Chronist der Mafia & anderer Verbrechen
Von Wolfram Schütte
Der 1922 in Neapel geborene Francesco Rosi stand lange im Schatten seiner großen, älteren zeitgenössischen italienischen Kollegen wie Michelangelo Antonioni, Federico Fellini & Luchino Visconti, bei dem er mehrfach als Regieassistent arbeitete.
Nur einmal überstrahlte er für einen Moment alle seine zeitgenössischen Konkurrenten. Das war 1962, als er mit seinem dritten Film, „Salvatore Giuliano“, in Form einer fingierten Dokumentation von Sizilien, dem Aufstieg & Tod des Nachkriegsbanditen Salvatore Giuliano & der Mafia erzählte.
Es war aber nicht das erste Mal, dass Rosi sich der organisierten Kriminalität in seiner Heimat zuwandte. Schon sein neorealistische Debüt „La Sfida“ (1958) beschäftigte sich mit der Camorra in Neapel; wie auch (1963 mit Rod Steiger in der Hauptrolle) „Le mani sulla città“, das Neapel in der Hand mafiöser Bauspekulanten & korrupter Politiker vor Augen führt – wenn auch nicht mehr mit der ästhetischen Komplexität des „Salvatore Giuliano“. Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass Rosi die Mafia thematisiert. Sie gehört zu den Zentralthemen seines fast gänzlich dem Mediterranen zugewandten Oeuvres.
Nach seinem zweiten Film – dem neorealistischen „I Magliari, der in Hamburg spielt, hat der Neapolitaner hat nur dreimal das ihm so liebe Mezzogiorno verlassen: Mit dem düster-radikalen Antikriegsfilm „Uomini contro“(1970), der an der Isonzofront im 1.Weltkrieg spielt; mit der späten Adaption von Primo Levis Erzählung „Die Atempause“(1997), in der der Auschwitzhäftling seine Odyssee in Ost-& Mitteleuropa nach seiner KZ-Befreiung beschreibt; und mit der wenig geglückten Adaption der „Chronik eines angekündigten Todes“ von Gabriel García Márquez (1987). Sein Stierkampffilm „Il momento della veritá“ von 1965 & seine Adaption von Bizets „Carmen“ (1984) waren spanische Erkundungen des mediterranen Machismo, der auch im Mittelpunkt der Novelle von Garcia Márquez stand.
Francesco Rosis spezifische Form des Neorealismus adaptierte das Erzähl- & Darstellungsmodell, das der geniale Orson Welles für sein „Citizen Kane“ entwickelt hatte: die Mosaikform einer kontroversen Montage von fingierten Dokumentarsequenzen. Aus diesem Kaleidoskop von historisch & lokal unterschiedlichen Erzählfragmenten setzt sich jeweils das filmische Porträt der in ihre Zeit & Gesellschaft eingebetteten Zentralfigur zusammen: ob es sich um historische Mafia-Figuren wie Salvatore Giuliano oder den aus den USA reimportierten Lucky Luciano (1974) handelt oder um den autokratischen Industriellen Enrico Mattei (1972), der mit dem AGIP-Konzern Italien aus der Abhängigkeit von den angelsächsischen Ölkonzernen befreien wollte & wahrscheinlich mit Mafia-Hilfe durch einen Flugzeugabsturz bei Mailand umgebracht wurde.
Wie Welles vermeidet auch Rosi in seinen zeitgenössischen Porträts die narrative Eindeutigkeit; es ist diese Unschärfe-Relation, in der sich die nachhallende Poetik des Verdachts, der Ambiguität & der geheimen Gewalt von Rosis Mafia-Filmen verbirgt.
Höhepunkt seiner einlässlichen Beschäftigung mit den gesellschaftlichen Gewaltverhältnissen im italienischen Mezzogiorno ist „Cadaveri eccelenti“(1976) nach einem Drehbuch des sizilianischen Schriftstellers & Europaparlamentariers Leonardo Sciascia. Darin wird ein rechtsradikaler Putsch imaginiert, der durch den produzierten Anschein eines linksradikalen Terrorismus, dem hohe konservative Richter zum Opfer fallen, vorbereitet werden soll. Der von Lino Ventura gespielte Kriminalkommissar kommt dem raffinierten politischen Umsturzplan auf die Spur & wird beseitigt, bevor er mit seinen schockierenden Erkenntnissen an die Öffentlichkeit gehen kann.
Der Krimiautor Sciascia spielt darin auf fiktiver Basis durch, was ihm im Italien der Siebziger Jahre verschiedene Geheimdienst-Aktivitäten, rätselhafte Bombenattentate & schließlich der Mord der „Roten Brigaden“ an dem entführten DC-Präsidenten Aldo Moro nahezulegen schien.
Nach dieser pessimistischen politischen Bilanz von 1976 – im Jahr zuvor war der schärfste Kritiker der italienischen Machthaber, P.P.Pasolini, auf bis heute ungeklärte Weise bei Ostia ermordet worden – drehte Rosi nur noch zwei wahrhaft große Filme: „Cristo si è fermato a Eboli“ (1979) & „Tre fratelli“ (1981). Die Adaption der Autobiographie des von Mussolini in die Archaik Kampaniens verbannten Malers Primo Levi, dessen „Christus kam nur bis Eboli“ eines der herausragenden Werke der italienischen Nachkriegsliteratur war, richtete den Fokus der Wahrnehmung auf das gesellschaftspolitisch isolierte Süditalien. Wie schon bei „ Il caso Mattei“ & „Lucky Luciano“ bekam auch „Cristo si è fermato a Eboli“ seine emotionale Wucht & seine Porträtdichte durch den grandiosen Darsteller Gian-Maria Volonté. Nie war er unvergesslicher als in Rosis Arbeiten.
Überhaupt war der Neapolitaner ein großer Schauspieler-Regisseur – auch mit Nicht-Italienern wie z.B. Rod Steiger, Charles Vanel & Philippe Noiret oder Max von Sydow.
Vom Mezzogiorno aus gedacht war auch „Tre fratelli“, wenngleich dieser episodische Reigen dreier sizilianischer Brüder, die ihre angestammte Heimat verlassen haben & zum Begräbnis ihrer Mutter für ein letztes Rencontre in ihre Heimat zurückkehren, weit in die individuellen & kollektiven Gegenwartsprobleme des ganzen Italien ausgriff.
Francesco Rosi präludierte damit das Oeuvre des 1956 auf Sizilien geborenen Giuseppe Tornatore & dessen früher Filme „Il camorrista“ „Stanno tutti bene“, mit denen der jüngere Regisseur & Drehbuchautor thematisch das Werk Francesco Rosis noch zu dessen Lebzeiten fortsetzte.
Wolfram Schütte
Foto Rosi: Georges Biard, Quelle.