein, dass ich mich damals, um 1970, intensiv mit Thomas Manns vierbändigem Josephsroman beschäftigt habe, in dem auch Jakobs Traum der Himmelsleiter ausführlich erzählt wird. Ich fand darin die Illustration eines Stückes Literatur, die mir noch nah vor Augen stand. Und Domenico Feti, den schon Goethe mochte, als er ihn in Italien für sich entdeckte, hat das in schlagender Einfalt mit einem Gemälde getan. Diese Unmittelbarkeit des Bildes kann Literatur nicht leisten, und das muss mich damals gefesselt haben – bis heute noch.

Michael Zeller

Domenico Feti: „Jakobs Traum von der Himmelsleiter“, nach 1613. Kunsthistorisches Museum, Wien.

Michael Zeller hat Romane, Erzählungen, Gedichte und Essays verfasst. Sein letzter Roman „Falschspieler“ erschien 2008 zuerst unter dem Pseudonym „Jutta Roth“ als angebliches Debüt einer 1967 geborenen Autorin. Zur Homepage des Autors geht es hier. Copyright des Textes: Michael Zeller.

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