Geschrieben am 28. August 2013 von für Kolumnen und Themen, Litmag, Zellers Seh-Reise

Michael Zellers Seh-Reise (49): Fernando Botero

Kunstpostkarte, 1 Woche, 1 Kolumne, 1 Jahr lang: Ab Juni erscheint bei CULTurMAG wöchentlich für ein Jahr Michael Zellers SEH-REISE in zweiundfünfzig Ausfahrten, ein „Tagebuch in Bildern”: Betrachtungen zu Kunst und Leben, von den ägyptischen Pharaonen über die griechisch-römische Antike und das Mittelalter bis in die unmittelbare Gegenwart. Heute: Fernando Botero: Selbstbildnis im Kostüm von Vélasquez. (Alle Folgen hier).

Botero_Selbstbildnis

Neunundvierzigste Ausfahrt

Eine Woche lang hat Fernando Boteros „Selbstbildnis im Kostüm von Velásquez“ gute Laune in meine Küchengalerie gebracht. Damit ist doch schon mal eine große soziale Leistung von Kunst benannt.

Gleich auf den ersten Blick ist der komische Effekt da. Die wirkungssichere Malart des Kolumbianers setzt auch mit diesem Bild auf ihr bewährtes Mittel: die Verdickung des Menschen. Der Betrachter muss darüber lachen. Er kann nicht anders. Sonst müsste er sich abwenden. Doch warum sollte er das?

Diesmal sind es nicht andere Figuren, denen Botero die rosige Schwarte wuchernden Babyspecks anmalt, diesmal versetzt er sich selbst ins Schwergewicht. Und schenkt sich, wie seinen Gestalten sonst, mit der körperlichen Aufschwemmung jene wundersame Verjüngung ins Kindliche, eine Art von Unschuld. Boteros dicke Kinder stehen alle noch vor der Askese des Erwachsenseins. Wenn sie sich so nudelrund erhalten wollen, müssen sie auch Kinder bleiben. Das könnte als unausgesprochene Botschaft hinter Boteros Bildern und Skulpturen stehen.

Im „Selbstbildnis im Kostüm von Velásquez“ kommt ein weiterer komischer Effekt dazu: die historische Verkleidung. Sein aufgeblasenes Ich steckt im zeremoniell schwarzen Gewand des spanischen Hofes, zur Zeit des Barock, in bauschigen Pluderhosen und Wadenstrümpfen, auf Taille geschnittenem Wams, unter einem gewaltig breitrandigen Hut: Hofmaler Velásquez alias Botero. In der Linken die Palette, von einem lächerlich winzigen Däumchen gehalten, schaut er aus dem Bild heraus – wohin? Auf jeden Fall nicht auf die Leinwand hinter sich. Sie ist leer. Und auch nicht auf sein weibliches Modell, das vor ihm prangt, in Speckwülsten, auf der Pracht eines göttlichen Gesäßes. Was da erst für Brüste zu erwarten wären, wenn die Nackte den Betrachter nicht lediglich mit ihrem Rücken abspeiste und dem vollen schwarzen Haar, bis auf die Hinterbacken hinab. Trotz ihrer wuchernden Fülle ist das Modell des Malers auf Bonsaiformat verkleinert. Die dicke Mamsell fände mühelos in den beiden Oberschenkelsäulen von Velásquez/Botero Platz. Soll dadurch die Überlegenheit des Malers über sein Geschöpf in spe ins Bild gesetzt werden, gleichsam in Pfunden aufgewogen? Der Effekt ihrer Lilliputisierung jedenfalls steigert die Komik dieses Bildes noch einmal.

Und komisch ist es allemal, wenn Botero sich in der Kunstgeschichte tummelt, um ihre ehrwürdigen Figuren aufzupäppeln. Natürlich hat er sich Rubens nicht entgehen lassen, der ihm ja schon weidlich vorgearbeitet hat. Und selbst Leonardos Mona Lisa hat er zu einem dicken Mädchen gefüttert. Bei ihm schafft sie es, auch zwischen feisten Backen sylphisch zu lächeln. Jetzt also die „Venus mit Spiegel“ des Velásquez in wogendem Babyspeck.

In den frühen Gemälde Boteros, wohl seinen gelungensten, war sein Schwelgen in den Fleischmassen dicker Menschen widerläufig zum Zeitideal des Schlanken, dem Modediktat der kleinen Größen. Es konnte als Einladung zu einem reuelosen Genussleben gedeutet werden. Seit zwei Jahrzehnten aber ist Botero von der wirklichen Entwicklung der Menschheit übertroffen worden, jedenfalls in der „Wohlstandswelt“ des Kapitalismus, in einer Weise, wie sie bisher wahrscheinlich noch nicht ihresgleichen hatte. Der menschliche Körper ist in dieser Zeit in Dimensionen explodiert, die den Goldenen Schnitt eines Leonardo da Vinci hinfällig machen. Angesichts der Fleischberge in Menschenhaut, die sich tagtäglich in den Straßen der Warenwelt zeigen, nehmen sich Boteros sanfte Dickerchen wie Fakire aus. Der abnorm fett gewordene Mensch hat Ausmaße erreicht, dass man geneigt ist, von Homoiden zu sprechen.

Wie weit die Kunst ihre Visionen auch immer über die eigene Zeit hinauswirft – die Wirklichkeit holt sie samt und sonders ein und stellt sie derart in den Schatten, dass einen das Grauen überkommen kann.

Michael Zeller

Fernando Botero: Selbstbildnis im Kostüm von Vélasquez, 1982. Galerie Beyler, Basel.

Michael Zeller hat Romane, Erzählungen, Gedichte und Essays verfasst. Sein letzter Roman „Falschspieler“ erschien 2008 zuerst unter dem Pseudonym „Jutta Roth“ als angebliches Debüt einer 1967 geborenen Autorin. Zur Homepage des Autors geht es hier. Copyright des Textes: Michael Zeller.

Fernando BoteroWikipedia: Fernando Botero Angulo (born April 19, 1932) is a figurative artist.

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