1 Kunstpostkarte, 1 Woche, 1 Kolumne: Michael Zellers SEH-REISE ist zurück! Michael Zeller besitzt einen großen Stapel von Kunstkarten, die er bei seinen Galerie- und Museumsbesuchen angesammelt hat. Jede Woche fischt er eine Karte heraus und hängt sie sich in die Wohnung, wo der Blick immer wieder an ihr hängen bleibt. Was darauf zu sehen ist, welche Beziehung sich zwischen Werk und Autor entwickelt, darüber berichtet Michael Zeller wöchentlich in CULTurMAG. Heute: Akseli Gallen-Kallelas „Keitele-See”.
Der Lichte Sang des Nordens
Ein lichtes Bild, von kühler Klarheit. Wenn die Augen über diesen sommerlichen See schweifen, willkürlich oder gezielt, hellt wohl jede Stimmung sich auf: Die schön gesetzten Proportionen zwischen Hell und Dunkel, auf See und Wald und Himmel, stiften Freude. Frische Luft weht den Betrachter an, Stille, unverbraucht von den Menschen mit ihren lärmigen Auftritten. Dass ein Boot, gar ein Dampfer diesen so kostbar ornamentierten Wasserspiegel aufrühren könnte, ist nicht zu denken. Allenfalls das Schnappen eines Fisches, der grelle Schrei eines Wildvogels, laut wie Donner, der einem ins Innerste fährt, und danach dränge die kosmische Ruhe über diesem waldigen Gewässer noch tiefer ein. Die große Ruhe.
Ein See des Nordens. Natur, für sich, ehe der Mensch über sie kam. Kanada? Skandinavien? Sibirien? Woran erkennt man, dass um dieses Gelände hier verschwenderisch Weite sein muss, Kühle und Stille? Warum kann diese Landschaft kaum in Mitteleuropa liegen? Ist es die Dominanz von Weiß und Blau und Grau, dieser lichte Dreiklang, der die Frische des Unberührten ausstrahlt? Schon als Zeuge dieser Ruhe kommt man sich als ein Störenfried vor.
Der Keitele-See, wie ihn der Titel dieses Ölgemäldes ausweist, liegt mitten in Finnland, dort wo sich Seen und Erdboden die Waage halten. Das ist nicht die Gegend, um Menschen hierher zu locken, Siedlungen anzulegen, Straßen zu ziehen. Jäger denke ich mir in der Gegend, Fischer, Waldläufer, die in Hütten oder Zelten Unterschlupf suchen während des kurzen Sommers. Aus der Zivilisation gefallene Einzelgänger.
Etwas davon fand ich in der Ausstellung selbst wieder, die einem Maler gewidmet war, dessen Namen ich zuvor nie gehört hatte: Akseli Gallen-Kallela. Ich war der einzige Besucher in diesen wenigen Räumen und blieb es für die Dauer meines Aufenthalts, während drunten, im „Kunstpalast“ von Düsseldorf, die Menschen sich um die Bilder von El Greco drängten. Allein die Stille hier tat schon gut. Und dazu noch diese Bilder. Unten die großen Emotionen des lateinischen Barocks um Götter, Könige und Heilige, hier diese Insel der Ruhe, tatsächlich und gemalt. Das große Schweigen der Natur.
Dabei hat dieser finnische Maler zu Lebzeiten (1865-1931) beileibe keine Randexistenz geführt. Er war mitten drin im internationalen Geschäft. Ausgebildet an der Académie Julian in Paris, stellte er schon als jüngerer Mann in Berlin aus, zusammen mit Edvard Munch. 1900 beschickte er die Pariser Weltausstellung mit seinen Arbeiten und war 1914, als über Europa der Erste Weltkrieg ausbrach, der Vertreter seines Landes bei der Biennale von Venedig.
Was mich am meisten in Bann zog, sind seine mehrjährigen Aufenthalte außerhalb Europas gewesen. Das waren nicht bloße Reisen. Zwei Jahre hat er in Kenia gelebt (damals noch britische Kolonie), sogar mit seiner Familie, und dann noch einmal, in fortgeschrittenem Alter, drei Jahre in der Wüste von New Mexiko, in der Künstlerkolonie Taos, altes Indianerland. Doch in all dieser Weltoffenheit ist Akseli Gallen-Kallela, wie seine Bilder in Düsseldorf zeigen, ein Mann des nördlichen Europas geblieben, ein Finne durch und durch. Oder ist er es erst geworden, mit vollem Bewusstsein, nachdem er entfernte Gegenden der Welt gesehen und erlebt hatte?
Die menschenleere Landschaft seiner Heimat ist das Thema seiner Bilder geblieben, wohin immer er auszubrechen versuchte. Von ihr kam er nicht los, sie war es, die ihn vor die weiße Leinwand trieb. Und hat darauf dieser Heimat alles zurückgegeben, was er draußen in der Welt dazugelernt hatte.
Der „Keitele-See“, von 1905: so gut wie nur Wasser. Der Wald am Ufer ganz nach oben an den Bildrand geschoben, fern und dunkel. Fast hineingezwängt, als schmale Zeile, der Himmel, mit eigenartig zerrissenen Wolkenhieroglyphen, von einem einzigen Weiß. Umso bewegter geht es auf der Oberfläche des Sees zu. Horizontale und vertikale Strukturen verschränken sich und legen sich als ein Gitter auf das Wasser. Die Spiegelung des Himmels darauf ist wesentlich markanter als der Himmel selbst, verflüssigt und aufgelöst in Bögen, die ihre eigenen Wege gehen.
Was mich aber während dieser Woche Hinschauens am stärksten beeindruckte (und erfreute), das waren diese Balken, quer über den ganzen See: die Feier der Farbe Grau. Dieses stumpfe, unbunte Grau! Der Farbentöter. Grau deckt Licht auf, und Grau deckt es zu. Grau ist beides: die Farbe, die sichtbar und die unsichtbar macht. Dieses kaum naturalistisch zu deutende Grau, aus lockerer, jahrelang geübter Hand über das Abbild von Natur gezogen – sie gibt dem See seine Melodie. Ein stummes Lied. Sang des Nordens. Unendlich schön.
Michael Zeller
Akseli Gallen-Kallela: Keitele-See, Öl auf Leinwand, 1905. Österreichische Galerie Belvedere, Wien.
Michael Zeller, Schriftsteller mit einem umfangreichen, mehrfach ausgezeichneten literarischen Werk (zuletzt, 2011, Andreas Gryphius-Preis). 2013 sind von ihm erschienen die Gedichte wie es „anfängt : wie es endet” und der Prosaband „ABHAUEN! Protokoll einer Flucht” bei CulturBooks. Zur Homepage des Autors geht es hier. Copyright des Textes: Michael Zeller.