Geschrieben am 5. März 2014 von für Film/Fernsehen, Kolumnen und Themen, Litmag

Wolfram Schütte zum Tod von Alain Resnais

Alain-ResnaisReines Glück des Montage-Kinos

– Ein Nachruf auf den großen französischen Filmregisseur Alain Resnais von Wolfram Schütte.

Alain Resnais war der älteste unter den Regisseuren der Nouvelle Vague, aber neben dem Welschschweizer Jean-Luc Godard auch der kreativste, ästhetisch wagemutigste unter den französischen Filmregisseuren in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er ist „jung“, sprich: experimentell geblieben bis in sein 91. Lebensjahr, in dem sein jüngster bzw. nun letzter Film entstand, der auf der diesjährigen Berlinale lief & dort mit dem Alfred-Bauer-Preis ausgezeichnet wurde („Aimer, boire et chanter“).

Am besten versteht man das Kino des Alain Resnais, der in den letzten Jahrzehnten nur noch mit einem festen Ensemble von ihm vertrauten Schauspielern arbeitete, wenn man sich erinnert, dass er als Cutter zum (Dokumentar-)Film kam – also manuell verantwortlich war für seine „schöne Sorge“, die Montage der Einstellungen, Bilder & Töne.

"Aimer, boire et chanter", Alain Resnais (© A. Borrel)

„Aimer, boire et chanter“, Alain Resnais (© A. Borrel)

Unvergesslich & tiefsinnig ist sein Satz: „Im Kino kann ich die Augen schließen, aber nicht die Ohren.“ Damit war nicht nur ein Hinweis auf die Bedeutung gemeint, die dem Ton im Film zufällt; mehr noch wies Resnais auf die Möglichkeit hin, mit dem Ton auf ganz eigene Weise montierend umzugehen: sei es als Geräusch, Sprache oder als Musik.

Alle seine Filme sind von diesem souveränen Umgang mit dem audiovisuellen Material wie keine anderen seiner Zeitgenossen bestimmt worden. Resnais hat gewissermaßen im Tonfilm fortgesetzt, was Eisenstein im Stummfilm beschäftigt hatte: spielerische Metaphysik der Montagen. Sein reiches Œuvre kennt vor allem in seinem späten Alter die ironische Heiterkeit & lächelnde Weisheit, nicht selten auch den Humor, der aus dem fabelhaften Gebrauch einer ästhetischen Intelligenz erwachsen kann. Immer ist Resnais’ Kino phantastisch & sein Realismus scheinhart. Die konstruktivistische Kühle seiner Filme lässt Sentimentalität nicht zu, Gefühligkeit war ihm zuwider. Er gehörte zu einer französischen Tradition der transparenten Klarheit & des Witzes, die in Diderot ihren Ahnherrn hat.

Hiroshima, mon amourDabei war es der suggestiv-beschwörende Ernst der lyrischen Prosa Jean Cayrols, die als Wort- & Gedankenmusik seine Bilder-Montage von „Nacht und Nebel“ (1955) akkompagnierte – einem der ersten Dokumentarfilme, die sich dem Thema des später sogenannten „Holocausts“ ästhetisch stellte & widmete – filmisch eine Entsprechung zu Paul Celans Gedicht „Todesfuge“.

Der politisch immer wache Alain Resnais wurde weltweit berühmt, aber erst recht durch seine Spielfilme „Hiroshima, mon amour“ (1959) – nach einem Drehbuch von Marguerite Duras – & „Letztes Jahr in Marienbad“ (1961), nach einem Skript von Alain Robbe-Grilett: Beides sind ausgreifende filmische Meditationen über Gedächtnis & Erinnerung, Vorstellungskraft & Traumata.

Wie er mit „Hiroshima, mon amour“ sowohl an den kriegerischen Massenmord von Hiroshima/Nagasaki als auch an die verbotene Liebe einer Französin zu einem deutschen Besatzungssoldaten erinnerte, so thematisierten „Muriel“ (1963) & „Der Krieg ist vorbei“ (1966) den in Frankreich tabuisierten Algerienkrieg & den antifrankistischen Widerstandskampf (nach einem Stoff von Jorge Semprún).

Das Leben ist ein ChansonZwar konnte Alain Resnais einigermaßen kontinuierlich sein Œuvre in den Siebziger- & Achtzigerjahren fortsetzen, wenn es auch weniger Aufsehen erregte. Erst in den Neunzigerjahren rückte sein umfangreiches Spätwerk wieder in den Vordergrund der Wahrnehmung & in die Aufmerksamkeit einer Filmkritik, die sich vornehmlich dem routinierten Erzähl- & Starkino verschrieben hatte. Der über siebzigjährige Resnais aber experimentierte mit dem Film, der Narration, den Zuschauererwartungen wie ein ewig junger Rebell des Kinos, der z. B. in „Smoking/No Smoking“ (1993) einen zweiteiligen Fünfstundenfilm mit seiner Frau Sabine Azéma & seinem Freund Pier Arditi drehte, der eine variantenreiche Boulevardkomödie über den Zufall im Leben ist, wie eine Folge mathematischer Gleichungen austariert wird & als amüsanter Reigen mit heiterer Spielfreude, Esprit & unwiderstehlichem Charme vor unseren entzückten Sinnen vorüberzieht.

Nicht weniger amüsant & hintergründig war dann 1997 „Das Leben ist ein Chanson“, in dem Resnais seine Schauspieler immer wieder mit bekannten Schlagerzeilen ins Surreale aufbrechen lässt & doch zugleich so etwas wie eine Anthologie der französischen Populärkulturgeschichte spielerisch vor Ohren führt. Und was waren „Herzen“ & „Vorsicht Sehnsucht“ für herrlich verrückte, erotische Zeugnisse eines einzigartig vitalen & sensiblen „Greisenavantgardismus“ (um es mit einem Neologismus von Thomas über seinen Bruder Heinrich Mann zu sagen)!

Wo immer Alain Resnais mit dem Kino & seiner Liebe zu ihm spielerisch umging, waren Intelligenz, Witz & Humanität nahe – & der schlichte (eindimensionale) Abbildrealismus fern.

Wolfram Schütte

Porträfoto: © Abaca/Quelle.

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