1 Kunstpostkarte, 1 Woche, 1 Kolumne: Michael Zellers SEH-REISE ist zurück! Michael Zeller besitzt einen großen Stapel von Kunstkarten, die er bei seinen Galerie- und Museumsbesuchen angesammelt hat. Jede Woche fischt er eine Karte heraus und hängt sie sich in die Wohnung, wo der Blick immer wieder an ihr hängen bleibt. Was darauf zu sehen ist, welche Beziehung sich zwischen Werk und Autor entwickelt, darüber berichtet Michael Zeller wöchentlich in CULTurMAG. Heute: El Greco: „Heimsuchung”.

Besuch
So ein gewaltiges Stoffgeschiebe! Das ganze Bild ein einziger barocker Faltenwurf. Theatrum mundi. Die große Geste. Und Personen? Sind sie überhaupt da? Doch. Zwei hoch aufragende Gestalten begegnen sich. Verhüllt, buchstäblich vom Scheitel bis zur Sohle. Einander zugewandt, wahren sie Distanz, von Person zu Person – damit sie sich offen in die Augen schauen können. Dieses Sich-Anschauen („auf Augenhöhe“, wie es zum Jargon dieser Jahre verkommen ist), den Blick in die Augen suchend und haltend, Abstand und Intimität – das ist der Moment, den der Maler El Greco zeigen will. Die Hand, die sie dabei einander auf die Schulter legen, überlange, zarte Finger – ohne jede Schwere geschieht diese Berührung, und schafft doch Spannung zwischen den zwei Personen, dieses Nichts von Körperlichkeit (eher eine Erinnerung daran). Zwei Frauen, ja. So viel gerade lassen die herabfallenden Gewänder frei. Die eine, schlankere Gestalt, tritt aus der Tür vor ihr Haus. Weiter ausgefaltet der Mantel der Frau, die zu Besuch kommt, ihre Aufwartung macht, wie man früher sagte. Das Faltengeschiebe ihres Kleides ist reicher, dramatischer, wie auch die Farbabstufung stärkere Kontraste kennt, zwischen Dunkel und nahezu Weiß – genau an der Stelle des Mantels, die ihr Becken bedeckt, den Ort möglicher Geburten. Darauf liegt Licht. Der ideelle Kern des Gemäldes. Auch hinter ihrem Rücken ist Helle, mehr als das: Strahlen reißen durch das Dunkel der Wolken. Als gehe ein Glühen vom Schwerpunkt dieses Menschen aus. Ein Abglanz der Sonne, um den Gewitterwolken sich stauen. Offen steht die Gestalt zum Himmel. Das Licht dort wärmt das Blau ihres Mantels an, während das Kleid der anderen kalt wirkt wie Eis. Sie, die schmalere, in sich geschlossenere Frau – sie hat die Schwärze ihrer Behausung hinter sich, steht da, umgrenzt vom Rechteck der Tür, im Maß von Menschen. Auch ihr Standmotiv macht den Kontrast der beiden Figuren augenfällig zwischen Hell und Dunkel, Starrheit und Leben, zeigt ihn vielleicht am krassesten. Zwei Frauen stehen einander gegenüber, in der Spannung von Intimität und Ferne. Mitmenschlichkeit ist ablesbar zwischen ihnen, Wärme im stummen Blick, in der zarten Berührung. Aber da ist doch auch, wie in den zwei Blaunuancen ihrer Mäntel, deutlich ein Sprung zu sehen, die Verschiedenheit der Welten, aus denen sie kommen: dort das abgezirkelt enge menschliche Gehäuse, in Schwarz, hier ein überhelles Gleißen, aus der Endlosigkeit von Himmeln. Der christliche Hintergrund zur Begegnung der beiden Frauen (Maria und Elisabeth), den El Greco im Bild festgehalten hat, wäre nachzulesen im Evangelium des Lukas, Kapitel 1, Vers 39 bis 56. Michael Zeller
El Greco: Heimsuchung (Ausschnitt), ca.1610-14. Michael Zeller, Schriftsteller mit einem umfangreichen, mehrfach ausgezeichneten literarischen Werk (zuletzt, 2011, Andreas Gryphius-Preis). 2013 sind von ihm erschienen die Gedichte wie es „anfängt : wie es endet” und der Prosaband „ABHAUEN! Protokoll einer Flucht” bei CulturBooks. Zur Homepage des Autors geht es hier. Copyright des Textes: Michael Zeller.