Geschrieben am 15. Januar 2014 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Peter Münder über den Baseball-Pionier Albert Spalding

Albert_SpaldingSchöne neue Sportwelt

‒ Pitcher, Polemiker und begnadeter Selbstvermarkter: Der amerikanische Baseball-Pionier Albert Spalding mischte überall mit. Peter Münder über den geschäftstüchtigen Sportler, Funktionär und Unternehmer und seinen Kampf für Baseball (und gegen Cricket).

Wenn der Basketball-Star Dirk Nowitzki sich für seine Dallas Mavericks in die Luft schraubt und den großen hellbraunen Ball mit der Aufschrift SPALDING in den Korb zwirbelt, dann ist auf den in den Medien verbreiteten Fotos der auf dem Ball fett aufgedruckte Markenname SPALDING garantiert unübersehbar. Auch bei Baseballspielen, beim American Football, Volleyball oder beim amerikanischen Soccer ist auf den verwendeten Schlägern und Bällen der Name des in über 70 Ländern präsenten US-Sportartikelherstellers Spalding gut sichtbar. Für fast alle Sportarten liefert Spalding Schläger, Bälle, Handschuhe, Hemden und komplette Ausrüstungen, sodass man getrost von einer Art Monopolstellung der Firma in den USA sprechen kann.

Wer aber war dieser umtriebige, geschäftstüchtige Sportler, Funktionär und Unternehmer, der mit seinen guten politischen Beziehungen bis ins Weiße Haus und mit seiner gnadenlosen Vermarktungsstrategie jederzeit als leuchtendes Vorbild von Formel-1-Mogul Bernie Ecclestone oder dem umstrittenen ehemaligen FIFA-Präsidenten Sepp Blatter durchgehen könnte? Albert Goodwill Spalding (1850‒1915), organisierte eine schöne neue Sportwelt, die ganz auf sein eigenes profitables Renditekalkül zugeschnitten war. Und auf die Verhöhnung und den Niedergang des um 1900 noch populären Konkurrenzsports Cricket, der für Spalding eine lächerliche Freizeitbeschäftigung für verweichlichte Milchbubis war. So höhnte er etwa in seinem 1911 veröffentlichten Band „America’s National Game“:

»Wenn der britische Cricketspieler mittags sein Tagewerk vollbracht hat, sein Negligee anlegt, die weißen Hosen mitsamt den schmucken Strümpfen überstreift und die Leinenschuhe festschnürt, dann zieht er mit seinem Mädel an einem Arm und dem Cricketschläger am anderen zum Sportplatz, wohl wissend, dass er bei seinem Nationalsport seinen Dress nicht beschmutzen und die Dame seines Herzens nicht vernachlässigen wird. Wenn aber der amerikanische Baseballspieler seinen Dress überzieht, verabschiedet er sich von der Gesellschaft und verwandelt sich – in einen einfachen Ballspieler! Er weiß, dass es sein Business ist, sich auf den Ball zu konzentrieren … Cricket ist ein Zeitvertreib für sanftmütige Schöngeister ‒ Baseball ist Krieg!«

Dirk Nowitzki

Dirk Nowitzki; Quelle: wikimedia

Der aus Illinois stammende Spalding war nicht nur ein guter Baseballspieler (bei den Boston Red Stockings und Chicago White Stockings, Batting Average .313, »Hall of Fame«-Würdigung posthum 1939), sondern auch umtriebiger Unternehmer und National League-Funktionär. Seine Sportartikelfirma an der New Yorker 5th Avenue besteht immer noch, inzwischen gehören auch Ledertäschchen, exquisite Uhren und andere Accessoires zum Luxus-Repertoire, das wohl schon der große Gatsby goutierte.

Spalding organisierte eine effiziente Baseball-Liga, er gab die offiziellen Baseball-Spielregeln als Büchlein heraus und er organisierte 1888‒89 eine spektakuläre, medienwirksame Baseball-Tour über Hawaii, Neuseeland, Australien, Ceylon, Ägypten, Italien, Frankreich und England rund um die Welt. Bei der Rückkehr mit seinem Team wurde er in New York, Philadelphia und Chicago mit bombastischen Paraden und Staatsbanketten gefeiert, bei denen auch Teddy Roosevelt, der Baseball-Fan Mark Twain, diverse Lokalpolitiker, Baseball-Offizielle, Yale-Studenten und Mitarbeiter der New Yorker Börse anwesend waren.

Gleichzeitig produzierte Spalding alle Sportartikel, die junge Sportler so brauchten – vom Baseballschläger bis zum Football, vom Tennisschläger bis zum ledernen Baseball-Handschuh, den er selbst als erster benutzte und bei seinen Spielen als unerlässliches, attraktives Utensil vorführte. Der notorische Selbstvermarkter ließ dann auch in den Spielregeln festschreiben, welche seiner Sportartikel zu benutzen waren.

Schon bevor er 1900 von Präsident McKinley beauftragt wurde, als US-Vertreter bei den Olympischen Spielen in Paris für Baseball als olympische Disziplin zu werben, hatte Spalding längst die kommerziellen Aspekte des Baseball im Visier: Die Zuschauer strömten zu Tausenden in die Stadien, um spannende Spiele zu sehen und waren auch bereit, dafür ein paar Dollar springen zu lassen. Und diese Event-Schiene bediente er mit einem Rundum-Paket: Mit einer neuen Liga und professionellen Spielern, mit einem Baseball-Magazin, mit seinen Stores und all den dazugehörigen Sportartikeln.

Spalding kannte keine Hemmungen, wenn es darum ging, gegen Cricket zu polemisieren: Er sah Baseball als rein amerikanischen, männlichen Sport und mokierte sich über angeblich feminine Typen, die im Negligee-artigen Hemd und weißen Hosen statt zum Tee zum Cricket-Rasen marschierten. Die Diskussion über die Ursprünge von Cricket und Baseball und darüber, ob etwa das englische Schlagballspiel „Rounders“ – bei Kindern und Gouvernanten sehr beliebt – die gemeinsame Mutter von Cricket und Baseball war, versetzte ihn in Rage: Das durfte einfach nicht sein, und so sorgte er dafür, dass die amerikanische Sportgeschichte neu geschrieben werden musste.

Baseball illustration by E. W. Kemble from the Dave Thomson collection. Kemble was the artist who illustrated the first edition of ADVENTURES OF HUCKLEBERRY FINN

Baseball illustration by E. W. Kemble from the Dave Thomson collection. Kemble was the artist who illustrated the first edition of ADVENTURES OF HUCKLEBERRY FINN, Quelle: twainquotes/Barbara Schmidt

Nachdem er eine Historikerkommission installiert hatte, die einen amerikanischen »Erfinder« des Baseball eruieren sollte, kam diese Revisionistentruppe nach dreijähriger Recherche zu dem grotesken Ergebnis, dass Baseball vom berühmten Bürgerkriegsgeneral Abner Doubleday aus Cooperstown (dem späteren Sitz der Baseball Hall of Fame) erfunden wurde. Weder Doubleday noch andere Experten hatten dies bis dahin je behauptet – aber Spalding wollte für den populären amerikanischen Nationalsport unbedingt einen patriotischen Vorzeige-Promi als Erfinder haben. Als modifizierte Cricket-Variante und Vorbild des »uramerikanischen« Baseball hätte er diese nach seiner Ansicht eher tuntige Freizeit-Aktivität für Memmen nie gelten lassen. Zu Spaldings überheblicher Kritik am Cricket-Outfit sei nur bemerkt, dass der typische Baseball-Dress ja wie eine Kombination von Pyjama und Knickerbocker anmutet, aber das ist wieder ein anderes Thema, das Kostümexperten und Spalding-Fans diskutieren sollten.

cover_1600x2560_single_münderWahrscheinlich führte Spaldings reaktionär-chauvinistische, mit großer öffentlicher und medialer Begeisterung unterstützte Einstellung dazu, dass der mit Spalding gut bekannte Mark Twain seine Idealisierung von Baseball als zivilisationsförderndem Sport verwarf. Twain war zusehends extrem desillusioniert gewesen angesichts der rapide zunehmenden Kommerzialisierung im Baseball. Und er war auch entsetzt, dass die Vorurteile gegenüber Schwarzen im Baseball sich über Jahrzehnte perpetuierten und Schwarze von Spielen in der Major League strikt ausgeschlossen waren. Erst 1947 erstritt Jackie Robinson von den Brooklyn Dodgers ein Gerichtsurteil, das ihm die Teilnahme in der Major League erlaubte, bis dahin durften Schwarze nur in den segregierten »Negro Leagues« spielen.

In seiner satirischen Erzählung »A Connecticut Yankee at King Arthur’s Court« (1889) hatte Twain ja noch im 40. Kapitel ironisch demonstrieren wollen, mit welch demokratisch-revolutionärem Impetus die vom Yankee propagierte Einführung von Baseball unter all den grandiosen britischen Royalisten die Klassenschranken niederreißen würde. Und er hatte zuvor regelmäßig in dasselbe PR-Horn wie Spalding gestoßen und Baseball als »vollkommenen Ausdruck eines neuen, dynamischen und vorwärtsstürmenden Jahrhunderts« gepriesen. Auf seiner ausgiebigen England-Reise hatte Mark Twain zwar einige Cricket-Matches gesehen, doch mit diesem exotischen Spiel konnte er sich nicht anfreunden. Ähnlich wie Spalding mokierte sich der amerikanische Humorist sich nur in etlichen verkrampft-satirischen Impressionen über die Regeln, die Wickets und das Outfit der Cricketer.

Der Baseball-Propagandist Albert Spalding war übrigens 1900 nach San Diego übergesiedelt und Theosoph geworden. In den am Meer gelegenen Sunset Cliffs erbaute er ein riesiges Anwesen mit einem historischen Park. Dort starb er 1915.

Peter Münder

In seinem CulturBooks-Essay „Feldspiel und Weltspiel, Batter und Bowler: Über Baseball, Cricket und Literatur“ (CulturBooks Single, Oktober 2013) setzt sich Peter Münder mit den „nationaltypischen“ Sportarten Baseball und Cricket auseinander und geht auf die Sportromane von Chad Harbach („The Art of Fielding“) und Joseph O’Neill („Netherland“) ein, deren Hauptfiguren Baseball-, bzw. Cricket-Spieler sind.

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