Ungewohnt optimistisch
– Chan Marshall alias Cat Power legt nach 6 Jahren ein neues Album vor und klingt darauf erstaunlich positiv. Es war vorherzusehen, dass sich unsere 3:1-Autorinnen in diesem Fall einig sind, und so ist es auch. Willkommen zu einer Lobhudelei mal drei von Janine Andert (JA), Tina Manske (TM) und Christina Mohr (MO).
(MO) Mein Kollege U. ist enttäuscht: diese gewöhnlichen Beats! Die verfremdete Stimme, ganz weit weg vom Mikrofon! Und die Refrains – sogar zum Mitsingen! U., verbürgter Cat Power-Fan der ersten Stunde, kann leider gar nichts mit „Sun“ anfangen, Chan Marshalls erstem Album mit neuen Songs nach ganzen sechs Jahren. Und wisst ihr was? Mir gefällt „Sun“ sehr, jedes einzelne Stück.
Zunächst mal kann man all diejenigen beruhigen, die befürchten, dass Cat Power zur fröhlichen Partymaus mutiert ist: „Sun“ entstand unter bedrückenden privaten Vorzeichen und es ist im Grunde ein Wunder, dass das Album überwiegend so leicht und offen wirkt. „Sun“ soll ausdrücken, dass sich Cat Power von der Vergangenheit nicht mehr einholen lassen und nur noch nach vorne schauen will. Im Opener „Cherokee“ kombiniert Cat Power eine sphärisch-beflügelte Melodie mit morbide-rätselhaften Lyrics, bei „Silent Machine“ und „Manhattan“ setzt sie – wie auch schon früher gern – elektronische Beats ein, „3, 6, 9“ erinnert mit seinem verschleppten Groove an 90er-Jahre-Hip-Hop-Crossover und „Nothing But Time“ (mit Gastsänger Iggy Pop!) verströmt gospelartige Pracht.
Und die Single „Ruin“ ist nicht nur ein prima Sommerhit mit bestrickender Hookline, sondern auch einer von Cat Powers schönsten Songs überhaupt. Huch, ich gerate ja richtig ins Schwärmen – das ist doch sonst gar nicht meine Art!
(JA) Die exzentrische Seelenstripperin Chan Marshall alias Cat Power schaffte es auf bisher acht Alben, ihre individuellen Befindlichkeiten so zu verarbeiten, dass ihnen ein universeller Charakter zukam. Ihre Musik ist wie große Literatur: Persönliche Ereignisse und Beobachtungen sind Anlass ihrer Songs. Wie in der Literatur dürfen Autor und Werk trotz enger Verbindungen nicht verwechselt werden. Aber Cat Powers Musik gewinnt aufgrund der engen Bezüge eine Intensität, die vielen Songwritern abgeht. Was immer Chan Marshall auch abliefert, es ist glaubhaft, versucht sich nicht nur an den Unwegigkeiten des Lebens abzuarbeiten, sondern trifft in Momentaufnahmen die menschliche Existenz auf den Punkt.
Der Höhepunkt Marshalls bisherigen Schaffens war 2006, das Jahr, in dem sie ihren bisher größten Zusammenbruch hatte und sich öffentlich zu Alkoholismus und psychischen Problemen bekannte. Um diese Erlebnisse dreht sich das Album „The Greatest“. Nun erscheint ihr neuntes Studioalbum „Sun“, das ungewohnt optimistisch ausfällt. Für die Komposition und Produktion von „Sun“ nahm sich Marshall drei Jahre Zeit. Ihre Arbeit ist selten linear und seit 2000 oftmals von langen Pausen durchzogen – 2000, das Jahr, in dem sie keine eigenen Songs mehr spielen wollte, weil sie der Meinung war, mit ihrer Musik nichts mehr sagen zu können. (Eine Idee, die so manch Musiker wirklich einmal in die Tat umsetzen sollte.)
Für „Sun“ ließ sich Marshall ihre Rente auszahlen. Sie kaufte davon ein Haus in Miami und mietete verschiedene Studios für die Aufnahmen an, engagierte eine Band, die gerade einmal auf einem Track von „Sun“ zu hören ist. Irgendwie passte deren musikalischer Duktus nicht recht zu Marshalls Vorstellungen. Als ihr ein Freund die Beastie Boys vorspielte, erkannte sie darin sofort die Strukturen der eigenen Songideen. Sie traf sich mit dem Produzenten der Beastie Boys, dem Franzosen Philippe Zdar, der ihr dann bei den Aufnahmen zu „Sun“ zur Seite stand.
Das Album bewegt sich weit weg von der bekannten Exzentrik des Leidens und wirkt beim ersten Hören etwas herz- und belanglos. Marshalls Stimme wechselt gewohnt zwischen abgehackter Dringlichkeit und langgezogenen Lamenti. Dennoch überrascht „Sun“ mit popverliebten Arrangements und elektronischen Einwürfen. Der zündende Moment tritt mit dem neunten Track „Silent Machine“ ein. Was den Hörer dort, inklusive der beiden folgenden Songs, erwartet, ist umwerfend. Auch wenn „Nothing But Time“ ein wenig zu übertrieben „Tschaka! Du schaffst es!“-Mentalität ausstrahlt: Ja, ja, wenn wir nur wollen, können wir Superhelden werden, würg!
Aber gut, die Hookline groovt, und manchmal erfüllen auch Durchhalteparolen ihren Zweck. Dem Prinzip nach hätten eben diese drei letzten Stücke absolut ausgereicht. Beim erneuten Abspielen des gesamten Albums gewinnen die restlichen Tracks jedoch an Ausdruckskraft. Wenn ich mich recht erinnere, brauchte bei mir jede Platte von Cat Power zwei, drei Anläufe, ehe sie mich restlos begeisterte.
(TM) Taucht eine Frau mit neuem Haarschnitt, insbesondere Kurzhaarschnitt auf, vermutet man immer eine Neuerfindung, sie ist verlassen worden oder hat eine Krankheit überwunden oder oder oder. Chan Marshall aka Cat Power macht allerdings genau so weiter wie vor ihrem haircut, nämlich mit einem extrem gut produzierten Album. Ok, die Einstellung hat sich tatsächlich verändert: Cat Power denkt positiv!
Glücklicherweise muss aber niemand ein oberflächliches Tralala-Album fürchten. Sogar in den Momenten, in denen Chan Marshall dem radiotauglichen Pop am allernächsten kommt, bei Titeln wie “Real Life“ oder “Nothing But Time“, bleibt sie immer ganz die integre Künstlerin, die Unbestechliche, die, die tröstend den Arm um die Schulter legt und der du glauben kannst, alles. „You ain’t got nothing but time“, singt sie bei letzterem, und wie um das zu unterzustreichen, hebt der Song nach dem gefühlten Ende noch einmal an und möchte gar nicht aufhören. Ebensowenig wie der Hörer. Groß.
Cat Power: Sun. Matador/Beggars. Zur Homepage.