Musik oder Worte
– Billy Cobham, Bill Ramsey und andere beim Festival „Jazz am Schloß“ in Rheine. Ein Bericht von Christiane Nitsche.
„Lasst uns nicht viel reden, lasst uns spielen!“ Billy Cobham weiß natürlich, dass seine Hände beredter sind als sein Mund. Und so verlässt er den Platz am Mikro, kaum dass er ihn eingenommen hat, um dort Platz zu nehmen, wo er sich offensichtlich am wohlsten fühlt: Hinter einem enormen Drum Set mit Double Bass und allein sieben Toms. Auch wenn man weiß, dass sein Spiel einzigartig, seine Technik wegweisend und seine kreative Kraft Impulsgeber waren und sind: Wenn Cobham spielt, verzieht sich der Verstand in die hintersten Ecken und macht Platz für Bauch und Seele.
Das liegt beim so kleinen wie feinen Pfingstfestival „Jazz am Schloß“ in Rheine-Bentlage allerdings auch an seinen beiden Mitspielern: Wolfgang Schmid (Bass) und Peter Woelpl (Guitarre). Das Billy Cobham Trio in einer Besetzung wie zu „Super-Drumming“-Zeiten spielt sich in einen derartigen Rausch, dass es die Zuschauer im ausverkauften Zelt am altehrwürdigen Kloster Bentlage schier aus den Sitzen bläst.
Eingefleischte Fusionistas kommen voll auf ihre Kosten: Schmid spielt einen so elegant-lässigen wie funkigen, zuweilen groovigen und schließlich sogar rockigen Bass in seiner ganz eigenen Spieltechnik, Peter Wölpl lässt mitunter Erinnerungen an George Benson, Carlos Santana, Jimi Hendrix anklingen, bleibt aber doch immer er selbst, wenn er in furiosen Läufen seine Coura African bearbeitet. Und man kann nicht umhin zu denken, dass Jimi Hendrix Angst hätte bekommen müssen, dürfte er das noch miterleben.
Und natürlich Cobham: Er spielt open-handed, wie man es von ihm kennt, und selbst mit vier Sticks bleibt sein Spiel so konzentriert wie scheinbar leicht. Dass sich die drei gut kennen und Freude aneinander haben, ist augenfällig. Jeder bekommt den Raum, den er braucht, um seine solistischen Fähigkeiten auszuspielen, jeder bekommt Gelegenheit, gegen die Band zu spielen und immer wieder finden sie einander in melodischen Phrasen, jeweils quittiert mit lachenden Gesichtern. Es dauert nur Sekunden, bis der Funke übergesprungen ist.
Das kleine, heimelige Zelt am altehrwürdigen Kloster Bentlage macht es möglich, dass sich die Nähe zu den Musikern geradezu physisch einstellt. Die Atmosphäre ist so dicht wie die Regenschleier draußen, wo noch einige Wackere ausharren, die kein Ticket mehr ergattern konnten. Stattdessen sitzen sie auf Bierbänken und lugen unter Schirmen hervor durch die Fenster hinein.
Saxy: Karolina Strassmayer und KLARO
Es hat schon fulminant begonnen: Karolina Strassmayer, die bereits 2012 beim Jazzfest in Gronau als Solistin der WDR Bigband auf sich aufmerksam machte, hat mit Drori Mondlak an den Drums, Stefan Bauer am Vibraphon und John Goldsby am Bass eine feine Combo namens „KLARO“ zusammengestellt, die ihre Qualitäten als Saxophonistin so gekonnt wie dezent in Szene setzt. Sie muss viele Hände schütteln und CDs signieren nach ihrem Auftritt. „Das war ja mal ein Auftakt“, begeistert sich auch Tobias Sudhoff, der als künstlerischer Leiter des Festivals nicht nur die Fäden in der Hand hält, sondern selbst mit Hand anlegt, wenn nötig. Sei es als Frontmann der Sudhoff-Classen-Klangmanufaktur, bei der er sich als Entertainer mit erstaunlichen Qualitäten als Jazzpianist präsentiert oder als Aushilfspianist bei Bill Ramsey’s Begleitband am zweiten Festivaltag.
Was namentlich so geschraubt daherkommt, wirkt allerdings mitunter auch ein wenig wie mit schiefem Gewinde zusammengezwungen: Bei allen musikalischen Stärken und den hervorragenden solistischen Qualitäten von Martin Classen & Co. kann Sudhoff stimmliche Schwächen nur schwer verbergen, und auch die deutschen Texte des Münsteraners fügen sich nicht immer den ausgefeilten Arrangements aus der Feder von Classen. Was das Publikum indes nicht anficht, denn der Unterhaltungswert der augenzwinkernden Lyrik Sudhoffs ist hoch. Ein Ausflug Sudhoffs ans noch vor der Bühne stehende Vibraphon Bauers mit Along-the-way-percussion am Flügel wird mit Jubelrufen quittiert. Bemerkenswert auch der Auftritt des Italo-Amerikaners Nick Pisesi am Baritonsax, der für Ivan Romero eingesprungen ist und das Bläser-Set mit Classen (Tenor-Sax), Gerard Kleijn (Trompete) perfekt ergänzt. Uli Wentzlaff-Eggebert am Bass und Joost Kesselaar an den Drums geben das ideale Rückgrat für den ausgefeilten Sound dieser Band, die man sich durchaus merken sollte.
Ist das alles?
Auftritt Bill Ramsey: Er kommt durch die Zuschauerreihen, gemessenen Schrittes, strahlt und lächelt verschmitzt. Wer ihm ins Gesicht sieht, kann kaum glauben, dass Jahrzehnte vergangen sind, seit er in der ZDF-Hitparade „Souvenirs, Souvenirs“ trällerte. Doch geblieben ist mehr als nur die Erinnerung an eine Stimme mit besonderer Färbung: Ramsey hat nichts von seinem Charme, seinem Witz, seinem Timbre und seinen Qualitäten als hervorragender Jazz-Sänger verloren. „Ich bin ein Titan“, witzelt er mit Blick auf diverse Edelmetallteile, die er in den Knochen mit sich herumträgt und die daran schuld sind, dass er nicht hereinschweben könne wie Sammy Davis Jr..
„Ist das alles?“, ruft Bernd Otto ins Publikum. Der Kopf der Frankfurt Swing Allstars, die Ramsey begleiten, weiß wie man die Stimmung anheizt. Er hat Spaß an seiner Rolle als Entertainer. Außerdem ist er ganz offenkundig ein wirklich guter Freund Ramseys. Die Chemie stimmt – nicht nur zwischen den beiden. Collin Dawson (tr), sonst Solist bei der Bigband des Hessischen Rundfunks, Wilson de Oliveira (cl/sax) aus Uruguay, Peter Feil (tb) und Paul Ulrich am Bass verstehen einander als Solisten wie als Ensemble. Auch Sudhoff fügt sich gut ein. Ramsey widmet ihm schließlich eine Liedzeile: „Tobias, wie bist du schön“, singt er augenzwinkernd zur Melodie von „Bei mir bist du schön“.
Es wird eine kleine Reise durch die Hochzeit des Swing. „Honeysuckle Rose“, „Ain’t Misbehavin’“, „On the Sunny Side of the Street“: Ramsey macht wenig Experimente, aber genau dafür liebt ihn sein Publikum, das das Zelt mal wieder bis auf den letzten Platz gefüllt hat. Dabei gehört Ramsey sicher zu den Künstlern, die – obwohl jahrzehntelang gefeiert – immer wieder unterschätzt wurden. Seine Klasse beweist er in Bentlage etwa mit einem Scat-Solo, bei dem er sich mit Ulrichs Bass „unterhält“. Und dann ist da noch seine Hommage an Louis Armstrong. „Satchmo war ein wundervoller Mensch“, erklärt er, „humorvoll und warmherzig.“ In der 50er-Jahre-Schmonzette „La Paloma“ hatten beide einen Auftritt, er wird es also wissen. „What a wonderful world“ wird zum so gefühlvollen wie schlicht schönen Abschluss eines denkwürdigen Konzerts am Ende eines denkwürdigen Festivals, dem man nur wünschen kann, dass es auch im 28. Jahr, an Pfingsten 2014, so kleine wie feine Konzerte mit so hervorragenden Acts auf die Beine stellen kann.
Christiane Nitsche