Geschrieben am 3. August 2011 von für Musikmag

Blitzbeats

Neue Platten von Brian Eno, Blondie, Should, Locas In Love, Sons & Daughters, Popol Vuh und Suzanne Vega – gehört von Thomas Backs (TB), Tina Manske (TM) und Christina Mohr (CM).

Brian Eno: Drums Between The Bells Zoom auf Makro

Da haben sich aber zwei gefunden: „Drums Between The Bells“ besteht natürlich mindestens genauso sehr aus der Musik und den Soundexperimenten von Brian Eno wie aus den Worten von  Rick Holland. Bereits seit Mitte der 90er-Jahre kennen sich die beiden, 2003 machten sie zum ersten mal gemeinsam Musik, jetzt machen sie zum ersten Mal ein gemeinsames Album. Und ein ganz formidables. Nach „Small Craft On A Milk Sea“ ist „Drums Between The Bells“ das zweite Eno-Album bei Warp. Großartig, wie Holland in seinen Gedichten die Großstadt zur visuellen Abenteuerkiste macht. In „Pour It Out“ zum Beispiel: Bei jedem Hören mehr fasziniert die fast fotografische Herangehensweise, wenn von Mikro auf Makro gezoomt wird, zunächst die nierenförmigen Blutzellen betrachtet werden, um danach schrittweise in den Weltraum aufzusteigen und dort dieselben Strukturen vorzufinden wie auf der körperlichen Ebene. Überhaupt sind Hollands Texte sehr mit dem menschlichen Körper beschäftigt und was er mit der geistigen Welt zu tun haben könnte, aber es wird dabei niemals esoterisch. Und dazu diese traumwandlerisch gelungenen Sounds: mal perlend weich, mal stroboskopisch sezierend, niemals auch nur eine Sekunde vorhersehbar oder gar langweilig. Man kann ganze Nächte mit dieser Platte verbringen, ohne unterfordert zu sein – und man sollte es auch tun. (TM)

Brian Eno: Drums Between The Bells. Warp (Rough Trade).

Blondie: Panic Of GirlsKeine Panik

Machen wir uns nichts vor: als sich Blondie 1983 auflösten, hatte die Band um Debbie Harry ihre besten Zeiten hinter sich. Das Abschiedsalbum „The Hunter“ stimmte ratlos, kein Song darauf war auch nur ansatzweise mit grandiosen Hits wie „Heart Of Glass“, „Rapture“ oder „Atomic“ vergleichbar. Dass Blondie 1999 mit der Single „Maria“ ein fulminantes Comeback gelang, kam völlig überraschend – das Album „No Exit“ und der Nachfolger „The Curse Of Blondie“ (2003) gerieten allerdings eher schwach und konnten nur alte Fans begeistern. Debbie Harry, die unlängst ihren 66. Geburtstag feierte, ist natürlich unbestritten und völlig objektiv betrachtet (*g*) eine der coolsten Frauen des Planeten, in den letzten Jahren überzeugte sie als Jazzsängerin und Schauspielerin, z.B. in „Spun“ und „Mein Leben ohne mich“. Dass sie jetzt mit ihren alten Weggefährten Chris Stein und Clement Burke plus ein paar jungen Musikern eine neue Platte aufgenommen hat, sollte eher nicht so stark hervorgehoben werden. Denn „Panic Of Girls“ ist rundherum verzichtbar (und hier schreibt ein echter Blondie-Fan!!): der Opener „D-Day“ ist das beste Stück, wild und wavig erinnert es an selige Punk-Tage, als Blondies Karriere im New Yorker Club CBGB´s begann. Danach geht es bergab; schnulzige Balladen („The End The End“, „China Shoes“), uninspirierter Reggae und Coverversionen, die die Originale nur umso besser erscheinen lassen („Girlie Girlie“ von Sophia George und „Sunday Smile“ von Beirut), altherrenrockiges E-Gitarren-Gegniedel und altmodischer Achtzigerjahre-Synthie-Sound („Love Doesn´t Frighten Me“) füllen dieses Album, mit dem sich Blondie als schwacher Abklatsch ihrer einstigen Klasse präsentieren. Vielleicht sollte man nicht gar so streng sein, sondern einfach wertschätzen, dass Blondie immer noch Spaß am Musikmachen haben – besitzen muss man „Panic Of Girls“ deshalb nicht. (CM)

Blondie: Panic of Girls. Parlophone (EMI). www.blondie.com

Should: Like A Fire Without A SoundTraumhaft

Shoegazing war eine lange geschlossene Schublade, mit dem Dream Pop von Beach House und den düsteren Harmonien von The xx erlebt es gerade ein gar nicht so kleines Revival. Verträumt und melodisch knüpft hier das Comeback-Album der US-Amerikaner Should aus Baltimore an. Fünf Jahre lang haben Marc Ostermeier und Tanya Maus an ihrem dritten Longplayer gefeilt. Bittersüß sind dabei die neun Tracks auf „Like A Fire Without A Sound“ geraten, Echos des großen Brian Eno (Opener „Glasshouse“ und Schlusspunkt „The Great Pretend“) bilden den Rahmen für die musikalische Zuckerwatte, die uns das Duo hier serviert. Die Stimmen der beiden, sie harmonisieren mit Songs wie „Turned Tables“ und „Slumberland“ beinahe perfekt und wecken mal wieder Spiralen der Erinnerung. Natürlich. Slowdive, Lush und Galaxie 500, das ist wirklich lange her. Eine Vorliebe für The Velvet Underground und die „Darklands“ der Jesus And Mary Chain, die schwingt im Hintergrund deutlich mit. Should selbst gehören zu einer späteren, US-amerikanischen Generation von Künstlern, deren erste Werke Mitte der 1990er-Jahre erschienen. 13 Jahre lang hatten Ostermeier und Maus seit ihrem letzten Album „Feed Like Fishes“ keinen Tonträger mehr veröffentlicht. Eine wirklich traumhafte Rückkehr. (TB)

Should: Like A Fire Without A Sound. Words On Music (Broken Silence). Die Band bei MySpace (http://www.myspace.com/shouldmusic) und die Website des Labels (http://www.words-on-music.com/)

Locas In Love: Lemming Dringlich

„Es gibt keine Zeilen mehr, die so noch keiner geschrieben hat, also schreib sie so, daß sie wenigstens für dich selber notwendig sind“ – so die Band Locas In Love in ihren Linernotes zum neuen Album „Lemming“. Wenn es eine deutsche Band gibt, die seit jeher nach diesem Prinzip arbeitet und der man anmerkt, dass sie will was sie tut und dass sie, was sie nicht will, halt eben auch nicht tut, dann sind das Locas In Love. Wie auch schon auf den bisherigen Alben sollte man der Band etwas Zeit geben, sollte die Songs ruhig immer und immer wieder hören, denn es gibt diesen Moment, da werden sie zu wahren Freunden. Etwa wenn die helle und oberflächlich betrachtet naive Stimme von Stefanie Schrank die Erkenntnis ausspricht: „Das Licht am Ende des Tunnels ist ein Zug“, oder wenn Björn Sonnenberg in „Die zehn Gebote“ das schon erwähnte Bandmantra in eine kleine Geschichte gießt, mit dem Fazit: Man sollte nur darüber reden, was einen von anderen unterscheidet, auch wenn es der aktuelle Wunsch ist, ins Autokino zu gehen und dabei nicht allein zu sein. Besser jedenfalls, als ein tausendfach wiederholtes ‚Ich leide an der Welt‘ in den Äther zu blasen, denn Leiden an der Welt, das ist Kitsch. Gar nicht kitschig dagegen ist sowas wie „Spoiler Warning“, wo der Band die interessante Kreuzung aus „Ein Loch ist im Eimer“ und „Let It Be“ gelingt – eine Kreuzung, die garantiert schon immer da war, aber erst gefunden werden musste. Mit Locas In Love ist es eben, wie’s auch in den Linernotes steht: „Das kann man nicht erklären, da gibt es nichts zu verstehen, das ist wie mit Gott oder der RAF, entweder glaubt man daran oder eben nicht.“ Goethes Faust hätte es nicht besser sagen können. (TM)

Locas In Love: Lemming. Staatsakt (Rough Trade).

Sons & Daughters: Mirror, MirrorDer gute alte Rock’n’Roll

Drei Jahre nach dem enttäuschend konventionellen Album „The Gift“ findet das schottische Quartett Sons and Daughters zu seiner Bestform zurück: Adele Bethel, David Gow, Ailidh Lennon und Scott Paterson verabschieden sich auf „Mirror, Mirror“ von Glitz und Glam, reduzieren ihren Sound aufs Wesentliche, Optimo-Producer JD Switch bringt das Ganze kongenial auf den Punkt. Punkrock-Memorabilia wie schmirgelpapierraue Gitarren und knochentrockene Drums treffen auf Synthiepop, die Grundstimmung ist dunkel, befindet sich irgendwo zwischen Gang of Four und Siouxsie & The Banshees. Songs wie „Breaking Fun“, „Ink Free“ und „Rose Red“ sind Geniestreiche, die man Sons and Daughters nicht mehr zutrauen mochte, zu glatt und selbstzufrieden wirkte die Band noch vor kurzer Zeit. Aber die vier Glasgowians haben ihre Abenteuerlust wiedergefunden und zeigen, wozu der gute alte Rock’n’Roll noch fähig ist. Denn es ist Rock’n’Roll, was Sons and Daughters zu neuem Leben erweckt hat: das Wechselspiel aus Adeles abgeklärt-coolem Gesang und Scott Patersons windschiefen Vocals, das Drängen, Voranpreschen, abrupte Richtungswechsel – die Musik wirkt lauernd, wie von Dämonen gehetzt. Die Texte handeln von Serienkillern („Axed Actor“), Geistern („Silver Spell“) und seltsamen Ereignissen („The Beach“) – während auf „The Gift“ überproduzierte Langeweile herrschte, führt „Mirror, Mirror“ wieder in düsterste Abgründe. Rückentwicklung muss nicht immer etwas Schlechtes sein! (CM)

Sons and Daughters: Mirror, Mirror. Domino. www.sonsanddaughtersloveyou.com

Popol Vuh: Revisited & Remixed 1970-1999 Kreation statt Reaktion

Wer in den 1970er-Jahren von Progressive Rock und Ambient Music sprach, der kam an der Band Popol Vuh nicht vorbei. Bekannt wurde sie insbesondere durch ihre Soundtracks für die Werner-Herzog-Filme „Aguirre“, „Fitzcarraldo“, „Nosferatu“ und „Cobra Verde“. Was Popol Vuh besonders machte, war ihre Herangehensweise an Musik, gerade als deutsche Band der Nachkriegsgeneration: Sie warfen die Traditionen über Bord und entwarfen Sounds, die nicht von dieser Welt zu kommen schienen, ja, die an eine andere Welt Glauben ließen. Nicht der Bruch mit den musikalischen Vorfahren stand im Vordergrund, nicht die Auflehnung, wie sie der Rock’n’Roll verkörperte, sondern das ganz Andere, das Sich-nicht-scheren – Kreation statt Reaktion. Vor zehn Jahren starb Bandgründer Florian Fricke – auch zu seienm Gedenken erscheint diese Doppel-CD, deren zweiter Teil mit Popol-Vuh-Remixen heutiger Künstler gefüllt ist. Ziel ist es natürlich, einer jungen Generation von Musikfans diese Band nahe zu bringen, was durchaus von Erfolg gekrönt sein dürfte. Dazu haben sich Künstler wie Peter Kruder, Stereolab, Mouse on Mars, Thomas Fehlmann und Moritz von Oswald an Remixen der Popol-Vuh-Stücke versucht. Es zeigt sich: spannender ist allemal das Original. Die Ergebnisse sind aber trotzdem ein Stück Musikgeschichte, weitergeschrieben im Hier und Jetzt und weiterhin in Bewegung. Das zeigen die Einflüsse Popol Vuhs, die man allgemein in der zeitgenössischen elektronischen Musik finden kann. (TM)

Popol Vuh: Revisited & Remixed 1970-1999. 2 CD. SPV Recordings (SPV).

Suzanne Vega: Close Up Vol. 3 Wie Nachhausekommen

„States of Being“ ist der Untertitel dieser Sammlung von Songs, auf der die wohl einflussreichste Songwriterin der 80er- und 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts ihre Stücke in intimer Atmosphäre, meist nur von der Gitarre begleitet, präsentiert. Die ersten beiden Folgen der Reihe hießen „Love Songs“ und „People & Places“, schon der Name sagt’s also, dass jetzt die Befindlichkeiten im Mittelpunkt stehen, oder, wie Suzanne Vega sie nennt, die „Mental health songs“ – Songs wie „Cracking“, „Undertow“ oder das immer wieder wegen seiner schieren Perfektheit beeindruckende „Solitude Standing“. Das sei „the freakier side of my songwriting“, so Suzanne Vega, die es in ihren Neuinterpretationen tatsächlich schafft, auch den bekanntesten Stücken neue Kraft zu geben – oft nur durch einen kleinen Twist in der Melodieführung oder ein ausgedehnteres Intro. Nebenbei kann man in diesem Setting das besondere Gitarrenpicking von Suzanne Vega sehr gut studieren, dieser harte, sehr perkussionsorientierte Anschlag. Ein neuer Song ist auch dabei: „The Instant Of The Hour After“. Er basiert auf einer Kurzgeschichte von Carson McCullers über zwei Alkoholiker am Ende einer durchzechten Nacht und ist Teil eines Theater-Musicals, in dem die Musikerin den Part von McCullers übernimmt. Suzanne Vega hören ist immer noch wie Nachhausekommen. (TM)

Suzanne Vega: Close Up Vol. 3 – States Of Being. Cooking Vinyl (Indigo).