Geschrieben am 10. März 2014 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Wolfram Schütte über Lewitscharoffs Dresdner Rede

culturmag_logo_quadratDie Selbstverführte

– Eine Bemerkung zu Lewitscharoffs Rede nebst einer Erinnerung an Claus Koch. Von Wolfram Schütte

Peinlich, peinlich: da ist man gerade dabei, den mit einer Startauflage von 100.000 Exemplaren verbreiteten “Unsinn” zurückzuweisen, den der Quälgeist Sarrazin in seinem jüngsten geplanten Bestseller über den angeblichen “Tugendterror” der deutschen Political Correctness behauptet, den er mit seinen beiden Bestsellern habe erleiden müssen, da erhebt sich ein Entrüstungsturm im Feuilleton wegen “einer irritierenden Rede über künstliche Befruchtung” (SZ), die Sibylle Lewitscharoff in Dresden eben gehalten hatte.

Die für ihre kapuzinerpredigerhafte Rhetorik bisher geschätzte letztjährige Büchner-Preisträgerin sah sich auf einmal allseits geschmäht, weil sie nicht nur “Abscheu” & “Ekel” über das “Fortpflanzungsgemurkse“, (die Praxis der künstlichen Befruchtung) generell geäußert, sondern sich auch noch dazu bekannt hatte, dass sie “geneigt sei, Kinder, die auf solchen abartigen Wegen entstanden sind, als Halbwesen anzusehen” – obwohl, wie sie sogleich hinzusetzte, weder diese Kinder etwas dafür könnten, noch ihre Vernunft in der Lage sei, ihrer “Abscheu in solchen Fällen” nachhaltig zu widersprechen.

Solche sofortige Relativierungen ihrer erkennbar subjektiv-religiös unterfütterten Empörung halfen ihr so wenig wie ihre als “existenziell”-ernsthaft angekündigte Rede, die sich – ausgehend von privatesten Lebenserfahrungen – mit Tod & Leben beschäftigte. Das Wort “Halbwesen” für ex vitro Gezeugte & ein von ihr angetippter Vergleich mit den nazistischen “Lebensborn”-Aktivitäten, die ihr angeblich im Vergleich mit den heutigen Möglichkeiten künstlicher Befruchtung “fast wie harmlose Übungsspiele vorkämen”, reichten aus, um sie selbst als “menschenverachtend” & gewissermaßen halbnazistisch in Verruf zu bringen, obwohl sie glaubte, durch ein zweifaches “Ich übertreibe”, sich gegen derlei üble Nachrede gefeit zu haben.

Es haben sich auch schon hohe katholische Bischöfe – um ihrer zitternden Empörung über die gesetzlich erlaubte Abtreibung die größtmögliche Abscheu zu injizieren – metaphorisch mit Nazivergleichen vergriffen. Frau Lewitscharoff ist ihnen nun auf diesem Weg gefolgt & offenbarte durch ihre Wortwahl, für die man jedenfalls als Schriftsteller etwas kann, was für bösartige Helfershelfer religiöser Fanatismus zu mobilisieren fähig ist. Zumindest möchte sie aber jetzt das Wort “Halbwesen” zurücknehmen.

Nun kann man aber seine ethischen Probleme mit den biologischen Möglichkeiten der künstlichen Befruchtung wie mit der “Sterbehilfe”auch ohne religiösen Hintergrund haben, der bei Sibylle Lewitscharoff, dankenswerterweise in aller Offenheit von ihr geäußert, bestimmend jedoch im Vordergrund steht. Eben erst hat z.B. eine Gynäkologin in Spiegelonline ihr “Unbehagen” bekannt, nachdem sie in zigtausend Fällen die künstliche Befruchtung in Gang gesetzt hat.

Die ethische Frage, die uns im Laufe des Fortschritts immer wieder gestellt ist, lautet: Muss, was theoretisch möglich ist, auch praktisch gemacht werden?

Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff ist sich durchaus bewusst – wie sie eingangs ihrer Rede andeutet -, dass man von ihr als Rednerin eine bestimmte literarische Form erwartet, deren virtuose Handhabung gewissermaßen zu ihrem weithin sichtbaren “Alleinstellungsmerkmal” im literarischen Konkurrenzkampf geworden ist. Ihr rhetorisch-semantischer Furor, für den sie als Rednerin berühmt wurde, rührt aus ihrem rabiaten Ästhetizismus her. Möglicherweise hat nun aber dieser Erfolg als öffentliche Rednerin sie übermütig werden lassen & ohne Rücksicht oder Zweifel auftrumpfend nur von sich, ihren innersten (religiösen) Sentiments & Ressentiments ex Cathedra schwadronieren lassen.

Diese demonstrativ vorgeführte Religiosität der Autorin engt die von ihr angesprochenen Fragen ein – als sei ihre Widerrede nur aufgrund ihrer Glaubensgewissheiten möglich. So kann sich die Öffentlichkeit, bzw. wer & was in ihrem Namen sich äußert, wieder um eine intellektuell-ethische Debatte über Tod & Leben unter heutigen Machbarkeits- & Eingriffsmöglichkeiten drücken.

Dabei hatte der 2010 verstorbene politische Essayist Claus Koch auf seinem Blog “Der neue Phosphoros” seit 2003 jahrelang,in zahlreichen Essays & Betrachtungen sich mit den ethischen, sittlichen, politischen & kulturellen Folgen, bzw. möglichen Kollateralschäden der biopolitischen Entwicklungen in unserer Gesellschaft eingehend & umfassend beschäftigt. Offenbar aber ohne von der intellektuellen deutschen Öffentlichkeit wahrgenommen worden zu sein. Denn sonst wäre sie nicht jetzt von Sibylle Lewitscharoffs fundamentalistischem Rundumschlag als ranzige Kapuzinerpredigt wider die biopolitischen Möglichkeiten der Gegenwart in Empörung & Hysterie versetzt worden.

Wer aber legt endlich die großartigen Arbeiten Claus Kochs, wenigstens postum, als Buch vor – nachdem sie mit seinem Tod spurlos aus dem Internet verschwunden sind?

Wolfram Schütte