Geschrieben am 20. Oktober 2008 von für Litmag, Porträts / Interviews

Zum Tod von Vittorio Foa

Links und lebensfroh

Der italienische Publizist und Politiker Vittorio Foa verkörperte jenen sehr, sehr seltenen Typus eines linken Intellektuellen, Gewerkschafters und Politikers, der im Alter aufrecht und ohne jede Verbitterung auf seine Vita zurückblicken konnte. So ging von ihm immer mitreißende Lebenslust und unwiderstehliche Neugierde auf die Zukunft aus. Von Carl Wilhelm Macke

Typisch Foa. Auf einem immer wieder gerne in den Zeitungen reproduzierten Foto sind drei für die Nachkriegsgeschichte Italiens bedeutende Intellektuelle zu sehen. Links auf dem Bild steht die etwas skeptisch blickende, eher zurückhaltende Schriftstellerin Natalia Ginzburg. Rechts der selbstbewusste, aber auch nur milde lächelnde Philosoph Norberto Bobbio. Und dazwischen, laut lachend und die beiden Anderen kraftvoll unterhakend, der so ganz und gar nicht skeptische Schriftsteller, Publizist und Gewerkschafter Vittorio Foa.
Die Ginzburg und Norberto Bobbio haben auch jenseits der italienischen Grenzen einen Namen. Aber wer ist, jetzt nach seinem Tod muss man sagen, wer war dieser außerhalb Italiens kaum bekannte Vittorio Foa? Seine Lebensgeschichte zu rekapitulieren, heißt immer, noch einmal fast ein ganzes Jahrhundert der neueren italienischen Geschichte Revue passieren zu lassen. Und dann versteht man vielleicht auch besser, warum Foa in Italien immer eine so große Sympathie entgegengebracht worden ist.

Antifaschist, Gewerkschafter, Publizist

Geboren wurde Vittorio Foa 1910 in Turin in einer bürgerlichen Familie, in der ihre jüdische Tradition einen relativ geringen Stellenwert besaß, dafür aber die zivilen Werte öffentlicher Einmischung viel galten. Anfang der dreißiger Jahre schloss sich der frisch promovierte Jurist Vittorio Foa der legendären antifaschistischen Bewegung ‚Giustizia e Libertà‘ an. Wenn der italienische Faschismus im Vergleich zum deutschen Nationalsozialismus oft als weniger aggressiv gegenüber seinen Gegnern angesehen wird, gilt dies aber nicht für Intellektuelle wie Foa. Er wurde 1935 verhaftet und zu 15 Jahre Haft verurteilt. Acht Jahre davon verbrachte Foa im Gefängnis. In dieser Zeit schrieb Foa eine Unmenge an Gefängnisbriefen an seine Familie, die vor einigen Jahren mit großem Erfolg in Italien veröffentlicht worden sind. Für seine Inhaftierung unter Mussolini hatte er immer eine verblüffend einfache Erklärung: „Die Faschisten mochten keinen Antifaschisten wie mich. Deshalb haben sie mich inhaftiert. Warum soll ich das beklagen?“
Nach der Haftentlassung schloss er sich der als Partei unbedeutenden, als geistigen Orientierungspol aber bis heute (siehe zum Beispiel den ebenfalls in dieser Tradition stehenden italienischen Staatspräsidenten Carlo Azeglio Ciampi) sehr einflussreichen „Partito d’Azione“ an. Dem hier immer vertretenen politischen Konzept eines „Socialismo liberale“ (liberalen Sozialismus) blieb Foa ein Leben lang treu. Vielen, insbesondere der orthodoxen Linken, war er immer zu liberal. Und das liberale Bürgertum misstraute dem Sozialisten, insbesondere dem Gewerkschafter Foa immer etwas.

Ein liberaler Sozialist

Ende der vierziger Jahre begann er seine Laufbahn als Funktionär, vor allem auch als intellektueller Stratege der größten italienischen Gewerkschaft CGIL. 1970 hat er sich dann aus den Gewerkschaftsaktivitäten zurückgezogen und mit dem Schreiben von Büchern sowie mit öffentlichen Auftritten begonnen. Als Walter Veltroni seinen Sieg bei den letzten Bürgermeisterwahlen in Rom feierte, stand neben ihm der alte Foa als personifizierter Optimismus. Mit „Questo Novecento“ („Dieses XX. Jahrhundert“) und seiner umfangreichen Autobiographie „Il cavallo e la torre“ („Das Pferd und der Turm“) erreichte Foa ein großes Publikum, das ihn als einen unbestechlichen linken Intellektuellen schätzte, der aber immer in Distanz blieb zu den Parteikommunisten. Zwar wurde Foa als Kandidat auf der Liste der Ex-Kommunisten in den römischen Senat gewählt, aber er war niemals Mitglied der Partei. In ihrer heftigen Attacke auf die ‚kommunistischen Geschichtsverdränger‘ unter den italienischen Linken („Der Gebrauch der Vernunft“ , München 2002 ), nahm Barbara Spinelli, die Starjournalistin der Turiner Tageszeitung „La Stampa“ Vittorio Foa explizit aus. Ihm kann man nun wirklich nicht vorwerfen, die weiß Gott nicht immer unschuldige Geschichte der politischen Linken im vergangenen Jahrhundert umgebogen oder verdrängt zu haben.

Nostalgiker der Zukunft

Foa verkörperte jenen sehr, sehr seltenen Typus eines linken Intellektuellen, Gewerkschafters und Politikers, der im Alter aufrecht und ohne jede Verbitterung auf seine Vita zurückblicken konnte. So ging von ihm immer mitreißende Lebenslust und unwiderstehliche Neugierde auf die Zukunft aus. Als Natalia Ginzburg Foa einmal in einem Gespräch etwas kritisch vorhielt, dass die Welt nun mal nicht immer lustig sei, antworte er: „Nein, aber es werden Kinder geboren.“ Nichts war ihm, dem unabhängigen Sozialisten jüdischer Herkunft, dem die Faschisten fast ein Jahrzehnt seines Lebens als freier Bürger geraubt haben, fremder als Verbitterung oder Trauer über nicht eingelöste Lebensziele. Der Antifaschismus war Teil seines Knochengerüsts und keine immer und immer wieder zu erneuernde Bekenntnisformel. Einen ‚Nostalgiker der Zukunft’ nannte er sich. Ein Paradox wie jener ‚liberale Sozialismus‘, dem er sich verpflichtet fühlte? Typisch Foa.

Carl Wilhelm Macke