Guru mit Stil
Ein Nachruf auf den italienischen Journalisten, Polemiker und Weltmann Tiziano Terzani.
Ende Juli ist im „toskanischen Himalaya“ bei Pistoa der italienische Journalist Tiziano Terzani gestorben. Auf den Medienseiten der deutschen Tageszeitungen wurde fast ausschließlich der große Asien-Reporter Terzani gewürdigt. Allen voran hat selbstverständlich der SPIEGEL, für den der Verstorbene jahrzehntelang als Korrespondent gearbeitet hat, die journalistischen Verdienste von Terzani hervorgehoben.
In diesen Würdigungen ist aber fast immer auch der ‚andere Terzani‘ unterschlagen worden. In seinem Heimatland Italien war er zuletzt weniger als journalistischer Korrespondent und mehr als ‚Polemista‘, als ein scharfer öffentlicher Kritiker des westlichen Konsum- und Wertemodells bekannt. Vor allem seine Kritik an der obsessiven Anti-Islamistin Oriana Fallaci ließ an Deutlichkeit und Präzision nichts zu wünschen übrig. In einer noch zu schreibenden Geschichte großer Polemiken dürften die öffentlichen Bußpredigten von Tiziano Terzani gegen die Apologeten des ‚western way of life‘ nicht fehlen.
Ein streitfähiger Toskaner
Als die in New York lebende italienische Journalistin Oriana Fallaci unmittelbar im Anschluß an den „11. September“ in den Spalten des bürgerlich-konservativen ‚Corriere della Sera‘ aus Mailand eine maßlos überzogene, von Rassismen aller Art gesprenkelte Attacke gegen den islamischen Fundamentalismus veröffentlichte, setzte sich Terzani an den Schreibtisch, um die Fallaci Punkt für Punkt zu widerlegen.
Das Faszinierende an seinem Gegenplädoyer für eine neue Weltverantwortung, das in Italien ein riesiges Leserecho fand, war vor allem der Stil. Terzani griff seine Kontrahentin Fallaci nicht persönlich an, nannte nicht einmal ihren Namen, aber jeder des Lesens mächtige, wußte, an wen Terzani seine Kritik adressiert hatte. Hier waren die alte toskanische Rechtskultur und Advokaten-Rhetorik zu einer einmaligen Verbindung mit dem Vokabular der neueren „Anti-Globalisierungsbewegungen“ zusammengeflossen.
Und natürlich wurde Tiziano Terzani auch von seiner in Italien in den letzten Jahren riesigen Lesergemeine als eine Art Guru angesehen. Schon in seinem äußeren Erscheinungsbild erschien er als ein Guru wie aus dem Bilderbuch. Hochgewachsen, schlohweisses Haar, ein langer grauer Bart, immer von Kopf bis Fuß in Weiß gekleidet. Dazu eine blendende, von subtiler Demagogie nicht freie Rhetorik. Einnehmend, faszinierend, verführerisch, „ein blendend schöner Mann“, wie man es in einem Nachruf der Tageszeitung „La Repubblica“ lesen konnte. Und mit seinen im Stil mittelalterlicher Wanderprediger vorgetragenen Verdammungen der modernen Schulmedizin war er gewiss auch zu einer Art modernem Gesundheitsapostel geworden wie sie in den heutigen Gesellschaften scharenweise durch Talk-Shows und über die Marktplätze herumpilgern.
Von alledem spürte man bei Tiziano Terzani etwas, aber er war auch ein Toskaner, sehr gebildet, ungemein sprachbegabt, mit vollendeten Umgangsformen, die er sicherlich niemals in irgendwelchen Benimm- und Manierenbücher studiert hatte. Persönlich habe ich ihn einmal erlebt, im Teatro Comunale von Ferrara. Der 11. September 2001 stand schon nicht mehr auf den ersten Seiten der Tageszeitungen, aber man spürte immer noch dessen Nachbeben. Oriana Fallaci hatte mit ihren Briefen aus New York dafür gesorgt, dass dieses Beben in Italien noch ganz besonders lange zu spüren war. Auch wenn Terzani an jenem Abend in Ferrara allein auf dem Podium saß, war natürlich seine giftige Kontrahentin immer auch anwesend. Kein einziges Mal erwähnte Terzani im Verlauf seines fast zweistündigen Monologs ihren Namen, aber jeder im Saal wußte, wer gemeint war, wenn er die Welt-Blindheit eleganter bürgerlicher Kreise in Mailand und New York geißelte. Kein billiger Spott, keine Ausfälligkeit, keine aggressive Beschimpfung. Wenn es so etwas gibt wie einen ‚aufgeklärten Guru‘ mit Stil und Noblesse, dann war es Tiziano Terzani.
Unter den Nachrufschreibern auf den Medienseiten deutscher Tageszeitungen hielt niemand es für relevant, an diesen ‚anderen ‚Terzani‘ zu erinnern. Dass man auch an Tiziano Terzani, den scharfen Kritiker kapitalistischer Globalisierung denken würde, hatte man ohnehin nicht erwartet.
Carl Wilhelm Macke