Geschrieben am 29. April 2015 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Sophie Sumburane zu #RegrettingMotherhood und unerfüllbare Mutterrollen

sophie sumburaneWo sind denn deine Kinder?

Es war die Studie einer israelischen Soziologin, die eine Debatte anstieß, die seit einigen Wochen durch Medien, Social Media und sogar das Heute Journal ihre Kreise zieht. 23 Mütter berichteten darin, sie würden es bereuen, Mutter geworden zu sein. Viele andere Mütter offenbaren unter dem Hashtag #RegrettingMotherhood ihre eigenen „Beichten“. Und ich als Mutter? Ich glaube ihnen allen das gern. Sophie Sumburane über überzogene und unerfüllbare Mutterrollen.

Es ist ein Tabu zu sagen: Ich bin unglücklich als Mutter. Man hat glücklich zu sein, die Welt mit seinem Kind neu zu entdecken, man muss selbst nach der dritten durchwachten Nacht noch vor Liebe platzend das kreischende Kindlein im Arm wiegen, bis es auf dir liegend endlich eingeschlafen ist (und natürlich die ganze Nacht auf dir liegen bleiben will). Man hat es süß zu finden, wenn das Kind mit Brei schmeißt, im Supermarkt schreiend Schokolade einfordert und so weiter. Es gibt einen Haufen Dinge, die jede Mutter aufzählen könnte, die so gar nicht süß sind.

Ich bin Mutter von zwei Töchtern. Ich habe schon eine selbst angelegte Regenwurmfarm unter dem Bett meiner großen Tochter gefunden. Kinder machen so Sachen eben, Kinder sind anstrengend, nervig, laut; lieben es Sand zu essen, hassen es aufzuräumen und und und. Aber dennoch liebe ich meine Töchter. Und ich glaube, dass auch die Mütter, die angeben es zu bereuen, Mutter zu sein, ihre Kinder lieben. Es ist ein Unterschied, ob man seine Rolle als Mutter bereut, oder seine Kinder nicht liebt. Denn diese Mutterrolle ist oft eine von außen aufgezwungene. Wenn dein Kind auf dem Spielplatz nicht mehr mit den anderen Kindern spielen darf, weil du als Mutter nicht die Reiswaffeln von Alnatura gekauft hast, wenn du dich dumm anschauen lassen musst, weil dein Kind mit einem Jahr noch nicht in der Musikschule zum Instrumentenkreisel angemeldet ist, wenn du nicht jeden Schritt den dein Kind auf dem Klettergerüst mit ausgestreckten Armen unter dem Klettergerüst mit machst – ja, dann bist du ganz schnell eine Rabenmutter, in den Augen der anderen. Wenn du Vollzeitmami bist, bist du der Feind der aufgeklärten Frau von heute, wenn du Vollzeit arbeitest, vernachlässigst du dein Kind.

Die Anforderungen an eine Frau, die Mutter ist, sind exorbitant. Vollkommen unerfüllbar, was dazu führt, dass viele Mütter in diesen Rollen vollkommen überfordert sind.

Warum machen es sich aber Mütter untereinander so schwer?

Vielleicht, weil eine jede Mutter sich jeden Tag scheiternd erlebt und unbewusst das eigene Selbstwertgefühl zu retten versucht, indem sie andere Mütter herabsetzt? Westentaschenpsychologie, mag sein…

Aber tut es nicht gut, wenn man Dinge sagt wie: Verflucht, ich habe heute früh vergessen, Wasser in die Kaffeemaschine zu füllen, jetzt ist sie kaputt!, und dann, statt im eigenen Gefühl der Dummheit zu verbleiben, zu hören bekommt: Ach ja, das ist mir auch schon passiert! So was Doofes! Stattdessen denken viele Mütter automatisch: Die da hat zum Kindergeburtstag im Kindergarten nicht mal einen selbstgebackenen zuckerfreien Karottenkuchen mitgebracht, sondern nur den vom Bäcker angeschleppt. Ha, die ist viel schlechter im Muttersein als ich! Mutter sein ist zum Wettkampf geworden. Wessen Kind fällt zuerst der erste Milchzahn aus, wer findet den netteren Schwimmlehrer, wer hat die pädagogisch wertvollsten Gutenachtgeschichten. Und sofort wird die Nase gerümpft: Deine Tochter spielt mit Barbie? Ist dir nicht klar, was durch diese Puppe für ein Rollenbild vermittelt wird? Möchtest du wirklich, dass deine Tochter später mal so sein will, wie diese Puppe, obwohl du als Mutter heute schon weißt, dass die Proportionen keine echten Frauenproportionen sind? Hm? Ist dir dein Kind egal?

Du hast eine Kleinkinderschaukel aus Plastik? Wir sind extra um die halbe Welt gereist um eine zu finden, die aus Holz gemacht ist, aber das war es uns wert! Für unser Kind!

Schnell, schnell, lasst uns Unterschriften im Kindergarten sammeln, Mutter x/y hat ihr Kind gestern als Mittagskind abgeholt und dabei gesehen, dass es ZUCKER und Zimt zum Milchreis gab! Verbannen! Wer startet die Onlinepetition?

Ganz ehrlich? Es nervt mich. Ich habe kaum andere Mütter als Freundinnen. Eben weil ich mich nicht den ganzen langen Tag über Kinder unterhalten möchte. Ernährung, Kleidung, Fördern, Montessori (Wie, du versuchst nicht mal, deine Kinder da anzumelden?), Musik und Sport, Impfen, Medikamente, die Themenlatte ist endlos, meine Geduld leider nicht.

Ich für meinen Teil bereue es nicht, Mutter zu sein. Ich bin gern Mutter. Ich bin auch noch gern Mutter, wenn ich Regenwürmer im Zimmer meiner Tochter finde, vielleicht auch, weil ich den passenden Partner habe, der mir ohne Aufregung hilft, die Würmer nach draußen zu bringen. Aber ich bin genervt von dem unerreichbaren Rollenbild der Mutter. Und dem Mütterkampf untereinander.

Denn dieses Mutterbild bleibt ja nicht im Miteinander der Mütter hängen. Es findet sich überall in der Gesellschaft.

Wenn ich, die ich im Moment einen Job suche, beim Bewerbungsgespräch Dinge höre wie: Ach, Sie haben zwei Kinder? Das könnte dann schwierig werden, kann ich mir denken, dass der Chef eben diese erwartete Mutterrolle vor Augen hat. Und es wundert mich auch nicht, dass der Satz, den ich bei der Buchmesse in Leipzig am häufigsten hörte, nicht etwa: Ach Sophie, wie schön, wie geht’s mit deinem Buch/wann kommt dein neues Buch/Artikel/ irgendwas mit Arbeit?, war, sondern: Wo sind denn deine Kinder?, dicht gefolgt von: Wie machst du das nur alles, so mit zwei Kindern und arbeiten/schreiben?

Schöne Paradoxie, denke ich. Arbeit wäre viel zu viel für mich, so mit zwei Kindern, aber wie ich das so mache, mit zwei Kindern und so viel Arbeit! Toll.

Dana Buchzik veröffentlichte am Samstag in der taz einen sehr schönen Artikel über Sexismus im Literaturbetrieb den ich gern las und aus dem Zustimmendnicken gar nicht mehr herauskam. Zu diesem Sexismusproblem gesellt sich meiner Ansicht nach aber auch ein Mütterproblem. War es nicht DER deutsche Kritiker – Marcel Reich-Ranicki – der einst Judith Hermann fragte, ob sie Kinder wolle und ihr offenbarte: „Wenn Autorinnen Kinder haben, bringen sie kaum noch etwas zustande.“ Nun. Die gute alte „Sich-selbst-erfüllender-Prophezeihung“. Ich sage dir du kannst nichts, du glaubst, du kannst nichts, du kannst nichts.

Warum ich nicht Kinderbücher schreiben würde, wurde ich von einem männlichen Kollegen mal gefragt. Ich sei doch jung und hübsch, Krimi, Politik und Gesellschaftskritik doch gar nicht das Richtige für mich. Achso. Für junge Mütter im Literaturbetrieb steht also ausschließlich die Kinderbuchtüre offen, verstehe.

#RegrettingMotherhood, dieses Gefühl kenne ich auch, wenn ich wieder irgendwo abgelehnt werde, weil ich Kinder habe.

Ich schreibe diesen Text, weil ich die Diskussion wichtig finde. Allzu oft schreiben kinderlose Frauen, warum sie keine Kinder wollen (mitunter äußerst militant), es gibt ganze Bücher darüber, in denen Frauen von ihrer Entscheidung berichten, nur, um sich dann als egozentrische karrieregeile Ziege beschimpfen lassen zu müssen. Wie man‘s macht.. Doch auch diese Artikel festigen das Klischee: Hast du Kinder, ist es aus! Auch darum ist diese Diskussion so wichtig, denn hey: Kinder sind Arbeit, Verantwortung, kosten Geld und gehen im Normalfall nicht einfach weg, wenn du grad keine Lust auf sie hast, aber: sie sind auch ganz wunderbar und MEIN Leben wäre leer, ohne meine Töchter.

Und: sie müssen nicht dein ganzes Leben bestimmen. Du musst nicht 24/7 Mutter sein (vorausgesetzt natürlich, dein Kind ist kein Baby mehr..), deine Gedanken müssen nicht ausschließlich um dein Kind kreisen, du darfst es in eine Kita schicken, ohne dass es leidet, es ist ok, wenn Du Dich zwischendurch mit anderen Dingen beschäftigst. Ist meine sehr selten in der öffentlichen Diskussion gespiegelte Meinung. Ich kenne viele andere Ansichten, aus ZEIT, WELT, usw., die vor allem das romantische, aufopferungsvolle Mutterbild festigen.

Endlich trauen sich Frauen sich öffentlich darüber zu äußern, dass das Bild der Mutter, das sie verfolgt, sie langsam zerbricht und helfen so anderen Müttern sich einzugestehen, dass sie Probleme haben (dürfen), über die sie reden sollten. Reden hilft, wie man an dem aktuellen #regrettingMotherhood Hype sieht.

Warum fangen wir nicht an, die Frau als Frau zu sehen und nicht als Mutter oder Nicht-Mutter. Warum kann das nicht meine ganz private, (bitte gründlich durchdachte) Entscheidung sein, ob ich Kinder möchte und wie ich sie erziehen will? Wenn du eine Frau bist, die keine Kinder möchte, dann bin ich die Letzte, die versucht dich zu überzeugen, dass Kinder doch aber total prima sind. Nichts ist schlimmer für ein Kind, als in einer Umgebung aufzuwachsen, in der es eigentlich gar nicht gewollt ist. Also: Ein Hurray für deine Entscheidung, aber lass mir auch meine, und ihr ihre und lassen wir uns doch alle einfach manchmal Fertigkuchen kaufen. Und fangt endlich an, auch mal den Papas die Frage zu stellen: „Hey, wo ist denn dein Kind?“

Sophie Sumburane

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