Geschrieben am 14. Dezember 2011 von für Litmag, Sachen machen

Sachen machen: Tauchen

Tauchkurs

– Isabel Bogdan begibt sich für CULTurMAG ins Handgemenge mit den Dingen und probiert skurrile, abseitige und ganz normale Sachen aus. Diesmal atmet sie unter Wasser.

Endlich! Seit ich denken kann, träume ich davon, unter Wasser atmen zu können. Andere träumen vom Fliegen, ich nicht, habe ich noch nie, ich träume, ich könnte unter Wasser atmen. Es ist immer dasselbe, ich schwimme unter Wasser, denke: versuch’s doch einfach mal, und stelle fest, dass es geht. Es gibt keine große Geschichte drumherum, es ist einfach nur das: ich kann unter Wasser atmen. Dann wache ich meist auf. Und habe, wenn ich schwimme, manchmal geradezu die Sorge, dass ich unter Wasser aus Versehen mal tief Luft holen könnte, weil ich ja schon so oft erlebt habe, dass es funktioniert.

Warum habe ich es noch nie wirklich probiert, warum habe ich noch nie einen Tauchkurs gemacht? Keine Ahnung. Meine Vorfreude sagt, dass ich das schon längst hätte tun sollen. Wobei das, was ich jetzt mache, auch überhaupt nichts Beängstigendes hat, ich mache nur einen Schnupperkurs im Schwimmbad, da kann gar nichts passieren. Selbst wenn das mit dem Atmen nicht klappen sollte, wenn mir das Atemgerät flöten geht oder sonstwas passiert, dann tauche ich halt auf. Keinerlei Gefahr, und Haie wird’s im Schwimmbad auch nicht geben.

Als ich ankomme, werde ich als erstes gefragt, ob ich ein T-Shirt dabeihabe. Habe ich nicht, wieso sollte ich, ich habe einen Badeanzug dabei. Das Jacket, das man beim Tauchen trägt, scheuert aber an den Schultern, heißt es, daher bekomme ich einen Neoprenanzug geliehen. Ist im Schwimmbad sonst eigentlich nicht nötig, nur halt als Scheuerschutz. Sehr flott, mit kurzen Beinen und kurzen Ärmeln, ich sehe aus wie ein Bondgirl *hust*. Also, fast.

Wir sind ziemlich viele Tauchschüler in dem kleinen Schwimmbad. Ein ganzer Kindergeburtstag ist dabei, sehr süß. Und glücklicherweise auch genügend Lehrer dazu, ein Lehrer betreut höchstens vier Schüler. Wir sind nur zu dritt; außer mir noch Sigrun und Helmut dazu unsere Tauchlehrerin Sabine. Sabine zeigt uns, wie man die Ausrüstung zusammensetzt: die schwere Flasche hinten in das Jacket einspannen, den Lungenautomaten an der richtigen Stelle an der Flasche festschrauben und die losen Enden mit Klettverschlüssen am Jacket sichern. Ich freue mich über das Wort Lungenautomat, das klingt so nach Herz-Lungenmaschine und tut ja auch so was Ähnliches. Natürlich sage ich dauernd Lungenmaschine, Sabine lacht.

Wir legen die zusammengesetzten Jackets mitsamt Luftflasche und Lungenmaschine erst mal ins Wasser. Dann muss ich mir zwei Kilo Blei umschnallen, damit ich überhaupt untergehe, denn so ein Neoprenanzug hat Auftrieb. Ich kann mir kaum vorstellen, dass die Flasche und das ganze Gedöns nicht schwer genug sein soll, um mich runterzuziehen, aber Sabine wird das besser beurteilen können. Wir spucken in unsere Taucherbrillen und verreiben die Spucke darin – die Brillen würden im Wasser sonst sofort beschlagen, und Spucke verhindert das irgendwie (ein Enzym, glaube ich). Sehr appetitlich – weiß der Geier, wer da sonst schon alles reingespuckt hat. Aber die Brillen kommen nach jeder Benutzung in die Spülmaschine, da soll wohl nicht mehr allzu viel fremde Spucke drin sein.

Brille auf und ab ins Wasser – angenehm kühl! Ich bin schon ganz verschwitzt von der schweren Flasche und dem warmen Neoprenanzug. Ob der auch in die Spülmaschine kommt? Im Wasser ziehen wir uns die Flossen an, dann das Jacket, wir zurren alle Riemen fest, setzen die Brillen auf und tauchen dann mal kurz den Kopf ins Wasser, um uns zu vergewissern, dass die Brillen dicht sind. Sind sie. Noch nie habe ich im Wasser so viel angehabt und mich so angeschnallt gefühlt.

Dann das Atemgerät: wir nehmen das Mundstück in den Mund (Spülmaschine, nehme ich an) und atmen damit ganz normal weiter, und das funktioniert tatsächlich, also können wir damit auch mal kurz unter Wasser gehen – Yeah! Yeah yeah yeah! Ich kann unter Wasser atmen! Ganz normal, nur halt mit dem Ding im Mund. Wahnsinn. Ich! atme! unter! Wasser!

Was allerdings, wenn ich es recht bedenke, im Moment einigermaßen überflüssig ist, denn ich könnte ebensogut einfach den Kopf heben. Die Verabredung war, wir setzen uns jetzt mal kurz auf den Boden, dort, wo wir stehen. Das Wasser ist mal gerade hüfthoch, ich treibe an der Oberfläche und keine Chance, mich auf den Boden zu setzen. Da komme ich gar nicht runter. Sabine sagt, ich soll die Luft aus dem Jacket lassen, aber das habe ich längst, da ist kein Fitzelchen Luft mehr drin. Sie steckt mir noch ein Stück Blei in die Tasche, ich gehe immer noch nicht unter. Noch ein Stück Blei in die andere Tasche, dann geht es ein bisschen besser, aber immer noch nicht gut. Langsam frage ich mich fast, wie man überhaupt ertrinken kann, ich gehe nicht mal unter. Trotz schwerer Flasche auf dem Rücken (die im Wasser natürlich nicht mehr so schwer ist) und ein paar Kilo Blei in den Taschen. Aber jetzt geht es einigermaßen, ich atme so weit aus, wie ich kann und sinke langsam auf den Grund.

Völlig irre. Ich liege auf dem Schwimmbadboden, habe noch nicht so richtig unter Kontrolle, wohin es mich gerade treibt, aber ich atme, und ich kann alles um mich herum klar und deutlich sehen. Nur ein bisschen verzerrt, manches erscheint größer als es ist. Alles okay?, fragt Sabine, indem sie einen Ring mit Daumen und Zeigefinger macht. Ich recke den Daumen hoch, weil ich total super meine, dann fällt mir ein, dass der hochgereckte Daumen das Zeichen für ich will auftauchen ist und mache stattdessen auch den Ring. Himmel, ist das toll.

Wir tauchen alle wieder auf, und ich habe zum ersten Mal ein dümmliches Grinsen im Gesicht. Toll, stammle ich. Und dann sage ich: toll. Wunderbar, sagt Sabine, dann tauchen wir jetzt wieder ab, legen uns wieder auf den Boden, und bewegen uns dann langsam Richtung tieferes Ende. Yeah.

Ich komme schon wieder nicht runter. Ich lasse alle Luft aus dem Jacket, in dem eh keine drin ist, atme tief aus, ich treibe oben. Wie bin ich denn vorhin runtergekommen? Das ging doch? Da ist keine Luft mehr in meinem Jacket, woher auch, ich habe, seit wir im Wasser sind, immer nur den Luft-raus-Knopf gedrückt. Sabine kommt und hängt mir noch ein Gewicht irgendwo dran, ich gehe unter. Super. Sabine und ich schwimmen rückwärts, die beiden anderen so, dass sie uns angucken, vorwärts langsam Richtung tiefes Ende.

Und dann runter. Alles okay, fragt Sabine per Fingerzeichen, alles okay, signalisiere ich. Bei Sigrun sieht es auch gut aus, Helmut treibt ein bisschen unbeholfen durch die Gegend, Sabine kümmert sich um ihn.

Ich fühle mich ganz schnell zu Hause. Nur mein Kiefer verkrampft sich ein bisschen, ich beiße zu fest auf das Mundstück. Wenn ich versuche, etwas lockerer zu lassen, bekomme ich Angst, das Mundstück zu verlieren. Ich halte es kurz mit der Hand fest, um keine Kieferverspannung zu bekommen. Ansonsten bin ich total in meinem Element. Ist! das! herrlich! Man kann einfach ganz normal weiteratmen.

Ich schwimme herum, mit den Flossen geht das ja ganz einfach, lasse mich ganz nach unten sinken, mache automatisch zwischendurch mal einen Druckausgleich, drehe mich um, schwimme hin und her und fühle mich pudelwohl.

Es ist ganz schön voll im Becken, alles voller Tauchschüler, alle scheinen sich wohlzufühlen. Ach, herrlich. Irgendwo schwimmt ein Fisch. Also, ein Plastikfisch, der mit einem Faden an einem Gewicht befestigt ist. Und ein Hula-Hoop-Reifen, durch den man durchschwimmen kann. Ansonsten möchte man gar nicht so genau wissen, was in so einem Schwimmbad alles herumschwimmt. Pflaster, Haarbüschel, Gummibänder, Undefinierbares. Ein paar Leute werfen sich einen kleinen Plastikhai zu wie eine Frisbeescheibe. Ich sehe Sabine, zeige auf den Reifen und gucke fragend. Sie nickt, und ich traue mich. Der Reifen ist nicht so irre groß, und man hat ja allerhand Geraffel auf dem Rücken, aber es klappt, ich komme problemlos durch und freue mich.

Unter Wasser geht alles viel langsamer und viel leichter, ich möchte sofort raus in „richtiges“ Wasser, richtige Fische sehen und Pflanzen und richtiges Wasserleben, nicht nur große Mengen Taucher in hellblauen Kacheln.

Zwischendurch tauchen wir einmal kurz auf, klären, ob alles klar ist. Ich will raus, sage ich, und Sabine guckt besorgt, neinnein, nicht jetzt raus aus dem Wasser, sage ich, sondern raus in die Natur, ins Meer oder einen See, in richtiges Wasser, und der Rest verliert sich wahrscheinlich schon wieder in blödem Grinsen. Es ist so toll, ich bin vollkommen beglückt.

Natürlich ist die Stunde viel zu schnell vorbei. Wie, schon Schluss, denke ich, und merke plötzlich, dass ich doch ein bisschen erschöpft bin und vor allem friere. Gut, dass ich den Neoprenanzug hatte, im T-Shirt wäre es mir wahrscheinlich noch kälter geworden. Im Wasser bewegt man sich so langsam, dass man nicht von selbst warm wird wie sonst beim Schwimmen, eigentlich klar, dass man da friert.

Und trotzdem: am liebsten würde ich nur kurz heiß duschen und dann wieder rein. Auch wenn ich in diesem kleinen Schwimmbad inzwischen jede Fliese, jedes herumtreibende Pflaster und jedes Haargummi kenne.

Zu Hause google ich nach Tauchurlauben.

Isabel Bogdan

Isabel Bogdan übersetzt seit 10 Jahren Literatur aus dem Englischen (u. a. Jonathan Safran Foer, Miranda July, ZZ Packer, Tamar Yellin, Andrew Taylor). Sie lebt und arbeitet in Hamburg. Zum Blog von Isabel Bogdan.

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