Rädchen in der Syntax
Matthias Göritz
Spiegelschlaf
Vorgestellt von Martin Piekar
Spiegelschlaf
Doch wovon sprechen wir? Ohne
dass du es merkst bist du ins Gehäuse
der Syntax getaucht, kleines
Rädchen nur, eine Feder, zu winzig
Für handelsübliche Schrauben –
Fühlst du’s? In einem
Moment verlierst du die Sicherheit,
im nächsten
die Wurt, und dann, ganz am Ende,
steckst du fest, nackt,
oder besser:
entkleidet.
In Haut findest du dich
im Spiegel
wieder,
dem altertümlichen Buch,
mit dem einst Hexenprozesse, Völkermorde
ganze Historien begannen. Spuck’s
aus. Deine Worte versinken,
dein Mund gefriert. Aber
in Küssen will niemand
ertrinken. Zukunft,
merk dir’s,
gibt es manchmal
nur in den Verben.
Verstrickt in den Ankern der Sprache
Der Spiegelschlaf, schlafen im Spiegel, Schlaf gespiegelt. Wovon spreche ich da eigentlich? Wenn man, wie das lyrische Du hier, in das Gehäuse der Syntax taucht, bleibt das häufig unbemerkt. Die Sprache ist etwas, das wir (er)schaffen (haben), um uns darin zu versenken, darin zu gründen, wenn wir kommunizieren. Wir wollen uns mitteilen und benutzen Sprache. „Doch wovon sprechen wir?“ – Wir sind nur Rädchen in der Syntax, wir sind Satzbausteine für die Sprache, wir können nicht mehr sein, weil es nur so funktional ist. Für die Sprache sind wir nur Bestandteil, auch wenn wir sie am Leben halten. Die Rädchen, die alles am Laufen halten, und laufen und halten und & und. Aber „zu winzig // für handelsübliche Schauben –„ – das Handelsübliche zeigt mir hier, wie unsäglich jeder Versuch sein muss, aus der Sprache mit handelsüblichen Methoden auszubrechen – wieso man das wollen könnte? Weil die Sprache, so eigen und natürlich sie uns ist, ein Kunstwerk ist und Interpretationen von Kunstwerken verschiedene Dimensionen annehmen, vereinigen, etc. können. | Wäre aber eine unmissverständliche Sprache – wäre sie denn möglich – überhaupt wünschenswert? | Das Handelsübliche ist für mich aber auch das übliche Handeln, wie können wir mit unseren Handlungen aus der Maschinerie der Sprache ausbrechen? Wieso? Weil die Sprache oft dort halt macht, wo ich gerne anfangen würde mich auszudrücken. Wie teilen wir uns unmissverständlich mit und wollen wir das überhaupt? In manchen Fällen sicherlich. Wir verlieren die Sicherheit, wenn wir merken, wir bekommen keinen Draht zum Gegenüber hin, wir werden Wütend, auf uns, die Sprache, die Gegenüber … wir fühlen uns „nackt, // oder besser: // entkleidet.“, unbeholfen, schamhaft. So finden wir uns „in Haut“ wieder?, im Spiegel?, „dem altertümlichen Buch, // mit dem einst Hexenprozesse, Völkermorde // ganze Historien begannen“? Da fällt mir die Bibel ein. Altertum, Hexen, Genozid … bis heute, aber viel wichtiger: Was sucht die Bibel hier und was suchen wir in der Bibel? Wird dort eine Sprache gesprochen frei von Missverständnissen? Wenn man sich altertümliche Konzile und/ oder Synoden anschaut dann ganz im Gegenteil, wir missverstehen uns in einem Mahlstrom ohne Sogzentrum. „Spuck’s // aus“? Ja wie denn, egal was ich ausspucke, der Kuss wird immer noch mehr preisgeben und erzählen können, die Bewegungen der Lippen, geschlossen oder offen, Zunge und wenn ja wie prüfend, waghalsig, verschweigend. Aber ist nicht genau das übliches Handeln? Handlungen sagen mehr als Worte? Oder wenigstens ein bisschen was und das genauer? Ich weiß es nicht. Dafür müssten wir mal raus aus der Sprache, in welcher es sogar Zukunft gibt, Zukünfte – in allen Varianten mit jeglichen Verben. Irrealis². Alles kann. Muss was? Wird was? Ich glaube wir müssen aus der Sprache ausbrechen um uns uns gegenseitig mitzuteilen. Aber ausbrechen wohin? Vielleicht ins Gedicht, vielleicht. Um mit einen Zitat aus einem Anderem Gedicht (Berceuse Des Dur op. 57) Göritz’ zu antworten: „Aber mir ist lieber, // es gibt keine Antwort.“ So bleibe ich auf der Suche und beende meine Versuche nicht. Sisyphos ist Rock’n’Roll.
Martin Piekar
In Fortsetzung der Neuer Wort Schatz Reihe von Gisela Trahms lesen Sie hier von nun an Neuer Wort Schatz 3, jede Woche eine Gedichtrezeption. Die Beiträge werden zusammengestellt von Carolin Callies und Yevgeniy Breyger.
Zur ersten Staffel von NWS geht‘s hier, zur zweiten Staffel hier, die aktuellen Texte finden Sie hier. Foto Göritz: Privat.
Das Gedicht ist erschienen in: Matthias Göritz: Tools. Berlin Verlag 2012. 100 Seiten. 19,90 Euro.