Traumgefilde ohne Firlefanz
Selim Özdogan über das Schreiben, die Musik, den Rausch, das Netz, die Liebe und seinen Roman Zwischen zwei Träumen. Das Gespräch führte Ulrich Noller
Ulrich Noller: Okay, Hand auf’s Herz: Welcher Art von Rausch ist die Idee zu Zwischen zwei Träumen entsprungen?
Selim Özdogan: Die Idee ist naheliegend, finde ich. Viele Menschen haben sich schon mal vorgestellt, wie es wäre, wenn man Träume irgendwie aufzeichnen könnte. Ich habe dieser Idee einfach nur Raum und Richtung gegeben.
Ulrich Noller: Du bist jemand, der immer mal wieder von sich sagt, er mache nur das, worauf er auch Bock hat. Was hat Dir an der Sache mit den Träumen Lust bereitet?
Selim Özdogan: Man hat viele Freiheiten, wenn man über Träume schreibt und insbesondere im zweiten Teil des Buches konnte ich mitverfolgen, wie auf einmal Bilder und Situationen auftauchten, die bei einem anderen Thema kaum möglich gewesen wären. Es war für mich ein schönes Gefühl hinterher dazusitzen, mir das Geschriebene anzuschauen und nicht die geringste Ahnung zu haben, woher das denn eigentlich kam. Zudem gehören Träume zu den wenigen Themen, die mich selber endlos beschäftigen können, ohne dass ich genau erklären könnte, warum das so ist. Ich habe immer das Gefühl, man kann nicht so viel für seine Vorlieben und Abneigungen, ob man sich für Träume begeistert, Frauen mit großen Hintern oder Linsencurry oder alles drei zugleich ist kaum steuerbar.
Ulrich Noller: Der Regisseur Fatih Akin ist ein großer Fan Deiner Geschichten. Kannst Du Dir eine Fatih Aktin-Verfilmung von Zwischen zwei Träumen vorstellen? Wie würde diese aussehen?
Selim Özdogan: Ich kann mir grundsätzlich eine Verfilmung des Buches vorstellen. Aber wie diese dann aussehen würde, ist Sache des Regisseurs, wer immer es auch ist. Für diese Frage bin ich der falsche Adressat, das Buch ist jetzt draußen und der Stoff muss ein wenig selber zusehen, wie er zurechtkommt, ich habe ihn lange genug zu Hause gehegt und gepflegt.
U. Noller: Das Setting Deiner Geschichte ist alles in allem sehr modern – aber wenn’s ums Träumen geht, wirst Du fast altmodisch: Die Träume tröpfelt man sich mit einer Pipette, so ganz ohne elektronische Hilfsmittel.
S. Özdogan: Klar, wie auch sonst? Die Menschen haben ja auch nicht anderen Sex und auch im Dunkelrestaurant essen sie normale Kost.
U. Noller: Aber elektronische Musik spielt schon eine gewichtige Rolle. Oder zumindest das DJ-tum … Warum? Der Rausch?
S. Özdogan: Nein, die Musik. When it hits you, you feel no pain. Der DJ ist ein Vehikel für Musik. Es ging mir nicht um eine bestimmte Musikrichtung, obwohl es im Club halt schon tanzbar sein sollte. Doch bei Elia zum Beispiel steht ja die Stimme im Vordergrund, in den Bims genannten Träumen auch, und auch sonstige Referenzen und Anspielungen sind nicht unbedingt elektronisch. Es ist bloß Musik und letztlich genau so unverständlich wie Träume. Und genauso bewegend.
U. Noller: Wenn man beobachtet, was in der Unterhaltungsindustrie passiert, speziell im Musikbereich, fragt man sich manchmal, wie es angesichts der vielen schnellen, sich überschlagenden Entwicklungen da überhaupt noch eine Zukunft geben mag. Und wenn ja, welche. Ist Dein Roman ein Versuch einer Antwort? Der Traum als Auslagerung des Bewusstseins – als heißestes Produkt der Kulturindustrie?
S. Özdogan: Nein, der Roman ist kein Versuch einer Antwort. Es gibt schon viel zu viele Antworten, wenn man mich fragt. Ich habe keine Ahnung, wohin die Unterhaltungsindustrie sich bewegt, glaube aber schon, da liegst du richtig, dass auch Träume ein gut vermarktbares Unterhaltungsprodukt sein könnten und dass dann gewisse Kontrollmechanismen der Industrie nicht mehr greifen. Menschen bleiben auf Träumen hängen, man kann keine Produkte mehr designen, sondern ist auf die natürlichen Träume angewiesen.
U. Noller: Gemeinsam dieselben Träume zu erleben, ist das eigentlich Zukunftsmusik? Eine Wunschvorstellung? Oder längst Realität?
S. Özdogan: Sehr komplexe Frage, weil ich alle drei Vorgaben bejahen würde. Klar ist es längst Realität, Millionen von Menschen haben die gleichen traumartigen Vorstellungen von einem guten Leben, Vorstellungen, die sie nie werden verwirklichen können und die meistens damit zu tun haben, dass sie die Wahl haben zwischen diesem und jenem oder in die Position gelangen möchten, diese Wahl zu haben. Es wird einem ja immer weisgemacht, dass man sich selbstbestimmt fühlen muss, frei, dass man die Wahl hat zwischen zwei oder mehr Dingen. Cola oder Wasser oder Bier, man muss sich dauernd entscheiden und das Entscheiden-Können wird positiv bewertet. Dabei haben die Ziele nichts mit einem selbst zu tun haben, sondern werden vorgegeben. Ob von der Gesellschaft, den Medien, von Geheimgesellschaften oder sonst wem, bleibt noch herauszufinden. Eine Wunschvorstellung deshalb, weil es meistens schöner ist, Dinge gemeinsam zu tun, als alleine irgendwo zu stehen. Und Zukunftsmusik, weil wir nie an einem Strang ziehen und uns nie einig werden.
U. Noller: Vieles von dem, was bei Dir anklingt und fortgedacht wird, findet man in anderer Form auch im Internet. Oder?
S. Özdogan: Man kann das Internet auch als eine Metapher für Träume betrachten. Es scheint unendlich, niemand kann allein überblicken, was alles darin enthalten ist. Es gehorcht zwar Rahmenbedingungen, aber nicht nachvollziehbaren Gesetzen und wenn man sich in eine Sache vertieft, taucht das Gefühl von Bodenlosigkeit auf. Es hat dunkle, wenig beachtete Ecken, die man allerdings, und da greift die Metapher nicht mehr, gezielt suchen muss. Aber die Welt, die man da betritt ist auch irreal, weil digital und nicht greifbar, doch ist sie nicht flüchtig und wiederholbar, so wie es auch mit den käuflichen Träumen im Buch ist. Die Wiederholbarkeit gewährleistet ja erst die Verbreitung und die kommerzielle Nutzung.
U. Noller: Dass man in einem Medienzeitalter, in dem Bilder und Vorstellungen immerzu und allerorten grassieren, seinen eigenen Traum zu verlieren droht, ist es das?
S. Özdogan: Das ist sicherlich auch ein Aspekt. Dass man geneigt ist immer draußen zu suchen, anstatt bei sich selbst. Diese Medienwelt ist ja letztlich genauso wenig real wie die eigenen Träume, aber man ist versucht, ihr mehr Gewicht beizumessen, weil sie lautstark behauptet Wirklichkeit zu spiegeln. Dabei verzerrt sie sie nur. Und das tun Träume ja auch.
U. Noller: Wäre die Literatur dafür das geeignete Mittel? Was macht ausgerechnet das Schreiben für Dich interessant in einer Zeit der allgegenwärtigen Träume?
S. Özdogan: Ich halte mittlerweile die Literatur für kein Mittel, das zielgerichtet irgendetwas erreichen kann. Mag sein, dass sie Auswirkungen hat, aber die sind nicht zu steuern. Wäre Literatur ein Mittel, um Menschen oder Dinge zu erleuchten, müsste dieser Literaturbetrieb ganz anders aussehen. Das einzige, was das Schreiben für mich noch interessant macht, ist, dass es eine schöne Beschäftigung ist, bei der ich mich vergessen kann. Ich verfolge kein Ziel damit, auch daher, siehe weiter oben, ist das Buch keine Antwort. Klar muss ich Geld verdienen, aber das ergibt sich glücklicherweise.
U. Noller: Und wie sollte das Geschriebene klingen?
S. Özdogan: Nach Musik
U. Noller: Letztlich sind es die einfachen und die archaischen Dinge, die zählen, oder? Die Liebe, das Erwachsenwerden, die Suche, der Sex …
S. Özdogan: Plus Religion, Geburt, Tod, Freunde, Freude, Teilen, Essen, Schlafen. Ja!
Alles andere halte ich für unnötigen Firlefanz, mit dem man sich gerne und auch lustvoll beschäftigen kann, aber in zumindest hin und wieder wird man auf die immergleichen Dinge zurückgeworfen.
U. Noller: Vielen Dank für das Gespräch! (Januar 2009)
© Foto: Maria Steenpass
Ulrich Noller
Selim Özdogan: Zwischen zwei Träumen. Roman.
Lübbe 2009. 447 Seiten. 18,95 Euro.