Geschrieben am 23. Mai 2012 von für Litmag, Porträts / Interviews

Video-Interview: Frank Goosen im Gespräch

Zusammenprall am Wochenende

– Bereits seit einigen Wochen sind CULTurMAG und das Videoportal „Interview Lounge“ Partner. Nun freuen wir uns, Ihnen in den nächsten Wochen ganz exklusiv Gespräche zu zeigen, die Kerstin Carlstedt mit interessanten Autorinnen und Autoren geführt hat. Diesmal: Frank Goosen.

Zum Dreh: Frank Goosen haben wir bei einer Veranstaltung literaturliebender Studenten auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse „aufgelauert“. In „Sommerfest“ spielt Goosen mit dem Gedanken, dass ein Leben fernab des Ruhrgebiets vielleicht möglich gewesen wäre – und wie es sein könnte, nach zehn Jahren zurück in den „Pott“ zu kommen

Gerade ist Ihr fünfter Roman „Sommerfest“ erschienen. Können Sie uns kurz erzählen, worum es geht?

Es geht um einen nicht mehr ganz jungen Mann namens Stefan Zöllner, der in Bochum geboren und aufgewachsen ist, dann Schauspieler wurde und nach München gegangen ist, unter anderem wegen einer nie ganz geklärten Liebesgeschichte mit seiner Sandkastenfreundin Charlotte, die er von Kindesbeinen an kennt. Jetzt ist er zurückgekommen, um nach zehn Jahren sein Elternhaus zu verkaufen. Eigentlich will er auch möglichst schnell wieder weg, aber das funktioniert natürlich nicht. Er trifft sehr viele Leute von früher, lernt neue Leute kennen, wird mit seiner ganzen Lebensgeschichte konfrontiert und muss Entscheidungen treffen. Mir schwebt eigentlich noch ein größeres Ding über eine Familie im Ruhrgebiet vor, die ich über die Jahrzehnte begleite. Da habe ich mir schon einige Figuren herausgenommen und lasse die an einem Wochenende aufeinanderprallen. Mich hat also auch der formale Aspekt interessiert, ein Buch zu schreiben, das an nur zwei Tagen spielt und wo Zeit und Raum sehr eng gefasst sind.

Könnten Sie sich ein Leben außerhalb des Ruhrgebiets überhaupt vorstellen?

Ich hätte vielleicht irgendwann den Absprung versuchen sollen, im Studium oder so, aber jetzt könnte ich mir das nicht mehr vorstellen. Tatsächlich habe ich im Studium einmal überlegt, nach Berlin zu gehen, wie viele andere auch. Ich komme prinzipiell mit dem Norden Deutschlands ein bisschen besser klar, auch wenn ich mit einer Fränkin verheiratet bin, aber Hamburg oder Berlin, die wären innerhalb von Deutschland noch denkbar gewesen. Jetzt bringt es nichts mehr, ich bin alt, habe Kinder und möchte, dass die im Ruhrgebiet aufwachsen.

Foto: philippwente.com

Sie sind vor allem als „humoristischer“ Autor bekannt, dabei haben Sie auch ernsthaftere Seiten …

Mein sicherlich ernstestes Buch ist „Pink Moon“, ein Buch, das eigentlich völlig ohne den normalen Goosen-Humor auskommt. Es hat schon auch komische Stellen, aber sehr viel weniger, deshalb hat es sich auch weniger verkauft. Es ist vielleicht das Buch, wo ich am konsequentesten Komik mit einer gewissen Melancholie kombiniere. Es gibt sehr deftige Stellen in dem Buch, aber auch ein paar nachdenkliche. Der Protagonist ist so alt wie ich, das heißt, er macht sich über Dinge Gedanken, über die ich vor zehn, fünfzehn Jahren auch noch nicht so viel nachgedacht habe. Speziell die Auseinandersetzung mit dem Tod der Eltern ist bei ihm von sehr großem Zorn getragen, und ich denke, ich habe da konsequenter als bisher diese beiden Welten verbunden.

Das hört sich so an, als empfänden Sie das Älterwerden als „ernsthafte“ Herausforderung?

Ich wollte immer Mitte vierzig werden. Ich wollte nicht vorher abtreten. Was heißt hier Herausforderung? Speziell, wenn man Familie, also Kinder hat, steht man natürlich vor einer ganz anderen Art von Verantwortung als früher. Das wird einem erst im Nachhinein klar. Deshalb ist es ja auch schwer, mit Leuten über Kinder zu reden, die keine haben. Diese Kluft wird nie zu überbrücken sein – auch wie sich das Leben dadurch verändert und im Prinzip ein ganz neues wird. Die Entscheidungen, die man fällt, die betreffen nicht mehr nur einen selbst, und es kommt so langsam die Erkenntnis, dass man nicht mehr unbegrenzt Zeit hat. Auch wenn ich jetzt nicht dramatisieren und sagen will, mit Mitte vierzig überlege ich mir schon, dass ich in drei Wochen in der Kiste liege. Man wird in anderer Hinsicht aber auch wieder gelassener und denkt sich: „Ach, das hab ich schon erlebt, das ist alles nicht so schlimm.“ Das ist ein Zustand, den ich mir sehr viel häufiger bei mir wünschen würde. Ich rege mich noch immer zu viel auf.

Ärgert es Sie, dass Sie von der Öffentlichkeit vor allem als Humorist wahrgenommen werden und ein ernsteres Buch wie „Pink Moon“ nicht so „funktioniert“?

Ich würde da einen Unterschied machen zwischen Journalisten und Lesern. Leser finde ich völlig ok. Die haben ein Recht darauf zu sagen: „Das ist mein Geschmack. Das will ich von Goosen geliefert kriegen.“ Dann gibt es welche, die sich auch gerne mal überraschen lassen von einem Autor, aber die meisten wollen schon wissen, was der jeweilige liefert. Neuerscheinungen sind sehr unübersichtlich und da orientiert man sich an dem, was man kennt. Nicht so viel Verständnis habe ich für Journalisten, also professionelle Kritiker, die merken, „Oh, das neue Buch ist anders“, dem Buch dann aber keine Chance geben. Ich erwarte von Profis, dass sie nicht sagen: „Das ist nicht so witzig, also finde ich es nicht gut, das liefert nicht 100 Prozent Goosen, deshalb verreiße ich das jetzt einmal.“ Da erwarte ich schon, dass nach 50 Seiten vielleicht innegehalten und gesagt wird: „Ich geb dem Buch noch einmal eine Chance und lese es mit anderen Augen.“

Sie arbeiten auch als Kabarettist und touren durch Deutschland. Was ist Ihnen wichtiger: die Bühne oder der Schreibtisch?

Das eine bedingt das andere. Wenn ich nichts schreibe, kann ich nicht mehr auf der Bühne stehen. Ich muss allerdings sagen, wenn ich mich unter Todesdrohungen entscheiden müsste, dann würde ich mich eher fürs Schreiben entscheiden, weil die Bühne auch immer eine bestimmte Art von Verhalten erfordert, das viel Kraft kosten kann. Beim Schreiben genieße ich mittlerweile am meisten, dass ich da selbst die Klappe halte. Ich rede ja sehr viel bei Gelegenheiten wie einer Buchmesse, einer langen Lesereise oder einer Kabaretttournee, da kann ich mich manchmal einfach nicht mehr labern hören. Und wenn man zum zwanzigsten Mal dasselbe erzählt, denkt man: „Du erzählst auch nur Blödsinn.“

Kerstin Carlstedt

Frank Goosen: Sommerfest. Kiepenheur & Witsch 2012. 320 Seiten. 19,99 Euro. Zur Homepage des Autors. Zur Interview Lounge.

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