In London laufen die Olympischen Spiele: Reiter, Schwimmer, Kampfsportler und Turner kämpfen um Gold. Aber wussten Sie, dass olympische Medaillen auch schon in künstlerischen Disziplinen wie etwa der Bildhauerei vergeben wurden? Marcus Imbsweiler mit einem kleinen Streifzug durch die „kulturelle“ Olympiageschichte.
Gold in … Bildhauerei
Dass zu Olympia nicht nur das Schneller, Höher, Weiter gehört, sondern auch das Schöne, Gehaltvolle, Beständige geht auf den Begründer der neuzeitlichen Spiele zurück, auf Pierre de Coubertin. Antikisch beseelt, schwebte dem Baron aus der Normandie eine Vereinigung von „Muskel und Geist“ vor, weshalb er parallel zu den sportlichen Auseinandersetzungen Kunstwettbewerbe initiierte. Dabei konnte er sich tatsächlich auf Vorbilder aus dem Altertum berufen. Zwar nicht in Olympia, aber andernorts, etwa bei den Pythischen Spielen in Delphi, traten Sänger und Musiker gegeneinander an.
Der kunstsinnige Franzose jedoch stieß bei den Veranstaltern der Neuzeit auf wenig Gegenliebe. Das Publikum wolle reinen Sport sehen, urteilten diese nüchtern, außerdem gehe die Sache ins Geld. Erst 1912, bei den V. Olympischen Spielen in Stockholm wurden Wettbewerbe in den Sparten Architektur, Bildhauerkunst, Malerei, Literatur und Musik ausgeschrieben. Nun aber zierten sich die Künstler; vor allem Komponisten und Dichter zeigten kaum Interesse an olympischem Lorbeer.
Um seinem Projekt etwas Schwung zu verleihen, reichte Coubertin daher höchstpersönlich eine „Ode an den Sport“ ein, freilich unter einem Pseudonym – und errang prompt die Goldmedaille. Das erinnert fatal an jene von Tacitus überlieferte Geschichte Kaiser Neros, der sich vom eigenen Senat zum Olympiasieger küren ließ, und zwar in der bis dahin nicht existenten Sparte Gesang. Ob und wie 1912 zugunsten von Coubertin gemauschelt wurde, ist im Rückblick kaum noch feststellbar. Nach offizieller Lesart gab sich der Baron erst Jahre später als Verfasser der Ode zu erkennen. Wie auch immer, eine gewisse Selbstbedienungsmentalität oder Geheimbündelei wird man dem IOC und seinen Mitgliedern nicht absprechen können. Auch einer von Coubertins Nachfolgern als Präsident, der unselige Avery Brundage, fühlte sich 1932 bemüßigt, eine olympische Schrift einzureichen und bekam trotz offensichtlicher Nichteignung wenigstens eine ehrenvolle Anerkennung zugesprochen.
Werner Egk, Olympiasieger für Deutschland
Werner Egk, der Schöpfer der „Zaubergeige“, gehörte einmal zu den bekanntesten Komponisten Deutschlands. Weniger bekannt ist die Tatsache, dass Egk auch zur Riege erfolgreicher Olympioniken gezählt werden darf. 1936 in Berlin gewann er in der Sparte „Orchestermusik“ eine Goldmedaille – für ein heute vergessenes, dem Schwulst nahestehendes Auftragswerk. Von der Siegerehrung im Olympiastadion berichtet er: „Kaum sprachen die Lautsprecher von der ‚Sportart Kunst’, verschwand der oberste SA-Führer mit seinen Paladinen aus der Loge. Das riesige Oval des Stadions leerte sich blitzschnell, und die Zuschauer liefen weg, wie die Flöhe von einer toten Katze.“ Auch für die Zeremonie selbst hat Egk nur Spott übrig: „Die Olympiagirls drückten uns einen Eichenkranz auf den Kopf und einen Blumentopf in die Hand.“ Allerdings darf man nicht übersehen, dass Egks ironiegetränkter Rückblick in erster Linie dazu diente, seine vorgebliche Distanz zum Nationalsozialismus hervorzukehren.
1936 wurden noch weitere deutsche Tonsetzer mit Medaillen ausgezeichnet – für Werke wie „Olympischer Schwur“ (Höffer, Gold), „Olympische Kantate“ (Thomas, Silber) oder „Der Läufer“ (Genzmer, Bronze). Der Wunsch Hitlers, die Nationenwertung zu gewinnen, ging nicht nur auf sportlichem Terrain in Erfüllung, sondern auch und vor allem in den künstlerischen Disziplinen. 741 Werke aus 23 Nationen wurden eingereicht. Im Medaillenspiegel führt das Deutsche Reich mit fünf Mal Gold, fünf Mal Silber und zwei Mal Bronze souverän vor dem Rest der Welt (4 – 7 – 9). Noch interessanter wird’s, wenn man die späteren Weltkriegskoalitionen zugrunde legt: Dann nämlich stehen für Deutschland und seine Verbündeten (Österreich, Italien, Japan) 23 Medaillen zu Buche, für alle anderen neun. Das militärische Kräftemessen ging bekanntlich etwas anders aus.
Multitalente
Schon mal von Walter Winans gehört? Geboren in St. Petersburg, lebte er hauptsächlich in England, doch seine beiden olympischen Goldmedaillen gewann er für die USA. Bei den Spielen von London 1908 triumphierte er in der heute nicht mehr ganz so aktuellen Disziplin Doppelschuss auf den laufenden Hirsch. In Stockholm 1912 reichte es nur noch zu Silber mit der Mannschaft. Aber wo verdiente er sich Olympiagold Nummer zwei? Nun, in einem Wettbewerb, der 1912 zum ersten Mal ausgetragen wurde: der Bildhauerkunst. Schwedens Jury zeichnete Winans, damals bereits 60 Jahre alt, für seine Skulptur „An American Trotter“ aus. „Trotter“ meint „Traber“, und tatsächlich betrieb Winans selbst aktiv Pferdesport – bis zu seinem Tod. 1920 starb er an einem Schädelbruch, den er sich bei einem Trabrennen zuzog.
Winans ist aber nicht der einzige Sportler, der auch im olympischen Kunstwettbewerb reüssierte. Bei den Premierenspielen der Neuzeit 1896 in Athen gehörte der Ungar Alfréd Hajós, geboren 1878 als Arnold Guttmann, zu den überragenden Schwimmern: Gold über 100 Meter Freistil, Gold über 1200 Meter Freistil. Später war er mehrfacher Landesmeister in unterschiedlichen Leichtathletikdisziplinen und spielte sogar in der ungarischen Fußballnationalmannschaft. Seine dritte olympische Medaille aber gewann er abseits der Stadien. 1924 legte Hajós zusammen mit seinem Landsmann Dezsö Lauber in der Sparte Architektur einen pompösen Sportstättenentwurf vor, der prompt mit der Silbermedaille belohnt wurde. Überflüssig zu erwähnen, dass auch Kollege Lauber ein talentierter Sportsmann war. Allerdings schied er in der olympischen Tenniskonkurrenz von 1908 schon früh aus.
Der Ewige Däne
Birgit Fischer hat es ja nicht geschafft. 2012, mit 50 Jahren, wollte die Kanutin erneut bei Olympia an den Start gehen, gab das Vorhaben aber gesundheitsbedingt auf. Zwischen ihrer ersten (Moskau 1980) und letzten (Athen 2004) olympischen Medaille liegen geschlagene 24 Jahre. Einmalig? Keineswegs. Der Däne Josef Petersen könnte Fischers Vorbild gewesen sein. 1924, damals bereits im reifen Athletenalter von 42 Jahren, beteiligt sich der Pfarrerssohn erstmals an den Spielen – als Literat. Sein Prosatext „Euryale“ über die mythischen Ursprünge Olympias beeindruckt die hochkarätige Pariser Jury, besetzt u. a. mit Paul Claudel, Selma Lagerlöf, Gabriele d’Annunzio und Paul Valéry, so sehr, dass sie Petersen eine Silbermedaille verleiht.
Acht Jahre später: Auch bei den Spielen von Los Angeles ist die Literaturjury mit Größen wie Thornton Wilder und André Maurois bestückt. Wieder beteiligt sich Petersen, wieder wählt er einen antiken Stoff – und wieder bekommt er Silber zugesprochen. 1936 verzichtet er auf eine Teilnahme, drei Jahre danach beginnt der Zweite Weltkrieg, doch ist die olympische Karriere des Dänen noch nicht beendet. 1948, als der Kunstwettbewerb zum letzten Mal Bestandteil der Spiele ist, stellt sich der mittlerweile 66-Jährige erneut der Konkurrenz. Seine Erzählung „Den Olympiske Mester“ handelt von einem (natürlich antiken) Sportler, der drei Mal bei Olympia erfolgreich war. Und tatsächlich: Auch Petersen gewinnt zum dritten Mal Silber.
Hätte das IOC nach 1948 nicht auf die Austragung künstlerischer Wettbewerbe verzichtet, wäre man dem Autor Petersen womöglich noch einmal begegnet. Er starb nämlich erst 1973, im Alter von 92 Jahren. Als letztes kurioses Detail seiner Biografie sei mitgeteilt, dass er sich auch auf anderen Gebieten kompetetiv verhielt: Im Jahr 1913 war er nämlich Teilnehmer des letzten Duells auf dänischem Boden.
Marcus Imbsweiler