Geschrieben am 28. März 2012 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Thomas Leuthard im Porträt

„Ich hab doch nur abgedrückt!“

Ein Porträt des Streetfotografen Thomas Leuthard von Christina Bacher.

Meistens trägt er einen Hut und vor dem Bauch eine kleine, handliche Kamera -– Thomas Leuthard bewegt sich wie ganz ein normaler Tourist durch die Straßen dieser Welt. Ab und zu fotografiert er eine Szene, dann geht er unbekümmert weiter. Das, was nach einem herkömmlichen Sightseeing-Trip aussieht, zielt letztlich auf eine Kunstform ab, die auch hierzulande mehr und mehr Anhänger findet: Die Streetfotografie. Dabei geht es darum, möglichst authentische Momente von Menschen und Situationen mit der Kamera einzufangen und sie später in Fotocommunities und Foren zur Diskussion zu stellen. In den meisten Fällen geschieht das, ohne die abgebildeten Menschen um Erlaubnis zu fragen – eine rechtliche Grauzone, und das nicht nur in Deutschland.

Der Schweizer Thomas Leuthard gehört zurzeit zu den angesehensten Vertretern dieser Kunst, weltweit bucht man ihn für Workshops und Foto-Walks. „Natürlich freue ich mich über dieses Feedback. Viele Leute fragen mich, wie man solche Bilder macht. Wenn ich ehrlich bin, kann ich es auch nicht so genau erklären. Es ist eine Mischung aus großem Interesse am Menschen, Talent, fotografischer Fähigkeit, Ausdauer und Glück“, antwortet der 40-Jährige.

Wenn er lächelt, und das tut er oft, strahlt er eine ansteckende Freundlichkeit aus und eine gewisse Gelassenheit, bei allem was er tut. Vielleicht deshalb bekommt er beim Fotografieren fremder Menschen selten Probleme – man vertraut ihm offenbar oder nimmt ihn im Idealfall gar nicht wahr. Tatsächlich ist Leuthard, Sohn einer gut bürgerlichen Schweizer Familie, auf den ersten Blick ein eher unauffälliger Typ: Er ist im Alltag eher sportlich gekleidet, geht früh zu Bett, vermeidet Alkohol und arbeitet wochentags im Öffentlichen Dienst als Projektleiter und Supporter in der Informatikabteilung.

Er lebt in seiner Heimatstadt Zug, zwischen Zürich und Luzern. In seiner eher spartanisch eingerichteten Eigentumswohnung hängen großformatige Fotos an den Wänden, auf einem richtet ein Taxifahrer den Blick auf den Betrachter: überrascht, überrumpelt, nicht unfreundlich. „Das ist eins meiner besten Portraits“, erklärt er bescheiden, denn gleich mit diesem Motiv hat er 200 Dollar bei einem Wettbewerb in Beirut gewonnen. Da er mit der Fotografie kein Geld verdienen wolle, habe er das Preisgeld damals an die gerade in Gründung befindliche Gruppe Beirut Street Photographers gespendet, die bis heute mit ihm freundschaftlich verbunden ist. Seit ihn die Fotographie fasziniert – genaugenommen erst seit gut vier Jahren – hat er keine herkömmliche Reise mehr gemacht, ist die Kamera seine treue Begleiterin.

Besonders interessieren ihn Länder, die noch nicht vom westlichen Medienhype erschlossen sind, wo die Menschen noch unverfälscht auf ihn reagieren. Dabei gehe es nicht um klassische Schönheit oder ein bekanntes Setting, antwortet er unermüdlich auf die Frage nach dem perfekten Bild. Spätestens seit der Veröffentlichung seiner beiden Bücher „Going Candid“ und „Collecting Souls“, die er zum kostenlosen Download auf seiner Webseite anbietet, ist er für viele nicht nur Vorbild, sondern auch zum Lehrer oder gar Mentor geworden.

Die Bildbände zeigen unter anderem Eindrücke seiner Reisen beispielsweise nach Armenien oder Istanbul und geben Auskunft darüber, wie er selbst beim Fotografieren agiert: „Ich weiß schon vorher, wie ich ein Foto festhalten möchte. Die Frage ist dann nur, ob ich es tatsächlich geschafft habe, das Bild aus meinem Kopf auf den Sensor zu bringen. Das ist die ganze Herausforderung, welche mit der Kamera stattfindet.“

Das klingt einfacher als es ist. Leuthards Fotos beweisen, dass doch mehr dazu gehört, als aufwendige Technik und eine gehörige Portion Mut und Unverfrorenheit, auf Fremde(s) zuzugehen. Er bevorzugt als Ausrüstung lediglich eine Lumix GX1, mindestens zwei Speicherkarten und volle Akkus. Er nutzt Gesichtserkennung, Autofokus und den P-Modus – mehr technischer Zauber interessiert den ehemaligen Golfer nicht. Er konzentriert sich lieber auf die Suche nach dem einzigartigen Motiv, das überall lauern kann, wenn man es nur sucht.

Die Streetfotografie ist für Thomas Leuthard mehr als ein Hobby, es ist zur Passion geworden. Wenn ihn aber der kommerzielle Erfolg nicht interessiert – Honorare spendet er häufig einem guten Zweck oder stellt sie als Preisgeld für Wettbewerbe zur Verfügung – , was macht dann nach drei Jahren exzessiven Fotografierens noch den Reiz für ihn aus? „Als Kind habe ich auf die Frage, was ich werden will, gesagt: Berühmt. Heute geht es mir um Anerkennung, würde ich sagen.“ Mit mehr als 43.000 Followern bei Google+, täglich wachsenden Kontakten bei Facebook und einer riesigen Community bei Flickr und Co besteht also erst einmal keine Gefahr, dass der neugierige Schweizer die Streetfotografie an den Nagel hängt.

Der Ehrgeiz, in einem Bild eine ganze Geschichte zu erzählen, wird ihn demnächst wieder nach München, Hamburg, Istanbul und Beirut führen. Montags wird er dann wieder pünktlich in seinem Zuger Büro sein und seinem Brotberuf nachgehen, den er für keinen Shot der Welt aufgeben wollte. Abends wird er zuhause die Ausbeute seiner Reisen sichten und die besten Fotos über das Internet wieder zurück in die Welt entlassen, wo er sie auch gefunden hat.

Christina Bacher

Ein CULTurMAG-Porträt des Fotografen finden Sie hier, infos zur Arbeit von Thomas Leuthard hier.

Alle Fotos: Copyright Thomas Leuthard unter der creative commons license.

Tags : ,