Geschrieben am 19. Oktober 2011 von für Musikmag

3:1 – Björk

Drei Frauen, eine Platte – in dieser Woche haben sich Janine Andert (JA), Tina Manske (TM) und Christina Mohr (CM) Björks neues Album „Biophilia“ vorgenommen…

Björk: BiophiliaBjörks biophile Fingerübung

(CM) Tut mir ja leid, dass ich mich bei 3:1 zur notorischen Nörglerin entwickle – ist keine Absicht!! Aber Björks biophiler Fingerübung kann ich nicht viel abgewinnen, obwohl ich es versucht habe, mehrfach und ernsthaft. Ich wollte „Biophilia“ gut finden, mich auf Björks visionär-progressiven Ansatz einlassen, ihr selbsterfundenes Notensystem, die eigens für das Album kreierten Instrumente wie das „Gameleste“ wertschätzen und mich in ihre neu erzählten Schöpfungsmythen versenken. Außerdem wollte ich keinesfalls zu den notorischen Nörglern (s. o.) gehören, die von vornherein alles doof finden, was nicht nach „handgemachtem“ Rock von einer Vier-Mann-Band aussieht. Aber weil mir der ganze App-Schnickschnack zu „Biophilia“ nicht zur Verfügung steht,
sondern ’nur‘ die Musik, kann ich mich auch nur auf die zehn neuen Songs berufen, und von denen ist bei mir nicht allzu viel hängen geblieben. Klar, „Crystalline“ und „Cosmogony“ sind gute Tracks, beherzt komponiert und mit Liebe zum Detail arrangiert. Andererseits: diese leicht zerhäckselten Beats waren zu seligen Aphex Twin-Zeiten mal modern, heute klingen sie ziemlich angestaubt. Schade auch, dass Björk fast gar nicht von der semidramatischen Balladenform abrückt und im immergleichen Duktus intoniert. Und verdammt, jetzt mache ich es doch und erinnere an ‚gute alte Zeiten‘: Björk hat Platten wie „Vespertine“ gemacht und „Homogenic“ und „Post“. „Biophilia“ wird nur wegen des Drumherums im Gedächtnis bleiben, nicht wegen der Musik.

Man muss „Biophilia“ einfach nur hören

(TM) Music first, sag ich immer. Und so auch hier: denn diesen ganzen App-Quatsch (und noch nicht mal open source sondern Apple-exklusiv, pfui Deibel) zum Downloaden, Rippen, Sharen, Liken, Screenen und Trashen benötigt es überhaupt nicht, wenn man sich auf Björks Album und ganz einfach auf ihre Songs einlässt. Selbst einen Video-Gott wie Michel Gondry braucht man nicht, auch wenn der sicherlich ganz tolle Bilder zu Björks Sound findet. Man benötigt noch nicht mal ein Handy, tschulligung, Smartphone, man muss „Biophilia“ einfach nur hören. Hier wird nicht Sex verkauft, sondern eben die Liebe zum Leben – das, was Menschen fühlen, wenn sie das ewige Rein-Raus (in und aus Ohren/Körperöffnungen/Facebook-Gruppen) satt haben. Es hat ja schon was Religiöses, auch im Ton, wenn man sich die Harmonien von „Thunderbolt“ anhört. Und natürlich die Reinheit von „Cosmogeny“. Gut, zugegeben, wenn der Tribal-Beat bei „Mutual Core“ nach zwei Minuten einsetzt, da atmet man etwas freier, weil es da plötzlich nach sehr viel ätherischer Esoterik endlich mal Richtung Tanzfläche geht, andererseits kann man die mittlerweile fast bis zu Vollendung vollzogene Abstraktheit und Abwendung von gewöhnlichen westlichen Songstrukturen ja auch sehr genießen. Und das alles ohne fürchterliche Strenge: „My romantic gene is dominant“, singt Björk, und wer da den Witz und das Augenzwinkern nicht sieht (wie natürlich auch in der crazy wig), der hat halt nichts zu lachen.

Mammutprojekt mit höchstens zwei Semihits

(JA) Frau Manske jubelt, Frau Mohr nölt. (So in etwa jedenfalls.) Ich mach’ beides. Das Drumherum ist uns allen zu viel. Mir gefällt „Biophilia“, obwohl der Albumtitel doof ist. Soll das der neue Soundtrack für Biosupermärkte werden? Aber vielleicht verstehe ich da etwas nicht ganz. Egal. Björk kann das Telefonbuch einsingen und ich gewinne dem etwas ab, so sehr mag ich ihre Stimme. Die ist speziell. Niemand wird je an sie herankommen. Björks Gesang kann ein ganzes Album tragen. „Thunderbolt“ mit seiner opulenten Mehrstimmigkeit geht unter die Haut. Der fordernde Refrain von „Crystalline“ steht da wie ein Ausrufungszeichen. Der Rest, ja, der hält die Versprechen nicht ein. Und das ist das eigentliche Manko von „Biophilia“: Björk möchte mehr Künstlerin als ‚nur’ Musikerin sein, will das Medium Musik mit Intermedialität überschreiten. Die Liste der kunstaffinen Musiker, die seit den 1970er-Jahren Video-Art und Musik/Ton miteinander verbinden, computerbasierte Technik einsetzen oder generell Konzeptkunst im weitesten Sinne bedienen, ist ellenlang. Da sind extrem spannende Dinge dabei, die ob der Visuals irritieren, mit Hörgewohnheiten brechen oder gar neue Genres begründet haben. Extrem beeindruckend, was den innovativen Kunstaspekt betrifft. Björk bleibt bekannten Hörgewohnheiten verhaftet. Ein wenig sphärischer als ihre Hits, aber meilenweit von bahnbrechenden Einschnitten in die Musikgeschichte entfernt. Der ganze Schnickschnack über die Musik hinaus – wer kommt denn in Zeiten, in denen der Hörer kaum noch zum Erwerb eines ganzen Albums bewegt wird, auf den wahnwitzigen Gedanken, die Idee ‚Konzeptalbum‘ auszubauen? Die Musiker beschweren sich, dass die meisten Konsumenten nur noch einzelne Songs, d. h. die Hits, herunterladen. Nun kommt Björk mit einem Mammutprojekt, das höchstens zwei Semihits im Schlepptau hat. Eigentlich schon anachronistisch und süß. Gerade, wenn man bedenkt, wie viel Zeit und Energie der Hörer in das Werk stecken muss, um es in Gänze zu würdigen. Also weg mit dem Firlefanz und zu „Biophilia“ stripped down to music. Gutes Album, das mit sehr vielen schönen Momenten glänzt. Die glöckchenhaften Pling Plings, die sich durch die zehn Songs ziehen, sind zauberhaft. Auch sonst wartet Björk mit lauter kleinen frickeligen Ideen auf, die das Popuniversum, in dem wir uns eindeutig befinden, in den Genuss von schöpferischer Energie kommen lässt. Björks Stimme, ein Instrument für sich, ist über jeden Zweifel erhaben. Wenn erst gar nicht versucht wird, „Biophilia“ als Meilenstein zu sehen, ist das Album äußerst empfehlenswert.

Björk: Biophilia. Polydor (Universal).

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