Neue Platten von Joakim, Housse de Racket, Dear Reader, Mediengruppe Telekommander und ein Sampler des c.sides-Label, gehört von Tina Manske (TM) und Christina Mohr (CM).
Die elegante Nation
(CM) „Frenchies do it better“ heißt es in einem Track von Miss Kittin‘ – dieser Claim passt fast uneingeschränkt zu den neuen Platten von Joakim und Housse De Racket: DJ und Produzent Joakim Bouaziz veröffentlicht sein nunmehr viertes Album auf seinem eigenen Label Tigersushi und findet nach dem krautrockig ausfransenden Vorgänger „Milky Ways“ wieder zu tanzbaren Beats und satten, warmen Basslinien zurück. Einen thematischen Überbau hat „Nothing Gold“ außerdem: der Titel bezieht sich auf eine Zeile aus Susan E. Hintons ergreifenden Roman „The Outsiders“, in dem sie eine pubertierende Jungs-Gang porträtiert.
Dementsprechend schwebt ein romantisch-wehmütiges Odeur durch „Nothing Gold“, vom bittersüßen Elektrohouse in „Forever Young“ mit seinen perlenden Pianoparts über das proto-industrial-angehauchte „Paranoid“ bis zum melancholischen Schlusstrack „Perfect Kiss“. Joakim zitiert ganz klar Achtzigerjahre-Elektro-Acts wie Human League, New Order, Thompson Twins und OMD, klingt aber so neugierig und unbefangen, als hätte er von all diesen Bands noch nie gehört. Das Titelstück zeichnet sich durch absichtsloses, elegantes Federn und entspannte Unentschlossenheit aus, beinah ist man versucht, diese Haltung „typisch französisch“ zu nennen, aber das wäre wohl etwas zu klischeeverhaftet.
„Alesia“
Das Duo Housse De Racket (Pierre Leroux und Victor Le Masne) gab sein zweites Album in die Hände des Pariser Top-Producer Philippe Zdar, der u. a.verantwortlich für den Erfolg von Phoenix‘ „Wolfgang Amadeus Phoenix“ ist; unlängt produzierte Zdar „In The Grace Of Your Love“ von The Rapture. „Alesia“ von Housse De Racket, jetzt erstmals bei Kitsuné, klingt mit der klaren Ausrichtung auf eingängige Pophymnen mit seidig-sanftem Gesang manchmal ein bisschen nach Phoenix, nach The Rapture dagegen nicht – als würde Zdar sehr wohl auf die geographische Herkunft seiner Auftraggeber achten.
„Alesia“ vereint euphorische Hooklines mit Vintage-Synthiesounds und sehnsuchtsvollen Melodien; Housse De Racket verfügen über enormes pophistorisches Wissen, das sie gewieft einsetzen: so lassen sich allfällige Vorbilder wie OMD ausmachen, aber auch roughere (Post-)Punkbands wie Squeeze und 999, z. B. in „Chorus“. Im Titelsong reichen sich Krautrock und Psychedelik die Hände, während „TGV“ ein bis dato unentdeckter French-Popsong der späten Achtziger Jahre sein könnte. Modische Must-Haves verwenden Housse De Racket mit großer Nonchalance: Selbst die derzeit wieder sehr angesagten kreischenden E-Gitarren klingen bei Leroux und Le Masne ungleich eleganter als auf Lady Gagas aktueller Platte. Frenchies do it better, indeed.
Joakim: Nothing Gold. Tigersushi. Zum Label.
Housse De Racket: Alesia. Kitsuné/Cooperative. Zur Band.
Hörbar schön
(TM) Kunst soll ja an und für sich ein Weg zu einer besseren Weg sein. Was für eine schöne Idee also: ein Label lädt ausgesuchte Musiker ein, sich Musik auszudenken, die die Welt ihrer Meinung nach etwas schöner werden lässt, gibt dabei nur sehr rudimentäre Vorgaben (Tracks bis 15 Minuten länge) und ermutigt die Künstler, einmal abseits ihrer bisher breitgetretenen Pfade zu experimentieren. Herausgekommen ist diese schöne Doppel-CD des c.sides-Label mit Stücken von Glitterbug, Christian Löffler, Khan, Gold Panda und anderen. Allein der Track „Schwan“ von Brandt Brauer Frick, der Elektro auf äußerst elegante Weise mit Jazz versöhnt, und zwar abseits jeglicher schwüler Lounge-Ästhetik, ist den Kauf des Doppelalbums wert. Ebenfalls großartig: Glitterbugs über neun Minuten langer Vocal-Edit von „The Sky Fell Silent“ mit der Stimme von Enas Massalha. Alle, die noch nicht verlernt haben zuzuhören, auch wenn man nicht gleich mit der Hookline erschlagen wird, all die werden an diesen „Audible Approaches“, bei denen jeder Ton neugierig auf den nächsten macht, jede Menge Freude haben, Electronic- und Akustik-Fans gleichermaßen.
Various: Audible Approaches For A Better Place. c.sides (Kompakt). Zur Information.
Auf die Texte achten
(CM) Gut möglich, dass bei Cherilyn MacNeil alias Dear Reader der Wunsch nach klaren Bezugspunkten im Vordergrund stand, als sie für ihr neues Album „Idealistic Animals“ das Konzept ersann, jeden Song nach einem Tier zu benennen. In den vergangenen zwei Jahren ging es bei der Singer-/Songwriterin nämlich hoch her: ihr Debütalbum „Replace Why With Funny“ wurde ein Überraschungserfolg, -zig Konzerte weltweit waren zu bewältigen. 2010 verließ Cherilyn ihre Heimat Südafrika, zog von Johannesburg nach Berlin und trennte sich außerdem von ihrem Duo-Partner Darryl Torr. Kulturschock und Trennung vom musikalischen Partner müssen verarbeitet werden, Miss MacNeil erhofft sich Orientierungshilfe aus dem Tierreich: „Fox (Take Your Chances)“, „Monkey (You Can Go Home)“, „Giraffe (What´s Wrong With Us)“ oder „Whale (Boohoo)“ heißen die Songs, die jedoch keine herzigen Erbauungsfabeln sind.
In ihren Lyrics thematisiert Dear Reader Sinnsuche, Selbstzweifel und -verachtung, verpackt in zeitlos schöne Folkpop-Songs. Cherilyn MacNeil singt mit Feingefühl und Inbrunst, und hat auch beim Komponieren und Arrangieren ein geschicktes Händchen für passende Akzente: hier ein gebrochener Elektrobeat, da die trashige Gitarre, dort die Kirmesorgel im Walzertakt, Drama und Opulenz beim zentralen „Man (Idealistic Animal)“ – insgesamt aber ein bisschen zu perfekt und glattpoliert, um sich festzuhaken. Kein musikalisches Erdbeben also, bei Dear Reader muss man auf die Texte achten. Aber das impliziert ja schon der Name.
Dear Reader: Idealistic Animals. CitySlang (Universal). Zu MySpace.
Noch einmal Agitprop
(TM) Florian Zwietnig und Gerald Mandl haben keine Lust mehr: „Die Elite der Nächstenliebe“ ist tatsächlich das letzte Album der Mediengruppe Telekommander. Das Duo war vor zehn Jahren eine der Speerspitzen des Trends, Rockattitüden mit elektronischer Musik bzw. Laptops umzusetzen. Ihre Haltung war stets unzweifelhaft – Kapitalismuskritik war ihre vornehmste Aufgabe, das Bezeichnen des täglichen Wahnsinns nicht ohne Komik ihre einfachste Übung. Sie waren die deutschen Beastie Boys des neuen Jahrtausends. Zehn Jahre später machen sie das alles noch ganz genauso, und obwohl jeder Song sich ganz leicht als Mediengruppen-Track identifizieren lässt (dazu braucht es nicht mehr als die ersten beiden Takte), kann man einfach nicht genug kriegen von ihrer Art, die Dinge so zu sagen, dass man dazu abraven kann, auch, wenn man sich eventuell durch die Texte entlarvt fühlt. Die „Berufsjugendlichen mit Eventcharakter“ jedenfalls werden zu dieser Musik ebensogern tanzen wie die Hartz-IV-Community. Die Musik ist natürlich wieder herrlichster Agitprop. Ihre Stimmen jagen die beiden durch die Maschinen, sodass sie wie durch Flüstertüten geschrien wirken, die Instrumentierung orientiert sich am billigen Atari-Sound der 80er-Jahre.
Die Mediengruppe Telekommander ist immer nah am Zahn der Zeit. „Billig“ nimmt Bezug auf die Ereignisse auf dem Berliner Alexanderplatz vor einiger Zeit. „Wir wollen alles kaputtkaufen!“, skandierten die Leute da, weil sie endlich die Türen des neuen Elektromarktes einrennen wollten. Ja, soweit ist es gekommen: selbst der Protest hat nur noch Konsumcharakter. Gut, dass es die Mediengruppe gibt, die Worte findet für die unglaubliche Traurigkeit dieser Szenerie. „Draufhalten“ dagegen ist der Song für Spiegel-Online-Redakteure, die sich noch an jeder Katastrophe aufgeilen können, und, falls die nicht rechtzeitig geschehen sollte, sie einfach herbeireden. „Wir werden draufhalten, solang es sich noch bewegt“ – aber klar, alles für die Leser.
Und doch, bei aller Wiedererkennbarkeit haben Zwietnig und Mandl auch für Überraschungsmomente gesorgt. Der Opener „Auf der sicheren Seite“ zum Beispiel mutiert nach den mediengruppentypischen Shouts zu einem fast psychedelischen Elektrorausch mit geisterhaften Stimmsamples im Hintergrund und pluckernden Beats. Solche Gimmicks sind schön verteilt immer wieder zu hören auf diesem Album, das leider mit exakt 30 Minuten viel zu kurz ausfällt. Und das soll es jetzt gewesen sein? Man mag es nicht glauben. Vielleicht gibt’s ja doch noch eine Überraschung mehr. Vielleicht, wenn wir laut genug rufen: Mediengruppe, wir brauchen euch!
Mediengruppe Telekommander: Die Elite der Nächstenliebe. Audioakt (Roughtrade). Zu MySpace und zu Bandpage.