Auftritt einer neuen Frauen-Generation
– Eine Glosse von Wolfram Schütte.
Der Spekulation, dass ein (möglicherweise sogar CDU-)Feind dem kurzzeitigen Bundespräsidenten Christian Wulff durch die Verbreitung eines Gerüchts über die angebliche Rotlichtmilieu-Vergangenheit seiner zweiten, vierzehn Jahre jüngeren Frau, die ein Tatoo auf der Schulter mit in die Ehe gebracht hat, politisch schaden wollte, fehlt noch ein weiteres offenkundiges Motiv, das mit der Art des Gerüchts indirekt annonciert wird.
Ich meine: Sexualneid auf den älteren Mann mit der wesentlich jüngeren Geliebten.
Es wird sicher auch befeuert worden sein durch die blendende Schönheit der groß gewachsenen jungen Frau; und dass sie eine Blondine ist, war wohl ebenso förderlich für den Wahrheits-Anschein des sexuell codierten Gerüchts – wie ihr Tatoo, das vulgären, zumindest „unseriösen“ Kreisen zugerechnet wird.
Es erscheint verständlich, dass sich Bettina Wulff, nachdem ihr Mann aus anderen Gründen von seiner politischen Aufgabe zurückgetreten ist, aber eine beachtliche Frühpension angetreten hat, nun entschieden gegen die Weiterverbreitung des rufmörderischen Gerüchts ebenso juristisch, sprich: presserechtlich wie auch öffentlich vorgeht.
Da sie selbst im PR-Geschäft tätig war, ist es nicht verwunderlich, dass man schon & wie ich denke: nicht zu Unrecht, den Eindruck gewonnen hat, Bettina Wulff „promote“ augenblicklich höchst erfolgreich ihr mit einer Ghostwriterin verfasstes autobiographisches Buch, das in diesen Tagen bei einem auf derlei literarische Promi-Ware spezialisierten Verlag unter dem Titel „Jenseits des Protokolls“ erscheint.
Um ihre verlorene Ehre mit den „konventionellen“ juristischen Mitteln wiederherzustellen, hätte es jedoch dieses schmalen Buchs nicht bedurft. Im prekären Streitfall mit Google & seinem Algorithmus ist es auch nicht hilfreich. Die gelernte PR-Beraterin hat sich aber ihre Prominenz zu nutze gemacht, um Mitleid heischend von „Jenseits des Protokolls“ zu erzählen, damit ihre Rolle als Opfer eines Rufmordes in allen persönlichen Aspekten kenntlich wird.
Die PR für das Buch erlaubt ihr auch bei ihren willfährigen Helfern, die sie durch Interviews & (aus den Buch-Schilderungen) generierten Porträts in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit rücken, mit weiteren Details (wie z. B. der „Eheberatung“ des Paares) aufzuwarten.
Eben diese PR-Aktivitäten der Frau des Ex-Bundespräsidenten offenbaren, dass Bettina Wulf, die ja auch die jüngste Bundespräsidentengattin in diesem höchsten Staatsamt ihres Mannes gewesen ist, nicht nur individuell, sondern typologisch einem anderen, bzw. neuen Frauen-Image entspricht, das von vielen ihrer deutschen Altersgenossinnen heute so gelebt wird: kein Heimchen am Herd oder still-bescheidene Lebensbegleiterin, sondern ein weibliches Selbstbewusstsein, das sich lange bedeckt hielt & wortreich beklagt, sich nicht selbst verwirklichen gekonnt zu haben, nun aber mit dem auftrumpfenden Gestus „Jetzt rede ich!“ auftritt & dabei weder Ross noch Reiter schont.
Schon gar nicht schont sie ihren peinlich gescheiterten Mann, der im Bild, das sie von ihm nun zeichnet, wie ein orientierungsloses Anhängsel seiner resoluten Frau wirkt, die zumindest ab jetzt die Regie ihrer beider Leben übernommen hat – nachdem sie lange genug aus „Staatsräson“ an der Seite ihres Ehegatten die Verleumdungen über sich wort- & widerspruchslos hatte ertragen müssen.
Fast wirkt ihre jetzige Offensive auch wie eine unausgesprochene „Rache“ an ihrem Mann, dessen Amt ihr eine öffentliche Verteidigung ihrer Ehre lange unmöglich gemacht & ihre „Leidenszeit“ prolongiert hatte.
Als männlicher Angehöriger einer anders sozialisierten Generation, die zwischen Öffentlichem & Privatem strikt unterschieden wissen möchte, erscheint einem jedoch die Rückhaltlosigkeit, mit der Bettina Wulff ihr Privatleben jetzt öffentlich macht & verficht, problematisch & gelegentlich sogar derart degoutant wie jene offenherzigen Intimitäten in den nachmittäglichen Dokusoaps der kommerziellen TV-Sender.
Möglicherweise berühren sich aber beide Phänomene der persönlichen Selbst- & Zurschaustellung in den öffentlichen Medien auf der gemeinsamen Basis, sich selbst – koste es, was es wolle – für den Nabel der Welt zu halten und (noch prekärer) den Opferstatus, den man lange erlitten hatte, nun zu genießen, indem man ihn öffentlich, will sagen vor aller Augen abstreift & der bösen Welt ein stolzes Beispiel von privatem Mut gibt.
Das alles ist gut „getimt“. Aber eine hochmoralische Empörung, die als mediale Inszenierung eines nun auftrumpfenden Opfers erkennbar ist, arbeitet insgeheim gegen die von ihr intendierte & scheinbar naiv produzierte Empathie beim davon betroffenen Publikum. Leicht könnte es sich von dem medialen Raffinement düpiert fühlen.
Ein ethisches Paradox hinterlässt auch dieser jüngste Teil der Causa Wulff.
Wolfram Schütte
Foto: Franz Richter (User:FRZ)