Die Nachtigall umarmt die Rose
Alina Manoukian wurde in Teheran als Tochter armenischer Eltern geboren. Im Alter von vier Jahren kam sie nach Hamburg, studierte später an der Universität der Künste Schauspiel und legte unlängst mit „Na Mi Naz Ouni“ ihr Debüt-Album mit armenischen Traditionals vor. Ronald Klein hat mit ihr gesprochen.
Ich bin auf ein Zitat gestoßen, in dem Sie ausdrücken, deutsch zu denken und armenisch zu fühlen. Wie fühlt man armenisch?
Wie man armenisch fühlt? Ich glaube, das Echo unserer Gefühle findet jeder in unterschiedlichsten Bildern wieder. Am einfachsten lässt sich diese Frage für mich durch ein Bild aus dem Lied „Na Mi Naz Ouni“ beschreiben, wonach im übrigem das Album benannt wurde: „Die Lerche verschwand im Feld. Die Nachtigall stieg herab und umarmte die Rose.“
Ihr Debüt-Album beinhaltet armenische Traditionals. Sie sind beim Sammeln des Materials sehr ungewöhnlich vorgegangen, nämlich bewaffnet mit einem Tonbandgerät…
Als ich während meines Theaterengagements die Möglichkeit bekam, einen Abend zu dem Thema „Identität – Fremde Heimat“ zu inszenieren, machte ich mich auf die Suche nach meinen Wurzeln. Da mich meine in allen Lebenslagen singende Großmutter und mein singender Vater früh geprägt hatten, war schnell klar, dass ich mir über die Musik einen Zugriff zu diesem Teil der Welt verschaffen würde. Mit einem kleinen Kassettenrekorder unterm Arm bat ich meinen Vater, das alte armenische Liederbuch herauszuholen, das ich aus der Kindheit erinnerte. Ein Buch ohne Noten, schlicht eine Ansammlung von Liedern/Gedichten. Ich hielt ihm den Kassettenrekorder unter die Nase mit dem Auftrag: Sing mir bitte alle meine Lieblingslieder daraus vor. Da wir keine Aufnahmen oder Noten besaßen, war das die einzige Möglichkeit die Melodie festzuhalten, um sie dann später mit dem Gitarristen neu zu arrangieren. Es blieb natürlich nicht nur bei meinen Lieblingsliedern, mein Vater sang auch etliche seiner Lieblingslieder. Da wir nicht alle Lieder gemeinsam erinnerten, wurden einige Verwandte, Bekannte und Freunde zur Hilfe gezogen. Das sah dann so aus: Zum Teil wurden übers Telefon Melodiefetzen vorgesungen, gar gesummt, und auf der anderen Seite des Hörers wurde die Ergänzung eingestimmt. Dicht am Hörer das Aufnahmegerät. So entstand bei mir die Idee, alle mir bekannten in Deutschland lebenden Armenier nach ihren Lieblingsliedern zu fragen. Mit einem Tonbandgerät in der Tasche begann das Projekt, das mich in seiner Fortsetzung zweimal in Folge nach Armenien verschlug, wo ebenfalls alle Gesangsfreudigen dokumentiert wurden. Bearbeitet habe ich dann ein Teil der Lieder mit dem Musiker Fred Kerkmann und einen anderen Teil mit dem Gitarristen Sebastian Albert, mit dem ich gemeinsam ein Duo bilde und das Album aufgenommen habe.
Könnten Sie sich vorstellen, auch politische Lieder zu singen, die beispielsweise den Genozid behandeln, den das armenische Volk erlitt?
Als Sängerin mit armenischen Wurzeln und armenischen Liedern bin ich, ob ich will oder nicht, politisch.
Wenn Sie mitteleuropäisch geschulten Ohren die Charakteristik armenischer Musik beschreiben würden, welche Attribute würden Sie benutzen?
Armenische Musik hat aufgrund der geografischen Lage orientalische und abendländische Einflüsse. Als das erste Land, das das Christentum zur Staatsreligion erklärte, sind die Klänge dem westlichen Ohr teilweise nah und doch fremd zugleich. Das traditionelle armenische Instrument ist die Duduk. Für mich klingt dieses Instrument immer nach einer Stimme aus der Vergangenheit, die weit in die Zukunft reicht, warm, melancholisch und weit dem Horizont entgegen. Ursprünglich sind die Volkslieder opulent für ein großes Orchester arrangiert. Die entscheidenden fremdartigen Anteile sind wohl der Gesang, die Melodik und der Rhythmus. Auf eine schwer zu fassende Art klingt der gleiche A-moll-Akkord anders, als du ihn hier spielen würdest. Eine gewisse Melancholie kann man den Liedern wohl nicht absprechen. Es ist wie Klezmer, weinend und lachend zu gleich.
Sind Sie in einem musikalisch geprägten Haushalt aufgewachsen?
Naja, in einem singenden Haushalt. Meine Großmutter hat leidenschaftlich gesungen und mein Vater tut es heute noch. Leider hat keiner der beiden ein Instrument gespielt. Fast bei jedem Familienfest wurde gesungen oder getanzt. Oder es wurden Gedichte rezitiert. Zu jedem Anlass gab es die passenden Melodien und immer Grund zum Singen. Das habe ich vererbt gekriegt, ich singe immer, ob aus Freude oder um mich zu beruhigen.
Viele der Songs auf dem Album haben so einen melancholischen Grundton – spiegelt sich dieser auch in den Texten wider? Wovon handeln diese?
Stimmt, der Grundton ist meistens melancholisch, dennoch gibt es textlich viel Witz, auch eine tröstende, eine selbstironische Ebene. Bei meiner Auswahl erzählen die Lieder zum größten Teil Geschichten über die Liebe. Mal erzählen sie von der erwiderten, doch meistens von der unerwiderten, verschmähten Liebe. Und ebenso häufig handeln die Lieder von der Erhabenheit der Natur, ihrer Schönheit, der Liebe zur Heimat, der Hoffung, von Hirten, Tälern, Bergen und dem einzigartigen Gefühl, eins mit der Natur zu sein.
Fiel Ihnen dereinst die Wahl zwischen dem Beruf der Schauspielerin und der Sängerin schwer oder reifte der Wunsch, das Mikrofon in die Hand zu nehmen, erst später?
Der Wunsch zum Mikrofon zu greifen war schon sehr früh da. Dennoch habe ich tatsächlich nie beide Berufe so getrennt voneinander betrachtet. Ich sah und sehe nach wie vor keine Notwendigkeit, mich in meinem Ausdrucksmöglichkeit zu beschneiden, ich habe seit meiner Jugend getanzt und Theater gespielt und gesungen. Körper, Sprache und Gesang bildeten eine natürliche Einheit. Ich habe zu jeder Zeit, ob während des Schauspielstudiums oder in Engagements, immer auch musikalisch gearbeitet.
Sie spielen Theater, arbeiten für Film und Fernsehen. Welches Medium bevorzugen Sie?
Wie schon gesagt, jedes Medium für sich erlaubt es mir, mich anders auszudrücken. Mit der Musik bin ich selbstbestimmter, das ist eine ganz neue Erfahrung, die mir gefällt. Mit dem Gesang bin ich näher an meiner Person, es ist intimer und ich bin nackter auf der Bühne. Das war eine neue und besondere Herausforderung. Rein organisatorisch gesehen habe ich momentan die Zeit, da ich nicht im Festengagement bin, meine volle Energie auf die Musik zu lenken. Und das ist tatsächlich eine Fokusentscheidung, das CD-Projekt ist ja auch schon seit mehreren Jahren in der Pipeline gewesen und ich bin froh mir damit diese Erfahrung geschaffen zu haben. Dennoch liebe ich am Schauspiel ein Teil von etwas Größerem zu sein, in eine Rolle schlüpfen zu können um zu bewegen, zu berühren. Beides großartige Ausdrucksmöglichkeiten, wenn man die Chance hat mit seinen Fähigkeiten das Zeit-Raumgefüge für den Betrachter, also das Atmen, Fühlen und Denken zu beeinflussen.
Wird die Platte der einzige Ausflug in die Musik bleiben oder wurde dadurch eine weitere Tür der Ausdrucksmöglichkeiten aufgestoßen?
Es ist kein Tagestrip, also kein einmaliger Ausflug. Die Tür steht weit offen und der Eintritt ist frisch vollzogen. Ich habe wie oben erwähnt auch für die Zukunft soviel Material gesammelt, und das Sammeln ist nicht abgeschlossen. Jetzt aber gehen wir erstmal im Frühjahr 2013 auf Tour und sehen weiter.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Ronald Klein
Alina Manoukian: Na Mi Naz Ouni. GDMP-Entertainment/TeTe Music. Zur Homepage.