1 Kunstpostkarte, 1 Woche, 1 Kolumne: Michael Zellers SEH-REISE ist zurück! Michael Zeller besitzt einen großen Stapel von Kunstkarten, die er bei seinen Galerie- und Museumsbesuchen angesammelt hat. Jede Woche fischt er eine Karte heraus und hängt sie sich in die Wohnung, wo der Blick immer wieder an ihr hängen bleibt. Was darauf zu sehen ist, welche Beziehung sich zwischen Werk und Autor entwickelt, darüber berichtet Michael Zeller wöchentlich in CULTurMAG. Heute: „Porträt Isabel Rawsthorne auf einer Straße von Soho” von Francis Bacon.
Ego hinter Glas
Ein innerer Widerspruch bleibt, über den ich nicht hinwegkomme, nachdem ich jetzt eine Woche lang der Isabel Rawsthorne ins Gesicht geschaut habe – besser sagte ich eigentlich: in ihre Gesichter. Die Mundpartie, diese Augen werde ich so schnell nicht vergessen. Dieses Gesicht einer Frau „sitzt“. Und gleichzeitig zweifle ich daran, dass ich die Lady erkennte, wenn sie mir auf der Straße entgegen käme, in Soho oder anderswo.
Ganz nah gerückt auf der einen, unkenntlich gelassen auf der anderen Seite: In dieser Schwebe hält der englische Maler Francis Bacon den Betrachter, der vor dem „Porträt der Isabel Rawsthorne in einer Straße von Soho“ steht, und lässt ihn darin zurück – und allein. In einer Zerrissenheit der Gefühle, von Anziehung, Verweigern und Ablehnen, von Irritation bis zuletzt.
Man muss ihr nur in ihr Gesicht hineingehen, der Lady, schmal wie der Grat eines Berges nach vorne geschoben. Als erstes prägen sich wohl diese wulstigen Lippen ein, von einer Willenskraft, die früher eher Männern zugeschrieben wurde. Auch die Nase, weiß aufgehellt wie das Kinn, ist nicht eben zierlich zu nennen. Geballte Energie lese ich daraus, Lust an der Selbstbehauptung. Kritisch und skeptisch zeigt sich diese Dame – die zieht man nicht so leicht über den Tisch.
Doch dann diese Augen! Abgewendet vom Betrachter, weit aufgerissen. Weiß das eine, schwarz das andere, schauen sie in eine Leere jenseits des Bildes, ohne Empathie, auch ohne Schrecken, schauen hin und darüber hinweg, unaufgeregt, nachdenklich, wissend, fragend. Mit Hieben des Pinsels sind zwei widerläufige Bögen um den Blick geschlagen, in blankem Weiß. Spontan wirkende Malbewegungen, um eingefahrene Konturen zu verhindern. Sie treiben die Augen noch weiter auseinander. Von einem Paar kann keine Rede sein. Eher von einer Verdoppelung der Perspektive, wie sie bestimmten Tierarten eigen ist.
Die Verdüsterung unter dem Weiß um die Augen, der heftige Schatten auf der Wange, der sie einhöhlt, über den Hals hinab, sprechen wieder eine andere Sprache. Entschlossenheit und Hinnehmen, Zupackenwollen und Laufenlassen in einem Gesicht zu zeigen – dafür hat Francis Bacon das Konterfei von Isabel Rawsthorne aufgerissen, um durch ihre individuellen Züge hindurch die Mehrschichtigkeit menschlicher Regungen, Antriebe, Widerstände offenzulegen. Nichts festzuschreiben. Harmonien zu untergraben. Das war das Anliegen von Bacons Malerei, dem hat er zeitlebens bis zur Manie angehangen hat.
Das entblößte Antlitz von Lady Rawsthorne (sie wird, selbst Malerin, ihrem Porträtisten verziehen haben) ist das Zentrum dieses Bildes. Mehr: Es ist das Bild selbst. Alles um das Gesicht herum bleibt Staffage, Kulisse. Das schwarze Kleid aus einem Stück ist unüberbietbar schlicht. Das weiße Zeug, das aus der Tasche quillt, der durchsichtige Beutel in der Rechten, die weißschwarze Schmiererei an ihrem Fuß – nebbich. Die Malart macht deutlich, wie unwichtig ihm die Szenerie ist, in die er die Porträtierte hineinstellt. Wie so oft bei Bacon steht sie auf einer kreisrunden Bühne, in diesem Fall wohl auf dem Sandboden einer Stierkampfarena. Disparat nebeneinander gestellt, Innen und Außen rücksichtslos verschmelzend, ohne jedes Interesse an räumlicher Tiefenwirkung: der Stier mit gesenkten Hörnern, das Automobil aus vergangenen Tagen, ein Stück grünes Meer mit Möwe, die Umrundung des Platzes (der Arena des Egos) durch eine helle Mauer. Darüber drei blaue Zeltplanen, zum Schutz vor der Sonne des Südens (Spaniens?). Vom Londoner Stadtteil Soho, in dessen Straßen Isabel Rawsthorne angeblich steht, auch nicht die geringste Spur. Die Farben beinah plakativ flach und nuancenarm aufgetragen.
Von Bacons Malweise ist bekannt, dass er seine Leinwände oft mit zweierlei Farben belegte. Für den Hintergrund nahm er Acrylfarben, weil sie sich schnell und ebenmäßig vermalen lassen, zudem trocknen sie fix. Nur für das, was ihn eigentlich vor die Staffelei getrieben hatte, ein menschliches (oder auch tierisches) Lebewesen, dafür benutzte er Öl, mit dem er alle Fein- (und Grob)heiten herausarbeiten konnte, um die es ihm ging. Nur das galt ihm als malenswert. Auf unserem Bild ist es nur noch der Stier, dem diese Vorzugsbehandlung gegönnt wird. In seine vitale Potenz ist die Sexualität der Frau gleichsam ausgelagert.
Was ich erst jetzt entdecke, da die Kunstpostkarte direkt neben den Tasten liegt, sind die zwei gläsernen Wände um das Rund der Arena, die das Porträt von allem anderen abtrennt. Das Glas selbst ist nicht gemalt, nur seine Ränder, deshalb habe ich es unter der Woche übersehen können. Als eine weitere, höchst zerbrechliche Hülle um den Einzelnen in seiner Welt. Sigmund Freud gehörte neben Nietzsche und den griechischen Tragikern zu den Bausteinen, aus denen sich Bacons Anschauung vom Leben zusammensetzte.
Michael Zeller
Francis Bacon: Porträt Isabel Rawsthorne auf einer Straße von Soho. Öl auf Leinwand, 198 x 147,5 cm, 1967. Staatliche Museen, Nationalgalerie Berlin.
Michael Zeller, Schriftsteller mit einem umfangreichen, mehrfach ausgezeichneten literarischen Werk (zuletzt, 2011, Andreas Gryphius-Preis). 2013 sind von ihm erschienen die Gedichte wie es „anfängt : wie es endet” und der Prosaband „ABHAUEN! Protokoll einer Flucht” bei CulturBooks. Im Herbst 2014 ist seine Erzählung „BruderTod” erschienen. Zur Homepage des Autors geht es hier. Copyright des Textes: Michael Zeller.