Gollum spricht – eine Vorgeschichte
– Kaminabend im Kloster: Der Gollum-Synchronsprecher Andreas Fröhlich hat im Kloster Frenswegen aus „Der Hobbit“ gelesen und sich mit dem TV-Literaturkritiker Denis Scheck über Tolkiens Fantasy-Romane und deren Verfilmung unterhalten. Christiane Nitsche saß dabei.
Mitunter ist es so, dass die eigentliche, die interessantere, weil spannendere Geschichte die vor der Geschichte ist. Und so könnte der Abend durchaus zur Zufriedenheit enden, bevor er überhaupt begonnen hat; im Kaminzimmer von Kloster Frenswegen, wo Andreas Fröhlich auf seinen Mitstreiter wartet, weil Denis Scheck im Zug sitzt und die Deutsche Bahn ja bekanntlich ein wiederkehrendes, tief sitzendes Schneeproblem hat. Dort also sagt Fröhlich den so wunderbaren wie erstaunlichen Satz: „Ich bin kein Freund von Synchronisation und gucke auch immer im Original.“
Wer es noch nicht weiß: Fröhlich ist seit seiner Kindheit „Hörspieler“, wie er selbst es nennt. Er ist die deutsche Synchronstimme von Gollum, war das bereits bei „Der Herr der Ringe“, wo er auch das Dialogbuch schrieb und die Synchronregie innehatte.
Auch J. R. R. Tolkiens Ring-Epos hat eine Vorgeschichte, wie man weiß: „Der Hobbit“ ist aktuell in aller Munde, der erste Teil seiner zur Trilogie aufgeblasenen Verfilmung mit viel Vorschusslorbeeren ausgestattet in den Kinos gestartet, und Verlage wie Buchhandel nutzen die Gunst der Stunde. So sind Scheck und Fröhlich von der Buchhandlung Viola Taube im niedersächsischen Nordhorn zu einer stilechten Hobbit-Lesung in die historischen Gemäuer des ehemaligen Augustiner-Chorherrenstifts eingeladen worden. Und während im Foyer der ökumenischen Begegnungsstätte Menschen in Hobbit-Outfits neben Fans von Schecks ARD-Magazin „Druckfrisch“ bei Bionade und Eintopf darauf warten, dass es losgeht, lässt sich Fröhlich sehr entspannt zu seinem Metier aus.
„Man hat ja mal behauptet, die Synchronisation sei die Rache der Deutschen an den Alliierten“, lacht er. Eigentlich sei es „ein kleines Verbrechen“, wenn – anders als bei den niederländischen Nachbarn etwa – Filme für Kino und Fernsehen durchgängig synchronisiert würden. Kein Wunder, dass in den Niederlanden oder in skandinavischen Ländern generell ein besseres Englisch gesprochen werde. „Man kann sich soviel abgucken, man wird geschmeidig“, schwärmt Fröhlich. „Es ist eigentlich ein Genuss, einen Film im Original zu sehen.“
Raus aus der Höhle, raus aus dem Gefängnis
Natürlich ist nicht alles schlecht am Synchronsprechen – nachgerade, wenn man davon lebt und rund 40 Jahre Erfahrung damit hat. „Bei Gollum ist der Text sehr nah am Buch“, lobt er, auch wenn in der Schlüsselszene in Gollums Höhle nicht alles originalgetreu geblieben ist. „Es gibt bestimmte Labiale, die getroffen werden müssen. Die Rätsel ließen sich nicht ganz so auf die Lippen bringen.“ Aber es gibt auch inhaltliche Diskrepanzen: Beim letzten, entscheidenden Rätsel, das Bilbo Beutlin dem Gollum stellt, weicht die deutsche Fassung vom Original – und damit auch vom Buch – ab. Bilbo kramt verzweifelt in seinen Hosentaschen, auf der Suche nach einer rettenden Idee. Es geht ums nackte Überleben im Rätselwettstreit gegen das Kindmonster Gollum. Als er den Ring findet, den er zuvor eher im Vorbeigehen eingesteckt hat, sagt er mehr zu sich selbst: „What do I have in my pockets?“ Das Rätsel, das ihn retten wird, entsteht zufällig, weil Gollum ihn hört und sofort darauf reagiert. Er kann nicht wissen, dass sein „Schatzzzz“, der Ring, den Besitzer gewechselt hat. In der deutschen Fassung klingt es so, als richte Bilbo die Frage direkt an ihn. Eine Marginalie? „Ich achte darauf, was ich da mache“, sagt Fröhlich. „und ich habe darauf hingewiesen. Es ärgert mich natürlich, wenn ich das dann nicht durchdrücken kann.“
Denis Scheck, den die Bahn dann doch noch halbwegs rechtzeitig in Nordhorn abliefert, tutet – hier nun weniger überraschend – ins selbe Horn: „Wenn wir schon Filme synchronisieren, müssen wir sie ja nicht so schlecht synchronisieren.“ Will sagen: Fröhlich ist kein Schlechter. „Ich bin ihm bei einer Veranstaltung begegnet“, erklärt er die Kombination Scheck-Fröhlich. „Dass mir ein Schauspieler Gänsehaut verschafft, obwohl ich neben ihm sitze, das hat mich fasziniert.“ Lob aus berufenem Munde: Schließlich hat Scheck seine Karriere 13-jährig als Übersetzer und Herausgeber der Literaturzeitschrift „Newlands“ begonnen und dann an der University of Texas mit Arbeiten zu Kleists Michael Kohlhaas und Doctorows „Ragtime“ einen Master-Abschluss erworben. „Tolkien hat einen festen Platz in meinem Herzen“, erklärt er. „Seine Phantasie ist ja auch eine Sprachphantasie.“ Seine Idee, seine „linguistische Obsession“ sei es gewesen, eine Kunstsprache zu erschaffen. Aus dieser Idee heraus seien der Hobbit und das Ring-Epos entstanden. In der Auseinandersetzung mit einer Fremdsprache – beim Übersetzen wie beim Synchronisieren – merke man, „dass die eigene Welt nicht die einzig wahre ist. Jeder Kontakt mit einer fremden Sprache macht uns darauf aufmerksam, dass die eigene Sprache ein Gefängnis ist.“
Die Geschichte danach
Er liest. Liest ab. Irgendwie ist das traurig, weil er doch so eloquent und elegant mit Worten umzugehen weiß. Denis Scheck eröffnet den Lesungsabend vor vollem Haus mit einem Plädoyer für den Eskapismus in der Literatur – vom Blatt gelesen, schnell und stellenweise etwas atemlos, als wolle er wettmachen, was ihn die Bahn an Zeit gekostet hat. „Ich hasse es, wenn Menschen sagen, dass Fantasy keine Literatur sei“, erklärt er. „Die Verachtung ganzer Genres wie Kriminalroman oder Fantasy gehört hierzulande in der Literatur zum guten Ton.“ Der Name Heidenreich fällt, en passant. Eine kleine Spitze gegen die wiederholte Kontrahentin in Sachen Sinn und Unsinn in der Literatur muss wohl sein. Er wünsche sich eine neue Einteilung von Literatur in „Bücher mit Drachen, Hexen, Zauberer und Magie“ und „Bücher ohne Drachen, Hexen, Zauberer und Magie“. Erstere würden – angefangen bei der Odyssee – das Gros ausmachen, letztere – „Flaubert, etc.“ ein kleines Regal füllen. „Aber mit dieser Position bin ich ziemlich allein.“
Dann stellt er Andreas Fröhlich vor, als „Eskapismus-Experte“. Scheck bleibt in der Rolle des Stichwortgebers. In einem launigen Hin und Her werden Tolkien, Film- und Hörbucharbeiten, Besetzungsfragen und Stationen der Fröhlich’schen Karriere durchgehechelt – vom Kinderchor über den ersten Schrei als Damian in „Das Omen“ und den frühen Karriereknick, als der Vater von der Arbeit bei ersten „Aufklärungshörspielen“ des SFB erfuhr.
Eskapismus hoch zehn
Dass Fröhlich Tolkien als Schüler zu Beginn der 80er-Jahre kennenlernte, überrascht weniger als die Tatsache, dass jeder „seinen eigenen Soundtrack“ dazu gehabt habe. Das Buch sei in der Schule kursiert, er habe es gar nicht selbst besessen. „Ich habe Herr der Ringe mit Walkman auf den Ohren gelesen und dazu The Cure gehört: 17 seconds, Faith, Pornography.“ Die Alben der dunklen Cure-Jahre also. Diagnose: „Eskapismus hoch zehn“.
Fröhlich erzählt: von der Arbeit am Herrn der Ringe – „Alle, die hätten reinreden können, waren nebenan bei Harry Potter. Ich konnte machen, was ich wollte“; dass er zunächst nur für Buch und Synchronregie eingeplant war, bei der Besetzung die Figur des Gollum zunächst vergessen wurde und er so schließlich selbst an die Rolle kam; von seinem Respekt für Andy Serkis, der den Gollum im Original im motion capture-Verfahren nicht nur spricht, sondern auch spielt.
Und er liest. Natürlich. Natürlich die Rätselszene. In der Übersetzung von Wolfgang Krege, wie sie bei Klett-Cotta erschienen ist. Etwas gekürzt, aber das stört niemand, denn alle warten nur auf das charakteristische Zischen, das Quäken und das „Gollum!“, das der Figur seinen Namen gab. Fasziniert beobachtet der Saal, wie sich die Mimik des sonst so ungeheuer freundlich und sympathisch dreinblickenden 47-Jährigen verändert. „Wenn ich lese, vergesse ich, dass Sie da sind“, hat er zuvor erklärt. „Ich lese tatsächlich nur für mich.“
Eine kleine Lüge, aber eine gute, weil sie funktioniert.
Er habe den Film noch gar nicht gesehen, erklärt er noch. Bisher kenne er nur seine Szenen. „Was ich ganz toll finde ist, dass mich der Film im Augenblick überhaupt nicht interessiert. Mich interessiert das Buch viel mehr.“
Christiane Nitsche