Petits riens (III)
Wolfram Schütte über den Euphemismus „Panne“, der sich inflationär in der deutschen Pressesprache ausgebreitet hat, die Namensänderung des Moderators Dieter „Max“ Moor – und traumatische Ängste, die früheste Erinnerungen an Kino-Bilder beim Autor hervorgerufen haben.
Panne – kein Synonym für „Unfall, Schaden, Störung“ (besonders bei Fahrzeugen) hat in der letzten Zeit eine solche Gebrauchs-Inflation erlebt wie „Panne“. Wann immer von einer „Panne“ die Rede oder Schreibe war, war auch die NSU in der Nähe, wenngleich durch die „Pannen“ nicht nahe genug erkannt, so dass sich der selbsternannte nationalsozialistische Untergrund unbehelligt vom Staatsschutz gründen, entfalten & er mit zehn systematisch ausgeführten Morden & mehreren Banküberfällen überall in Deutschland tätig werden konnte.
Von „Pannen“ wurde in der Presse geschrieben, als handele es sich um bedauerliche, unvorhersehbare, unvermeidbar-zufällige Versehen, wenn zuerst bekannt wurde, dass die Staatsschutz-Behörden auf ihrem rechten Auge blind gewesen sein sollen & deshalb nichts bemerkten; dann wenn die Behörden Unterlagen vernichtet hatten, die in engstem Zusammenhang mit ihrer angeblichen Ignoranz standen & schließlich war wieder von einer „Panne“ die Rede, als das Münchner Oberlandesgericht mit seinem idiotischen Akkreditierungsverfahren den von ihm zu verhandelnden Prozess schon vor dessen Beginn zu einer grunddeutschen Farce gemacht hatte. Und bei der Vergabe sowohl beim ersten als auch beim zweiten Mal erneut „Pannen“ passierten (mehr hier und hier).
So viele „Pannen“ gab es im Verlauf eines staatlichen Verfahrens in Nachkriegsdeutschland noch nie. Wären an einem Fahrzeug derart eng gehäuft Pannen aufgetreten, wäre es sofort aus dem Verkehr gezogen worden & der Verdacht, es handele sich nicht um „Pannen“, sondern um ein systemisches Totalversagen, wäre nicht von der Hand zu weisen gewesen. Denn die kumulative Häufung von „Pannen“ überschreitet deren additiven semantischen Gebrauch – es sei denn, dadurch wollte man sich aus der „Klemme“ (auch ein Synonym für „Panne“) wegreden, in der man sich befindet, seit die „Pannen“ & ihr Auftreten in diesem Verfahren aller Wahrscheinlichkeitsrechnung & dem Zufallsprinzip Hohn sprechen.
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…hat seine Schuldigkeit getan. Der TV-Kulturmoderator Dieter Moor hat sich ins öffentlich Gerede gebracht, indem er wissen ließ, er sei seinen Vornamen leid & wolle künftig nicht nur von seiner Frau „Max“ gerufen werden. Wenn er bisher „Franz“ (wie Schillers „Kanaille“ in den „Räubern“) gehießen hätte, könnte man den Frankensteinköpfigen Mohr ja noch verstehen, dass er lieber wie sein aufrührerischer Mohr-Bruder „Karl“ heißen möchte. Aber bei der heutigen Kultur-Ignoranz hätten wohl einzig der Moderator & ein paar übrig gebliebene „Bildungsbürger“ noch gewusst, in welcher für Ironie gefährlichen Namensverwandtschaft sich dieser Herr Moor damit befunden hätte; und man hätte womöglich verstanden, dass er der immer naheliegenden Kalauerfalle entkommen wollte. Das Argument, er habe nun genug von dem Vornamen, den ihm seine Eltern gegeben hatten & ab jetzt wolle er Max genannt werden, ist ein bisschen dürftig für eine Belästigung der Öffentlichkeit, falls nicht doch – wie zu vermuten – diese mit einer Petitesse belästigt werden sollte, damit von diesem Moderator wieder einmal allerorten (wg. seiner damit bekundeten Exzentrik) gesprochen wird.
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Kino-Vergangenheit. Zu den frühesten Erinnerungen an Kino-Bilder & Geschichten gehören traumatische Ängste, die im Kino beschworen wurden. So erinnere ich einen (Spiel-) Film, der hauptsächlich im Dschungel Afrikas spielte. Ich sehe ihn als Farbfilm, obwohl das – auch bei diesem Thema – sehr selten, weil zu teuer gewesen wäre. Habe ich ihn in der Erinnerung koloriert?
Seine Story handelte von einem jungen Schwarzen aus einem afrikanischen Dschungeldorf, der in Europa oder den USA Medizin studierte & als Arzt in sein Heimatdorf zurückkehrte. Er sah sich als Konkurrent der Moderne mit der hasserfüllten Feindschaft der traditionellen Medizinmänner des Dorfes konfrontiert, die ihn nicht nur diskreditieren, sondern auch umbringen wollten. Z.B. hatten sie insgeheim Seile einer Seilbrücke angeschnitten oder gelockert, die über einen vor Krokodilen nur so wimmelnden reißenden Fluss gespannt war. Auch sind mir noch verkohlte Hütten erinnerlich. Warum & wodurch sie abgebrannt waren, weiß ich nicht mehr – nur noch, dass der junge Arzt wohl am Ende gegen die Heimtücke & den Hass der Medizinmänner obsiegte & die Aufklärung im Dschungel Afrikas Fuß fasste.
Weitere Erinnerungsfragmente stammen aus mehreren Südsee-Filmen (vor & neben Murnaus „Tabu“, vertont mit Smetana „Moldau“). Es werden Hollywood B-Pictures gewesen sein. Da gab es mehr als einmal die Sequenz, in der ein Perlentaucher mit einem Bein in eine riesige geöffnete Muschel kam, die sich über dem Bein schloss & den Schwimmer festhielt, so dass er ertrank.
Andere Fragmente für filmische Todesarten aus den Fünfziger Jahren: ein Bösewicht hat sich im Moor verirrt & versinkt fuchtelnd in ihm – und einmal flieht einer quer über Bahngleise. Durch den Zufall einer Weichenstellung gerät eines seiner Beine in eine Zwangslage. Sie hält ihn auf den Gleisen fest, während der Zug auf ihn zusteuert. So wird man sich wohl auch in Uwe Johnsons „Mutmaßungen über Jakob“ den Tod des Titelhelden vorstellen müssen, „der immer über die Gleise ging“.
Bis heute aber habe ich Fritz Langs „Das Testament des Dr. Mabuse“ von 1933 nicht vergessen, der erst nach dem Krieg in die Kino kam, weil die Nazis sich darin assoziiert sahen, obwohl sie nach „Metropolis“ in dem Österreicher ihren idealen Filmregisseur zu erkennen meinten. Offenbar sahen sie in Lang nur, was von dessen damaliger Ehefrau Thea von Harbou stammte. Sie war eine „Narzisse“.
Erinnerlich aus dem „Testament des Dr. Mabuse“ waren mehrere dichte Beängstigungsmomente. So vor allem der wiederkehrende stampfende Lärm der geheimen Gelddruckmaschine, die die Tonspur beherrscht; dann das Tonband hinter einem Vorhang, auf das der abwesende Dr. Mabuse den mit Entschiedenheit gesprochenen Satz gesprochen hatte: „Ich möchte jetzt nicht gestört werden“, wobei das „nicht“ besonders betont war. Schließlich eine Überblendung auf der Flucht des Verbrechers im Auto, als aus der Physiognomie des Irrenarztes langsam das weißhaarige Haupt mit den zurückgekämmten Haaren des Irren wird. Ebenso unvergesslich aber auch das hohe, zitternd-singende Stimmchen des in den Wahnsinn Getriebenen, den Dr. Mabuse in seinem „Sanatorium“ kaserniert hat.