Geschrieben am 14. August 2013 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Wolfram Schüttes Petits riens

SnowdenPetits riens (V)

– Wolfram Schütte über die Weigerung Deutschlands, den bedrohten Whistleblower Edward Snowden zu schützen; die von Nico Hofmann produzierte Filmbiografie des Heinrich George und die opportunistischen schauspielernden Mitläufer des Naziregimes; den einstigen Chef des Bundeskriminalamtes – Rasterfahnder Horst Herold – und über das Versagen der Verfassungsschutzämter, das endlich ganz und gar aufgeklärt und vollständig untersucht werden sollte.

Weil nicht sein kann, was nicht sein darf – Der sogenannte Whistleblower Edward Snowden hat nicht nur der Weltgemeinschaft die geheimen Über- & Angriffe der angloamerikanischen Geheimdienste auf die Netzteilnehmer der ihnen „befreundeten“ Staaten öffentlich gemacht; er hat auch durch seine empirische Person die USA dazu gebracht, sich (wie Brecht das einmal nannte) „bis zur Kenntlichkeit zu entstellen“ – & die politischen Ideologien durcheinander gebracht.

Wenn man einmal für einen Moment sich vorstellt, dass das Russland Putins das mit den Kontinentaleuropäern gemacht hätte, was die NSA mit ihnen veranstaltet hat, wäre das Mindeste, was man von unseren Politikern & deren usamerikanischen „Freunden“ hören würde: dass es sich um einen totalitären unfreundlichen Akt handele. Und wenn Russland die Auslieferung eines russischen Whistleblowers, der solche Geheimdienstaktivitäten öffentlich gemacht & deshalb in irgendeinem westlichen Land um politisches Asyl nachgesucht hätte, gefordert hätte, wäre das russische Begehren ebenso rigoros abgelehnt wie die „mutige Tat“ des „Aufdeckers“ gefeiert & ihm umgehend politisches Asyl gewährt worden. Die Presse hätte „wie eine 1“ hinter ihm gestanden.

Nun hat aber der reale Snowden den totalitären Umfang der geheimen Ausspähungen der hegemonialen Führungsmacht des Westens bei ihren verbündeten politischen „Freunden“ denunziert. Ihm von den Ausgespähten politisches Asyl für seine mutige Tat zu gewähren, hieße zu unterstellen, die USA seien kein Rechtstaat: derart „begründete“ die deutsche Regierung vorauseilend ihre Weigerung, dem Flüchtigen Asyl zu gewähren. Obwohl Edward Snowden in den USA nicht nur lebenslange Haft oder sogar die Todesstrafe droht (wohl gemerkt: für eine Handlungsweise, die im europäischen –, wenn nicht gar im Welt-Interesse liegt), weigert sich der „Rechtstaat“ Deutschland, den Bedrohten zu schützen. Obwohl die USA eben durch die von Snowden offengelegten Geheimoperationen ihr unschuldiges Gesicht als Rechtsstaat verloren haben.

Es sei denn, die politischen Klassen der ausgespähten politischen „Freunde“ hätten insgeheim von NSA etc. längst gewusst & müssten sich nun leider künstlich empören, um eine moralische Unschuld gegenüber ihren Landespressen zu imitieren, die sie praktisch so wenig noch besaßen & besitzen wie die USA.

Snowdens Geheimnisverrat hätte also nicht allein die geheimen Tätigkeiten der NSA offengelegt, sondern auch jene politischen Herrschaftskader in Erklärungsnot gebracht, die als „Betroffene“ nun die Empörten spielen müssen. Allerdings können sie sich nicht zu sehr aufs hohe Ross gespielter Moral schwingen, weil sie die USA jederzeit blamieren können – und es mit der Arroganz der Weltmacht auch schon getan haben.

Weiterhin: Edward Snowden hat auch auf einen Schlag die lächerlich naive deutsche Schwärmerei für den „Humanisten“ Obama auf Lincolns Thron beendet.

Die europäischen Regierungen, die auf Befehl der USA deren Wunsch erfüllt haben, dem Präsidenten Ecuadors ihren Luftraum zu sperren, haben vor aller Augen bereits gezeigt, dass sie (wie einst der Ostblock nach Moskaus Pfeife) nun nach Washingtons „whistle“ tanzen.

Einzig einige (politisch linke) Staaten Lateinamerikas sind noch in der unabhängigen Lage, dem Whistleblower aus Washington DC Asyl anzubieten. Selbst das semitotalitäre Russland Putins scheint gezwungen zu sein, Snowden nur dann nicht seinem Schicksal in den Fängen der USA zu überlassen, wenn der Asyl Suchende sich verpflichtet, seine aufklärerische Konterbande unter Verschluss zu halten. Immerhin kann, nein: muss man in Snowdens Interesse sagen, dass es zum Glück noch Putins Russland gibt, was sonst man auch von beiden halten mag oder muss.

Das „Ende des Kalten Krieges“ ist ja zu begrüßen; gut ist´s aber, dass es denn noch immer politische Gegensätze aus der Zeit der „bipolaren Weltordnung“ gibt“. Denn Fukuyamas „Ende der Geschichte“ wäre – wie sich am Fall Snowden zeigt – die Weltharmonisierung als Terrorregime, das keinen Blick von außen auf sich dulden würde – eine Welt, wie sie Francois Truffaut in seiner Adaption von Raymond Bradburys „Fahrenheit 451“ imaginiert hat.

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Unheimlichkeit der MitläuferWie schon in Istvan Szabos „Mephisto“ (über Gustaf Gründgens´ Karriere im „3.Reich“), Klaus Röhlers „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ über den Jud-Süß-Darsteller Ferdinand Marian war nun auch der „Volksdarsteller“ Heinrich George in dem von Nico Hofmann produzierten „George“ halb Mitläufer, halb Opfer in der Nazizeit.

Keiner dieser prominenten Darsteller erscheint in ihren Biopix als Nazi, wobei der leibesfüllige Volksdarsteller Heinrich George noch am ehesten dem öffentlichen Bild des bis in den Untergang „Führer“-hörigen „Volksgenossen“ (wie in Veit Harlans „Kolberg“ vorgeführt) entsprach. Das lag womöglich auch daran, dass er im Vergleich zu den beiden anderen Darstellern das intellektuell „schlichteste Gemüt“ war.

„Er will ja nur spielen“, wird ihm entschuldigend mehrfach nachgesagt & Goethes „Götz von Berlichingen“ als seine Lieblings- & Lebensrolle behauptet. Götzens kraftmeiernd-freche Empfehlung an den Kaiser – der möge ihn „am Arsch lecken“ – hat ihn mit diesen Worten Goethes unter uns Deutschen sprichwörtlich berühmt gemacht. Wer das „Götz-Zitat“ einem an den Kopf wirft, gilt bei uns als mutiger Teufelskerl.

Keiner dieser großen deutschen Darsteller war „ein Nazi“. Außer der Führungsclique, einzelnen ihrer Parteispitzen & „Goldfasanen“, gab es womöglich wirklich keine „fanatischen“ Nationalsozialisten (wie sie selbst sich gerne gesehen haben). Es genügte, aus den unterschiedlichsten Gründen, ein Mitläufer zu sein & den Nazi nur zu spielen – um als Opportunist vom herrschenden System materiell & immateriell zu profitieren (und wäre es auch nur, „in Ruhe gelassen“ zu werden).

Deshalb ist die salvatorische Behauptung, bzw. die Ausrede, „nur“ ein „Mitläufer“ der Nazibagage gewesen zu sein, zwar einerseits wohl richtig – jedoch mitnichten so entlastend, wie sie von den Alliierten später gehandhabt wurde. Denn der „Mitläufer“ hat „das System“ zum Laufen gebracht & am (Über-) Leben gehalten. Er hält sich zugute, dass er „nur einer von vielen“, also etwas „ganz normales“ gewesen sei. Er sei zwar nicht „mutig“ gewesen, aber solcher „Mut“, sagt der gewitzte Mitläufer, sei „eher verrückt oder selbstmörderisch“, weil er nutz-& folgenlos geblieben wäre.

Besser sei seine „Tarnung“ als mitlaufender Nazi gewesen, weil sie ihm sowohl die eigene innere Distanz zum Regime erlaubt habe als auch im Einzelfall Widerspruch oder Widerstand. Es ist eine trübe Melange aus scheinbarerer oder anscheinender Anpassung & der Selbstüberzeugung, man habe „innerlich nie dazu gehört“. Sie erlaubt dem Mitläufer post festum die Überzeugung, „eigentlich“ sei er „im Widerstand“ gewesen. Und zwar in einem so genialen Widerstand, dass das Regime ihn gar nicht bemerkt habe, weil der raffinierte Mitläufer seine (natürlich) „erzwungene“ Anpassung chamäleonartig perfekt inszeniert habe. Auch wenn er hier & da um der Tarnung willen besonders willfährig erschienen sei, sei er doch nie ein Nazi gewesen.

Bei den mitlaufenden Schauspielern (wie auch bei Künstlern & Intellektuellen allgemein) spielte für ihr Selbstwertgefühl & ihre Selbstüberschätzung eine besondere Rolle, dass sich die höchsten Vertreter der herrschenden Macht „persönlich“ um sie „kümmerten“ & ihrem einzigartigen „Genie“ huldigten. Daraus entstand nicht selten die übermütige Ansicht, man sei qua Geburts-Genie persönlich nicht angreifbar. Oder: man könne mit den werbenden, um einen herumscharwenzelnden Mächtigen – ob es sich um Goebbels oder Göring handelte – „auf Augenhöhe“ verkehren & sogar „notfalls“ von ihnen im direkten Gespräch Privilegien erwirken (für sich & andere), die außerhalb des intimen Verkehrs auf höchster Ebene unmöglich, ja undenkbar waren.

Hier berühren sich klassischer Feudalismus & moderne Diktatur. Nicht wenige der Künstler im Feudalismus wie in der Diktatur haben – trotz ihrer temporären „Erfolge“ bei den Machtinhabern – darüber jedoch vergessen, dass ihr scheinbar so freizügiger Umgang nur einer zeiteiligen Duldung der Machtfiguren zu verdanken war & nicht ihrem Verdienst oder gar einem ihnen zustehenden Recht entsprach. Sie blieben doch immer nur die Maus, mit der die Katze der Macht spielte, indem sie ihre Krallen zeitweise in ihren Samtpfoten zurückhielt.

(Übrigens kommt der „Mitläufer“ nicht nur unter Diktaturen massenhaft vor; sondern ist auch in Demokratien ebenso regelmäßig wie nachhaltig verbreitet. Es ist der vorherrschende Sozialtypus der menschlichen Gesellschaft, bzw. wir alle verhalten uns täglich im Beruf & im Privaten „mitläuferisch“.)

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Herold als bestrafter Bote des Kommenden. – Es ist schon ebenso erstaunlich wie beängstigend, dass Horst Herold, der einstige Chef des Bundeskriminalamtes (1971/81), der die Ermittlungen gegen die RAF mit modernsten Mitteln (der Rasterfahndung) & weitreichenden Überlegungen zur „gesellschaftssanitären Aufgabe der Polizei“ führte, heute so gut wie vergessen ist. Dabei stellt das Prism-Programm des NSA die Erfüllung seiner einsamen Utopien dar: jetzt sind die technischen Voraussetzungen gegeben für die Wunschaktivitäten des „philosophischen Kriminalisten“ (SZ) Herold, der auch schon mal als „der beste Polizist, den Deutschland je hatte“, bezeichnet worden ist.

Dabei war der in diesem Jahr Neunzigjährige zu seiner Zeit zum meistgehassten Beamten der BRD (als BKA-Chef) geworden. Mit diesen Herold-Hassern sind nicht nur die RAF & deren Sympathisanten gemeint, sondern auch dem „Spiegel“ war der dialektisch-materialistische Kriminalist mit dem Hang zur großräumigen Computertechnik der Widergänger von Fritz Langs verrücktem Kriminellen „Dr. Mabuse“. Als Rasterfahnder habe Herold von der Realisierung des „Sonnenstaats“ geträumt, den im 16. Jahrhundert der süditalienische Dominikaner Tommaso Campanella als Utopie eines sowohl kommunistischen als auch überwachten Staates entworfen hatte.

Der Totalverdacht gegen jeden Bürger, der mit der „negativen Rasterfahndung“ Herolds in die polizeiliche Welt kam & das gerade einmal 20 Jahre alte „Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung“ außer Funktion setzt, ist heute de facto zu einer Illusion in der Internetwelt von „Big Data“ geworden.

„Eine Gesellschaft, die weiß, in welchen Datensätzen ein künftiger Breivik sich – noch vor sich selbst verborgen – heranbildet, die wird alles in Bewegung setzen, um den Ausbruch des Verbrechens zu verhindern. Die Präventionsidee wird übermächtig werden (…) Ist es nicht besser, zehn bis fünfzehn mögliche Attentäter präventiv einzusperren, statt abzuwarten, bis einer von ihnen tätig wird?“, mutmaßte eben  Arno Widmann in der FR (27./28. 7.)

Auch ihm scheint nicht (mehr) bewusst zu sein, dass es Horst Herold war, der genau von solchen erkennungsdienstlichen Möglichkeiten der antizipatorischen Verbrechensbekämpfung schwärmte, die zur „gesellschaftssanitären Aufgabe der Polizei“ heranreiften. Weil er unerschrocken in seinem vorausschauenden Denken & Reden aussprach, was deutsche Politiker entweder nicht erkennen wollten oder konnten, wurde der laut denkende Herold des kommenden Algorithmischen Zeitalters unter allgemeiner Zustimmung von der öffentlichen Bühne verbannt. Es war wieder einmal der Überbringer der ungeliebten Nachricht, der für sie & seine überlegene Kenntnis büßen musste.

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Wenn der Thüringer Wirtschaftsminister Matthias Machnig (SPD) sich in einem Schreiben an seinem Innenministerkollegen Jörg Geibert (CDU) beklagt: „Die Verfassungsschutzbehörden machen trotz des nun hinreichend dokumentierten Versagens (im Falle des NSU) einfach so weiter, und das Thüringer Innenministerium schaut dabei zu“;

und wenn er sich auf zwei eindeutige Fälle rechtsextremer Gewalt (der eine mit Todesfolge) bezieht, bei denen sich die Polizei im einen Fall anfangs geweigert hatte, die Tat als rechtsextrem einzustufen & im zweiten Fall die Tätlichkeit gegen einen Asylbewerber im Polizeibericht gar nicht erwähnt wird;

wenn das Thüringer Verfassungsschutzamt, nachdem es sich in der NSU-Affäre bis auf die morschen Knochen öffentlich blamiert hatte, dennoch so dreist ist, in seinem Bericht für 2012 ganze Passagen aus dem vorjährigen Bericht „wortgleich herauszukopieren“ & (wie Machnig in seiner Beschwerde fortfährt), den Thüringer Verfassungsschützern „die NSU-Mordtaten ohnehin nur eine Randbemerkung wert“ seien;

wenn – weiterhin – der CDU-Innenminister Jörg Geibert das ungebremste organisatorische Anwachsen der rechten Szene Thüringens, die in diesem Bundesland das Anderthalbfache der dortigen Grünen- & dreiviertel der FDP-Mitglieder umfasse, damit erklärt, dass „die Sättigung“ mit dem Thema Rechtsextremismus es der Szene leichter mache, „selbstbewusst aufzutreten“ – was den Verfassungsschutzpräsidenten Derichs laut FR dazu veranlasste, Geiberts seltsamen Erklärungsversuch als eine „krude Mischung von NSU-verharmlosenden Verschwörungstheorien bis hin zur offensichtlichen Duldung“ zu bezeichnen;

wenn das alles also an der Tagesunordnung in Thüringen ist, während in München der NSU-Prozess läuft, dann – ja dann fühlt sich der historisch gebildete Beobachter heute lebhaft an die letzten Monate der Weimarer Republik erinnert & der Indizien summierende Beobachter, der die Schreddertätigkeiten der Verfassungschutzämter mit in Betracht zieht, fragt sich, was der These widerspricht, dass die NSU den Verfassungsschützern längst bekannt & möglicherweise die Angeklagte Zschäpe die Quelle war, aus der solche insgeheimen Kenntnisse sprudelten. Und deren Nachweise geschreddert wurden, nachdem durch die Bekenner-Eitelkeit der Selbstmörder die Öffentlichkeit über ihre Mörder-Taten informiert wurde.

Jedenfalls könnte eine mit den Behörden insgeheim verbundene Täterin im Falle des Auffliegens ihrer Verwicklung nichts Besseres, sie Schützendes tun als das, was die Angeklagte Zschäpe getan hat, nachdem sie versucht hatte, durch ihre Brandstiftung soweit wie möglich (ihre?) Spuren zu verwischen: Nämlich: indem sie sich unter den Schutzschirm der Polizei flüchtete & seither schweigt!

Was auch immer im Laufe des Münchner Prozesses noch ans Tageslicht kommen mag: das Gelichter im Thüringer Verfassungsschutz müsste jetzt unverzüglich auf die Straße gesetzt & einer erkennungsdienstlichen Observierung ausgesetzt werden.

Das wäre dringend erforderlich, damit wir uns noch einbilden können, dass wir in einem antifaschistischen Rechtsstaat leben, der sich sowohl gegen seine erklärten Feinde wie gegen seine schamlosen, frechen Verächter & Nutznießer im Amt zur Wehr zu setzen versteht.

Wolfram Schütte

Foto Snowden: Snapshot des Films Prism von Laura Poitras / Praxis Films, Wikimedia Commons.

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