Geschrieben am 12. Juni 2013 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Zum Tode von Friedhelm Sikora

Friedhelm SikoraErinnerung an einen verstummten Poeten

– Mit Friedhelm Sikora ist ein Lyriker von uns gegangen, dem die deutsche Sprache ein paar wundervolle Gedichte verdankt. Ich hätte mir noch einige mehr davon gewünscht. Von Michael Zeller.

Als mich dieser Tage aus Bamberg die Nachricht von seinem Tod erreichte, mit dreiundsechzig Jahren, fand ich nach dem ersten Entsetzen keinen besseren Trost, als zu seinen beiden Lyrikbänden zu greifen, die bald schon ein Vierteljahrhundert auf dem Buckel haben: „Wer nie sein Brot mit Zähnen aß“ und „Freier Fall“, beide 1989 auf einen Schlag in zwei verschiedenen kleinen Verlagen erschienen, die wahrlich nicht zu den ersten Adressen im Land gehören.

Ich kann mich gut erinnern, wie begeistert ich seinerzeit von diesen Gedichten des befreundeten Kollegen war (wir wohnten damals beide in Nürnberg). Dieser unbestechlich scharfe Blick, mit dem er unsere Gesellschaft beäugte, ist mir bis heute nicht aus dem Sinn geraten: gnadenlos böse, wenn’s sein musste (und es musste oft sein), dabei mit einem Humor gewürzt, der einem die Lachtränen in die Augen trieb. (Und privat natürlich eine Seele von Mensch.)

Und siehe da: Was als Trauerarbeit über den Tod eines Freundes und Kollegen gedacht war, geriet zu einer Feierstunde der deutschen Sprache. Diese Gedichte von Friedhelm Sikora aus dem Jahr 1989 sind frisch und lebendig geblieben wie an ihrem ersten Tag.

Personalienfeststellung

Sonntag (dpa)
randalierten mehrere hundert
vermummte,
meist jugendliche Gewalttäter
gegen mich. In Hamburg.

Montag (upi)
demonstrierten einige hunderttausend
demokratische Minderheiten,
vorwiegend Studenten und Intellektuelle
in Tientsin und Kwangtschou
für meine Menschenrechte.

Freitag vergangener Woche
gewann ich das Masters-Turnier
(warum, ist mir augenblicklich entfallen)
aber erwartungsgemäß
in einer kaum erwähnenswerten
Anzahl von Sätzen.

Übermorgen allerdings
werde ich im Volleyball-Finale enttäuschen,
wenn auch gegen gewisse
favorisierte Ausländer.

Ich bin Energiesparer,
Trockenrasierer, Sozialpartner,
Verkehrsteilnehmer, Beitragszahler,
Erbgutträger, Stammgast,
ferner,
bis zum jeweils 31.12.
Bausparprämienfuchs. Überdies
Inhaber einer Reihe von Ansichten,
die sich gut und gern sehen lassen können,
es aber für gewöhnlich vorziehen,
eben dies zu unterlassen.

Ich verfüge über:
stabile Leitzinsen,
Außenhandelsüberschüsse,
moralische Eckdaten.

So. Und da kommen jetzt Sie
und wollen mich nicht kennen!
Bestehen auf Ausweisen
und machen mir Offerten
hinsichtlich widerstandslosen Mitkommens.
Das alles wegen der paar Kubikmillimeter
über den Durst; hinter die Binde.

Muß schon sagen, Herr Hauptwachtmeister:
Es wird immer komplizierter,
sich daheim zu fühlen!

Nein, daheim war Sikora nirgends, der gebürtige Kölner in Franken. Und auch mit seinen Gedichten ist er damals nicht angekommen. Ich hatte eine rühmende Besprechung für eine überregionale Wochenzeitung geschrieben, sie wurde abgelehnt, aus Platzgründen, hieß es. Was war denn aber auch von Gedichten zu halten, die im Hohenloher Druck- und Verlagshaus in Gerabronn erschienen waren? Damit macht sich doch kein Redakteur lächerlich, der darauf getrimmt ist, mit vorgeblich „sicheren Werten“ zu handeln. „Wer das Risiko eingeht, Lyrik zu schreiben, muß wissen, daß die Bretter vor einem Kopf die Welt nicht bedeuten“, heißt es in „Freier Fall“.

Friedhelm Sikora, im Kollegenkreis hoch geschätzt, hat sich von dem ausgebliebenen Echo entmutigen lassen und damit seinen Verschweigern Recht gegeben: Er hat das Gedichteschreiben an den Nagel gehängt.

Ein Verlust für ihn. Ein Verlust vor allem auch, behaupte ich, für die deutschsprachige Literatur dieser Jahre.

Michael Zeller

Mehr über Friedhelm Sikora finden Sie hier.

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