Geschrieben am 14. September 2011 von für Musikmag

Berlin Festival 2011

Am letzten Wochende feierte die Berlin Music Week 2011 mit dem Berlin Festival ihren Höhepunkt. Tina Manske berichtet von ihren Eindrücken.

Alles offen

Luftig, transparent, weitläufig – ja, hier kann man atmen. Das ist der erste Eindruck, der sich dem Besucher des Berlin Festivals 2011 auf dem Tempelhofer Flughafen aufdrängte. Nach dem Desaster des letzten Jahres, als es wegen Gedränges und aufkommender Panik an einem der Hangars zum Abbruch des Festivals gekommen war (die Bilder der Duisburger Loveparade noch vor Augen), haben die Veranstalter die richtigen Schlüsse gezogen. In diesem Jahr war das Gelände zugänglicher, es gab keine Schleusen vor den Hangars, und diese waren auch nicht mehr nur durch enge Türen zugänglich, sondern standen sperrangelweit offen. Das tat auch der Akustik gut, der man durch die Bank gute Noten geben konnte. Dank der Entscheidung der Veranstalter, die Bühnen in diesem Jahr offener zu gestalten und die Hauptbühne schräg zum Flughafengebäude zu installieren, kamen insgesamt mehr Menschen in den Genuss, ohne viel Gedränge etwas von der Bühne zu sehen.

Vielen dürfte es allerdings gegangen sein wie mir, die ich den ersten Höhepunkt von vorneherein verpassen musste: James Blake stand bereits am Freitag um 14 Uhr auf der Hauptbühne, zu einer Zeit, in der die meisten Besucher noch im Büro oder grade mal auf dem Weg zum Festivalgelände waren oder in einer der Schlangen auf Einlass warteten. Dem Vernehmen nach soll Blake aber eine ziemliche Wucht gewesen sein, bedenkt man die Tatsache, dass einer, der nachmittags vor einigen hundert Leuten in die Tasten haut, nicht gerade einen leichten Job hat. Und was kann man sich schöneres vorstellen, als beim Blick über das Flugfeld „There’s A Limit To Your Love“ vorgeträllert zu bekommen? Aber wie gesagt: bei der Vorstellung blieb’s.

Schon etwas voller wurde es dann bei Austra. Die Kanadierin Katie Stelmanis und ihre Backgroundsängerinnen überboten sich in der mimischen Darstellung von in den Wellen wankenden Seepflanzen, und wiegend und wogend war auch die elegische Musik, getragen von Synthie-Sounds, den harten Drumbeats und Stermanis‘ ziemlich unvergleichlicher Stimme. Die Band ließ später wissen, man habe noch nie vor einer so großen Kulisse gepielt, aber das merkte man ihnen wirklich nicht an. Schon bei diesem Auftritt wurde übrigens deutlich, dass ein Saxophon auf der Bühne mittlerweile zum guten Ton gehört. Allerdings hatte der Saxophonist nach seinem ersten Einsatz einen extrem entspannten Job – er war gleichzeitig Keyboarder, hatte aber in weiser Voraussicht sein Instrument voreingestellt, sodass er für den Rest des Auftrittes die Hände frei hatte, um durch sein wallendes Haar zu streichen und bedeutungsschwangere fließende Bewegungen auszuführen. Rock’n’Roll!

Das Saxophon, das kennt man ja auch von The Rapture, denen von vielen als einer der Hauptacts entgegengefiebert wurde und die gerade ihr viertes Album „In The Grace Of Your Love“ veröffentlicht haben. Mit dem Titelsong ging es denn auch gleich los. Sänger Luke Jenner bedankte sich für die Einladung und gab bekannt, Berlin sei eh die Lieblingsstadt der Band. Künstler und Publikum, hier waren sie in von Anfang an in Verehrung füreinander vereint, und beim Auftritt von The Rapture wusste man dann auch gleich wieder, weshalb man ihr neues Album in letzter Zeit so oft im Player hatte – nach wie vor kann niemand so melancholisch und euphorisch zugleich klingen wie Jenner. Spätestens bei „How Deep Is Your Love“ hielt es keinen der Zuschauer auf ihren Beton-Stehplätzen.

Hipster & Normalos

Danach hieß es sich entscheiden zwischen Großbuchstaben – zu HEALTH oder doch zu CSS? Die Menge teilte sich relativ gleichmäßig auf, bei CSS werden’s noch ein paar mehr gewesen sein, sind halt sehr angesagt gerade, und Elektropop tut ja auch keinem so richtig weh. (Den Zeitungsberichten vom Festival nach zu urteilen waren auch alle Journalisten bei CSS – ist irgendjemand überrascht?) Wem aber nach dem doch sehr Postpunk/Wave-lastigen Beginn der Sinn nach etwas mehr Härte und Konsequenz stand, der war bei HEALTH richtig aufgehoben. Die Band aus Los Angeles war bereits 2009 zu Gast auf dem Berlin Festival gewesen, als es dort nur zwei Bühnen gab. HEALTH zeigten sich angenehm überwältigt von der schieren Größe des Auditoriums, nur um es danach in seine Kleinteile zu zerlegen. Man kann denke ich mit Fug und Recht behaupten, dass HEALTH an diesem Wochenende den größten Krach machten. Vom ersten Ausbruch der Gitarren bis zum letzten Diskant hatten die Jungs ihr Publikum im Hangar 4 in der Hand. Die Mischung aus Drone-Gitarren, elegischen Gesängen und feinster Elektronik (und zwei! Schlagzeugen!) wummerte bis direkt rein in die Magengrube. Außerdem zeigte der Blick nach links und rechts, dass hier endlich mal hipsterfreie Zone war (klar, die waren alle zu CSS geschlappt) und man sich zwischen ganz ’normalen‘ Jeansträgern befand. Ultracool! Mittendrin musste man allerdings wirklich mal wenigstens für ein paar Minuten ins Freie treten, weil man drohte zu ertauben – nach diesem Konzert dürfte der Verkaufsstand mit Ohrenstöpseln seinen besten Umsatz gemacht haben. Aber es lohnte sich. HEALTH katapultierten sich mit ihrem Auftritt an die Spitze der Festivalbeliebtheit. (Bei denen, die sie gesehen haben.)

Danach trafen sich Hipster und Normalos an der Hauptbühne wieder zum nächsten Höhepunkt: Battles legten einen mitreißenden Auftritt hin, der zeigte, warum Bands aus aller Welt ihren Namen nennen, wenn es um Einflüsse geht. Vertrackte Rhythmen so zu spielen, als sei es das Einfachste auf der Welt, und dazu auch noch Pop-Appeal transportieren, das bekommt im Moment keine Band so gut hin wie dieses Mathrock-Trio aus New York.

Bei aller Liebe für diese Band ist es allerdings unverständlich, warum diese zur besten Zeit auf der Hauptbühne auftrat, während Hercules & Love Affair mit Hangar 5 Vorlieb nehmen mussten. Umgekehrt wäre ein Schuh draus geworden, wie ein Blick auf die Publikumsverteilung zeigte. Der multikulturelle und multisexuelle Disco-Burner aus New York WAR der Hauptact, wurde vom Publikum dazu erkoren, das, zu dieser Stunde durch diverse bewusstseinsverändernde Substanzen bereits gut vorbereitet, die Party nun so richtig startete. Und auch die Musiker waren bestens gelaunt und verwandelten den Flughafen kurzerhand in einen schwülen Club.

Die letzten Klänge von „My House“ waren noch nicht verklungen, da begannen auf der Hauptbühne Primal Scream mit der kompletten Wiedergabe ihres Klassikers „Screamadelica“ aus dem Jahr 1991. Mag das für Fans der Band ein erhebender Augenblick gewesen sein, so stellte dieser Auftritt doch einen seltsamen Fremdkörper im Gesamtorganismus dieses Festivals dar. Auch die schöne Lighthow und gelungene Projektionen konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier in einem Umfeld von progressiven Künstlern plötzlich inadäquat viel Wert auf Rückschau gehalten wurde. Aber so ein Hauch von Geschichte, der einen anweht, nunja, ist auf dem Tempelhofer Flugfeld mit seiner ebensolchen ja nicht schlecht aufgehoben. Und ja, Bobby Gillespie kann es noch.

Mit dem Auftritt von Santigold im Hangar 5 ging der erste Tag des Festivals zu Ende, und noch einmal war die Menge aufgefordert ausgelassen zu tanzen. Hits wie „L.E.S. Artistes“ sorgten auch nach einer enervierenden Wartezeit aufgrund technischer Probleme noch für gute Laune.

Das Berlin Festival dürfte sich jedenfalls spätestens nach diesem erfolgreichen Jahr als Dauerbrenner etablieren. Ein besonderer Dank gilt übrigens dem jungen Herrn in Lila mit dem wallend langen Haar, der sich während der Acts vor der Hauptbühne unermüdlich durch die Reihen schlängelte und dabei tanzte, als sei er einer der übrig gebliebenen Blumenkinder. Nicht zuletzt er gab einem dann doch das Gefühl, tatsächlich auf einem Festival anwesend zu sein, und nicht auf einer Modenschau für Hipster mit zu engen Hosen und schlechten Frisuren. Dass ich ihn zwei Tage darauf in einer Straße in Kreuzberg wiedersah (übrigens in denselben Klamotten) zeigt wiederum, dass Berlin ein Dorf ist. Ein Weltdorf, in dem man es mächtig gut auf die Ohren bekommt.

Tina Manske

Berlin Festival 2011, die zweite: In der nächsten Ausgabe folgt die Einschätzung von Tobi Kirsch.

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