Geschrieben am 12. September 2012 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Kommentar: Wolfram Schütte über ein verändertes Wählerverhalten in Demokratien

Die ersten werden die zweiten (Sieger) sein

Spekulation über ein immer häufigeres Wählerverhalten in Demokratien. Von Wolfram Schütte

Jetzt musste sogar Michelle Obama in den Ring steigen, um beim Nominierungsparteitag der US-Demokraten den versammelten Sympathisanten zu versichern, dass ihr Ehemann ein warmherziger Mensch sei & deshalb noch einmal um 4 Jahre bittet, in denen er Präsident der USA sein möchte, um sein Reformwerk zu vollenden.

Barack Obamas Ehefrau hat damit den Auftritt von Mitt Romneys Ehegattin beim Nominierungsparteitag der Republikaner imitiert. Offenbar wirken die beiden Männer, die sich um die Spitze der mächtigsten Macht der Erde bewerben, nicht besonders „menschlich”, sodass es dieser ehelichen Intimitäten, nämlich öffentlicher Liebeserklärungen bedarf, um sie in den Augen der wenigen US-Bürger, die überhaupt noch zur Wahl gehen, als wählbar erscheinen zu lassen.

Dabei fällt einem auf, wenn man genau hinhört, dass Obama, der wohl alle  Vorschusslorbeeren während seiner noch andauernden Amtszeit verbraucht hat, ohne dass jetzt noch von ihm ein sympathischer Mensch übrig geblieben wäre, gar nicht primär für sich selbst gewählt werden will, sondern „nur“, um Romney zu verhindern, dem ein eisiger Ruf als rücksichtsloser Großkapitalist, der nur auf seinen materiellen Vorteil achtet, vorauseilt.

Immer häufiger in den letzten Jahren konnte man den Eindruck gewinnen, dass in den bestehenden Demokratien – im Großen wie im kleinen – die Bürger weniger aus vollem Herzen für einen Kandidaten stimmten, weil sie ihn wünschten, sondern sie wählten einen Bewerber gegen den damit Verhinderten. Wenn man so illusionslos sein will, sie wählten lieber „das kleinere Übel“, das bekannt ist, als die Hoffnung auf einen wirklichen politischen Wechsel.

So kann man sich auch in Frankfurt am Main, nach der jahrzehntelangen Amtsinhaberschaft der CDU-Oberbürgermeisterin Petra Roth, die überraschende Wahl des SPD-Greenhorns Peter Feldmann am besten erklären. Er hat den von Roth favorisierten, derzeitigen Hessischen Innenminister Boris Rhein zum Erstaunen aller & wohl auch zu seiner eigenen Bestürzung in der Stichwahl klar geschlagen.

Während es Roth im Laufe der Zeit, in der sie immer wieder gewählt wurde (weil es keine politisch-persönliche Alternative zu ihr gab), schaffte, als scheinbar überparteiliche Person angesehen zu werden, deren Parteizugehörigkeit als irrelevant erschien (ohne es de facto zu sein), war Boris Rhein als ein politisch klar definiertes Schwergewicht des rechten hessischen CDU-Flügels bekannt, wenn nicht gar berüchtigt. Nach der liberal-konservativen Roth-Ära hatte er als ihr Nachfolger keine Chance als ihr Nachfolger (& man fragt sich, ob das nicht auch Petra Roth wusste).

Dafür aber das “unbeschriebene Blatt”, der linke Peter Feldmann. Um Rhein zu verhindern, haben Feldmann auch & gerade jene gewählt, die der (Frankfurter) SPD nicht gerade mit Sympathie nahe stehen oder den SPD-Kandidaten gar nicht mochten.

Offenbar setzt Obama (oder besser: seine Spindoctors) nun auf ein solches Wählerverhalten. Zumindest hat noch keiner so offen ausgesprochen, dass man ihn einzig & allein deshalb bevorzugen solle, um dem anderen dadurch den Weg zu verstellen. Selbst Bill Clinton hat in seiner Rede für Obama – die als Clintons größte rhetorische Leistung gelobt wurde – mit diesem „Negativen Votum”, wie ich dieses Wählerverhalten nennen möchte, argumentativ operiert.

Mir scheint, dass viele Politiker es noch gar nicht begriffen haben – vor allem jene nicht, die sich immer am Wahlabend als Sieger aus eigener Kraft fühlen. In den meisten Fällen sind sie nämlich heute nicht ihretwillen, sondern ihres abgeschlagenen Konkurrenten willen gewählt worden. Sie sind in (unausgesprochener) Wirklichkeit sozusagen nur „Zweite-” oder Contre-Sieger & verdanken ihren Sieg zu einem beträchtlichen Teil ihrem unterlegenen Gegner.

Wolfram Schütte

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