Geschrieben am 25. April 2007 von für Litmag, Lyrik

Said: Psalmen

Herr, kämpfe gegen die müde Vernunft

SAID, der in der Tradition persischer und deutscher Lyrik steht und die Bibel so gut kennt wie den Koran, hat mit diesen Psalmen ein kleines Juwel an poetischer Sprache geschaffen.

Dieser Band läßt einen staunen. Da schreibt ein Ungläubiger Psalmen wie sie heute ein gläubiger Christ wahrscheinlich nur selten zu Papier bringen könnte. Der Autor stammt gebürtig aus Teheran, beherrscht aber die deutsche Sprache wie nur wenige Deutsche. Das den Band uneingeschränkt lobende Nachwort wird von einem deutschen Professor (Hans Maier) verfaßt, der vor einigen Jahrzehnten dem damals auf Münchner Strassen demonstrierenden Autor wohl kaum freundschaftlich begegnet wäre. Der Verlag versucht in seiner Werbung das Buch in eine allenthalben spürbare ‚religiöse Renaissance’ einzuordnen, aber mit religiöser Weltflucht und frommen Einverständnis zum (konservativen) Status Quo haben die hier zu lesenden Psalmen nun rein gar nichts zu tun.

Was aber sind dann diese gut einhundert, oft nur wenige Zeilen umfassenden Psalmen, wenn sie nicht von einem Gläubigen, sei er Christ oder Moslem, geschrieben sind und nichts zu tun haben mit frommer Erweckungsliteratur? Traditionell im Stil eines biblischen Psalmes ruft SAID immer wieder den ‚Herrn‘ als ein Gegenüber, als Vater, als Freund, als den radikal Anderen an. Klagend, zweifelnd, hoffend, selten aber dem „Herrn“ vertrauend. Vielleicht ist es dieses fehlende, aber immer suchende Grundvertrauen zum ‚Herrn’, das an diesen Psalmen so fasziniert. „herr/ entzweie dich/ für den abtrünnigen der ich bin/ für meine zornlosen hände/ für meine selektive treue/ die alles verrät/ bis auf träume und gebete.“ Und – das vor allem – diese Psalmen eines Ungläubigen sind in einer betörend schönen Sprache geschrieben. „ siehe oh herr/ ich rufe deinen namen/ mit dem wehgeruch der felder/ mit dem ruf des kiesels nach der mulde einer hand/ sind wir dann nicht wie zwei tauben/ denen man keine botschaft anvertraut?“
Was in vielen der heute auch in den liberalen Feuilletons wieder modisch gewordenen Serien über die ‚neue Religiösität’, die „Suche nach Gott“ und ähnliche Weichspülungen der harten Gegenwart fehlt, findet man in diesen alttestamentarisch gefärbten ungläubigen Gebeten: den Zorn, den Zweifel, die noch nicht aufgegebene Utopie, daß die Welt, so wie sie ist, nicht bleiben darf: „herr/ bleibe bei mir…und gib/ daß mein warten voller revolte sei.“ Für die Lektüre dieser Psalmen oder Gebete oder Gedichte sollte man sich sehr viel Zeit nehmen.

SAID, der in der Tradition persischer und deutscher Lyrik steht und die Bibel so gut kennt wie den Koran, hat mit diesen Psalmen ein kleines Juwel an poetischer Sprache geschaffen, das den immer wieder neuen Dialog wie den Streit zwischen Gläubigen und Ungläubigen, zwischen den ‚Rationalisten’ und den ‚Mystikern’ eine ganz neue Grundlage verschafft. „Herr/ bedränge mich nicht/ mit deinen gebeten und geboten/ verbleibe stumm in rufweite/ und kämpfe mit mir gegen die müde vernunft/ und für eine schönheit/ die auch diese grenze überschreitet.“ Der argentinische Schriftsteller Ernesto Sabato, bei uns so schändlich wenig bekannt, hat einmal geschrieben: „Ein religiöser Mensch ist nicht jemand, der unbedingt an Gott glaubt, sondern jemand, den diese Frage ein Leben lang beschäftigt und quält.“ Genau hier sind auch die ‚Psalmen’ von SAID angesiedelt, die von weit her kommen und von einer beunruhigenden Aktualität sind.

Carl Wilhelm Macke

SAID: Psalmen. C.H. Beck Verlag, Muenchen, 2007, 112 S., 14,90 Euro