Geschrieben am 20. März 2013 von für Musikmag

Blitzbeats

Neue Platten von und mit Soldout, New Found Land, Autechre, Henning Wolter Trio, Gemma Ray und einem Sampler mit deutscher elektronischer Musik, gehört von Ronald Klein ( RK), Tina Manske (TM) und Christina Mohr (MO).

SOLDOUT_MorePerfekt!

(RK) Setzt sich mittlerweile in der Popmusik der Trend zur Sentimentalität durch, spiegelt das ohne Frage ein gesamtgesellschaftliches Phänomen wider. Die Welt früher war übersichtlicher. Die Bausparverträge griffen und die Ordnungssysteme waren übersichtlich. Als junger Künstler wusste man, woran man sich abarbeiten durfte. Manche behielten ihr Wissen und konservierten es, sodass sie, selbst in die Jahre gekommen, sich einer Semiotik bedienten, die fossil wirkte. Im Pop nennt man dies „Retro“ und verkauft es als schicken Trend. Eine Hohelied auf die Einfallslosigkeit. Jedoch gibt es glücklicherweise die berühmten Ausnahmen von der Regel. So eine derartige Ausnahme residiert in Belgien und nennt sich Soldout.

Wenn im Opener „Right Now“ Sängerin Charlotte proklamiert: „Itʼs not too late to be a child, / cause youʼre fading away / I was afraid that the days passed / and the time is over“ dann übersetzt sich die existentielle Lebenslust, der Hunger nach der Abwesenheit eines sinnfreien Hier und Jetzt in eine treibende Elektro-Hymne. Und damit ist die Stoßrichtung des Albums gegeben: extrem ins Ohr und in die Beine gehende Songs, die ideal angeordnet klingen, sodass sich eine Dramaturgie eröffnet, die Bilder vor das geistige Auge projiziert; eine Dramaturgie, die inspiriert und verzaubert.

Ohne Frage, Soldout bewegen sich im klanglichen Rahmen, in dem auch Grimes, The Knife oder The Naked and the Famous verortet werden dürfen. Aber mit ihrem dritten Album „More“ schufen sie einen Meilenstein, der Akzente setzt und nur ein Prädikat verdient: perfekt!

Soldout: More. Flatcat Recording (Rough Trade). Zur Homepage und zur MySpace Seite.

Scnewfoundland_ditohwermütig, nicht depressiv

(MO) Selten passen Bandname, Albumtitel und Lebenssituation so gut zusammen wie bei Anna Roxenholts alias New Found Lands dritter Platte, die schlicht „New Found Land“ heißt. Die aus Göteborg stammende Wahl-Neuköllnerin kreiert sich mit diesem Album neu, was in diesem Fall viel mehr als nur eine platte Floskel ist. Roxenholts letzte Platte „The Bell“ (2011) klang zart, sanft, folkig-verspielt; „New Found Land“ wirkt fokussierter, eleganter und experimentierfreudiger.

Der musikalische Mut ist Ausdruck eines Selbstfindungsprozesses: ursprünglich wollte die studierte Jazzsaxophonistin wie üblich mit ihren Begleitmusikern im Studio arbeiten, befand aber nach kurzer Zeit, dass sie allein an ihren neuen Songs arbeiten muss. Sie zog sich – getrennt von Mann, Freunden und Lieblingsstadt – nach Schweden ins Haus ihrer Mutter zurück, produzierte die angefangenen Tracks selbst fertig und stellte sich ihren innersten Fragen, Bedenken, Zweifeln.

Dementsprechend liegt ein durchaus dunkler, zuweilen schwermütiger Schatten über den zwölf Stücken, auch wenn der Einstieg mit „Only My Winnings“ ruhig und freundlich ausfällt. Schon im zweiten Song „Mirror“ schlägt die Stimmung um, ein stakkatoartiges Schlagzeug und synthetische Bläser untermalen Roxenholts Bilanz einer gescheiterten Beziehung – aus der sie sich schmerzhaft, aber letztlich notwendig befreit.

Auch „What Is Love“, „The Cross“ oder „Nothing´s Ever Been Easier“ zeugen von inneren Kämpfen, genauso aber von Hoffnung und Aufbruch, weshalb „New Found Land“ keinesfalls eine depressive Platte ist. Stilistisch ist sich die „neue“ Anna Roxenholt zwischen Depeche Mode und Little Dragon angesiedelt und es scheint, als wäre sie auf dem besten Wege, ihr persönliches „New Found Land“ zu erobern.

New Found Land: dito. Fixe Records. Zur Homepage.

autechre_exaiAnti-Diskomacher

(TM) Uff, zweieinhalb Stunden Geklicker und dunkles basslastiges Gewummer, halsbrecherische Rhythmen, Breaks wie mit der Rasierklinge geschnitten – die Musik der Band Autechre ist auch auf ihrer zwölften Platte alles andere als leicht konsumierbar.

Aber wer außer Aphex Twin und vielleicht noch einer halben Handvoll anderer Warp-Stars soll sich denn sonst um solch völlig autonom existierende mathematische Klimperei kümmern? Wir sind froh, dass wir sie haben, diese Anti-Diskomacher, zu deren Beats sich nur die auf die Tanzfläche trauen, die es a) so richtig drauf haben oder denen b) eh schon alles egal ist.

Zwischendurch gibt’s kleine Verschnaufpausen, da hängt dann noch ein Echo des letzten Akkordes in der Luft, nein, nicht in der Luft, in der schwerelosen Atmosphäre eines kalten Weltraums. Aber nicht lange, dann durchbricht der nächste scharfe Computersound die Fläche. Hilft immer noch, sich die humorlosen Menschen vom Hals zu halten.

Autechre: Exai. 2 CD. Warp (Rough Trade). Zur Homepage.

henningwoltertrio_undercoverjobMusikalische Agentenrollen

(TM) Ein Jazz-Konzeptalbum einer jungen Band aus Hamburg – kommt da kurze Skepsis auf? I wo, „Undercover Job“ macht seine Sache ziemlich gut. Die Musiker des Trios, namentlich Henning Wolter am Piano (und für die Kompositionen verantwortlich), Lucien Matheeuwsen (Bass) und Marcel van Cleef (Drums und Perskussion) schlüpfen für ihr neues Album in verschiedene Agenterollen und finden entsprechende musikalische Farbgebungen für jeden einzelnen – sei es Miss Moneypenny, Lawrence von Arabien oder Ethan Hunt (für den natürlich auch das MI-5-Thema kurz angerissen wird, klar).

Da wird mal synkopisch und gut gelaunt Tempo gemacht, mal die Geschwindigkeit gedrosselt, um Luft für den nächsten Coup zu holen. Und auch Bauwerke haben hier ihre musikalische Umsetzung gefunden – s. den Track „Face F-U-T-E-N-E-R-O/Bridge Of Spies“, in dem es um die Glienicker Brücke als Austauschplatz für Spione geht.

Überraschenderweise ist „Undercover Job“ ein sehr leichtes, gar nicht auf-Teufel-komm-raus mystifizierendes Werk geworden. Zentrum bleibt immer das virtuose Klavierspiel von Henning Wolter, der seine Mitstreiter gut punktuell einzusetzen weiß. Ein Clou mehr: dass in jedem Stück eine geheime Nachricht versteckt ist, an deren Findung man sich unter www.undercover-job.com beteiligen kann.

Henning Wolter Trio: Undercover Job. Mons Records (Sunny Moon). Zur Homepage und die Band auf soundcloud.

gemmaray_downbabydownScheinbar absichtslos

(MO) An den Platten von Gemma Ray schätze ich besonders, dass sie nie um einen einzigen Hit herum gestrickt sind. Die 1980 in Essex geborene Wahlberlinerin baut auf ihre Skills an der Gitarre, mit der sie sich inzwischen einen eigenständigen, unverwechselbaren Stil erspielt hat. Düster, nostalgisch und melancholisch, ein bisschen geheimnisvoll mit surf- und twang-Elementen – als führe Dick Dale auf dem Lost Highway einer ungewissen Zukunft entgegen.

Auf ihrem neuen, fünften Soloalbum verzichtet die Singer-/Songwriterin sogar fast vollständig auf Gesang, sie selbst bezeichnet die halbstündige Klangreise als „Fantasy Soundtrack“. Tatsächlich klang Gemma Rays Musik schon immer score-tauglich, doch noch nie so eindeutig wie auf „Down Baby Down“.

Ray löst sich von konventionellen Strukturen, sie schafft Atmosphären: mal ruhig und entspannt („Gozo Theme“, „The Low Rising“), dann wieder düster-experimentell wie in „Carpathian Lullaby“ und „No Star“. Die Gitarre wird von Orgel, Bass oder gestrichenem Schlagzeug begleitet, untermalt oder konterkariert, steht aber immer im Zentrum der oft nur anskizzierten Tracks.

In „Say You Love Me“ und „The Letter“ lässt Gemma Ray ihre Stimme erklingen, und beinah kommen einem die Worte wie Fremdkörper innerhalb dieser scheinbar so absichtslosen Musik vor – obwohl es natürlich ein weiterer besonderer Genuss ist, Gemma singen zu hören.

„Down Baby Down“ ist kein lautes Album, das „kauf mich!“ schreit. Aber wie gesagt, genau diese Eigenschaft ist ja das Tolle an Künstlerin und Werk.

Gemma Ray: Down Baby Down. Bronzerat. Zur Homepage.

various_deutscheelektronischemusik2Wegweisende Klänge

(TM) Wer sich ernsthaft für Krautrock und sonstige Auswüchse deutscher Elektromusik der 70er- und 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts interessiert, kommt an dieser Compilation nicht vorbei, deren zweiter Teil jetzt beim Label Soul Jazz erschienen ist. Aber auch für Einsteiger ins Genre dürfte die Zusammenstellung ihren Reiz haben, bekommt man doch auf einen Schlag einen sehr guten Überblick darüber, welche wegweisenden Klänge damals aus Berlin, Düsseldorf oder der Lüneburger Heide in die Welt kamen.

Die Doppel-CD vereint mehr als zweieinhalb Stunden Musik von Bands wie Popol Vuh, Neu!, Cluster, Can, Faust, Amon Düül II und vielen anderen, die Teil dieser sehr disparaten ‚Szene‘ waren. Wobei sie sich selbst wahrscheinlich nicht als Szene bezeichnet hätten; doch bleibt der gemeinsame Ursprung, der in dem Bestreben bestand, mittels Musik den Schatten der bösen Nazi-Vergangenheit zu entkommen, Musik zu entwerfen, die sich zwar im amerikanischen und britischen Untergrund Inspirationen holte, aber doch etwas genuin Eigenes sein sollte.

Die Compilation macht einmal mehr klar, wie erfolgreich dieses Unterfangen war. Das umfangreiche Booklet enthält Texte des Musikjournalisten David Stubbs.

Various: Deutsche Elektronische Musik 2. 2 CD. Soul Jazz Records (Indigo). Zum Label.

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